Führen Sie schon oder herrschen Sie noch?. Heinz Siebenbrock

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Führen Sie schon oder herrschen Sie noch? - Heinz Siebenbrock

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und Leitlinien inhaltlich näher einzugehen.

      Spätestens seitdem die Betriebswirtschaftslehre aus einer deskriptiven Betrachtung der Realität herausgetreten ist und sich mit der Zuwendung zur Systemtheorie und der Entwicklung der Entscheidungstheorie auf normatives Terrain begeben hat, kann von einer Wertfreiheit dieser wissenschaftlichen Disziplin keine Rede mehr sein. Umso wichtiger erscheint es heute, die impliziten Werte der Betriebswirtschaftslehre aufzudecken und deren Wirkung zu diskutieren. Dazu werden nachfolgend solche Wertvorstellungen untersucht, die die betriebswirtschaftliche Lehre und den unternehmerischen Alltag wie selbstverständlich begleiten oder gar bestimmen und kaum reflektiert oder gar hinterfragt werden.

      Die betriebliche Praxis

      So erscheinen die betriebswirtschaftlichen ‚Selbstverständlichkeiten‘ Sparsamkeit, Gewinnmaximierung, Wachstum und Wettbewerb bei näherem Hinsehen als Konstrukte, die die Praxis nachhaltig prägen, obwohl sie einen fragwürdig-destruktiven Einfluss auf Manager und ihre Mitarbeiter ausüben.

      „Sparsamkeit ist die Lieblingsregel

      aller halblebendigen Menschen.“

      Henry Ford17 (1863–1947), amerikanischer Unternehmer

      Wie ihre Schwesterdisziplin, die Volkswirtschaftslehre, geht auch die Betriebswirtschaftslehre davon aus, dass Güter grundsätzlich knapp sind und deshalb einen ‚ökonomischen‘, also sparsamen Umgang erfordern. Diese Grundannahme erscheint auf den ersten Blick sinnvoll: Gegen den anklingenden ethischen Anspruch, Verschwendung vermeiden zu wollen, ist zunächst einmal nichts einzuwenden. Denn Sparsamkeit lässt Spielraum für alternative Verwendungen. Aber nur, wenn diese Verwendungen tatsächlich auch realisiert oder mindestens beabsichtigt werden, ist der ethische Anspruch tatsächlich gegeben. Sparsamkeit um der Sparsamkeit willen kann mit Knauserigkeit oder Geiz übersetzt werden und ist alles andere als tugendhaft. Im Mittelalter zählte Geiz zu Recht zu den Todsünden.

      Während die klassische Betriebswirtschaftslehre nach wie vor auf Sparsamkeit setzt, etwa in Form immer ausgefeilterer Methoden der Kostenkontrolle oder des japanischen Konzeptes ,muda‘18, das sich gegen Verschwendung richtet, gelingt Wolf Lotter mit seinem Buch „Verschwendung – Wirtschaft braucht Überfluss“ ein Gegenentwurf, der gleichermaßen plausibel erscheint und nachdenklich macht: „Verschwendung ist gut – sie ist produktiv, sie ist erfinderisch und sie ist natürlich. Seit Milliarden von Jahren handelt die Evolution verschwenderisch. Wir sind das Produkt dieser natürlichen Vielfalt. Märkte funktionieren von jeher auf der Basis eines verschwenderischen Angebots und einer vielfältigen Nachfrage.“19

      Übertriebene Sparsamkeit steht schließlich einer äußerst erfolgreichen Tugend im Wege: der Großzügigkeit. Großzügigkeit besteht darin, ohne Verpflichtung und Zwang Dritten etwas zukommen zu lassen, also ebenso Spielraum für alternative Verwendungen zu erschaffen. Selbstverständlich sei auch der Großzügige gewarnt, es zu übertreiben und über seine Verhältnisse zu leben.

      Sparsamkeit richtig angewendet

      Sparsamkeit als Grundwert der Betriebswirtschaftslehre benötigt also mindestens zwei Ergänzungen: Sie darf zum einen keine extreme Ausprägung erfahren, der Sparsamste ist keinesfalls der Beste. Zum anderen bedarf sie, um ethischen Ansprüchen zu genügen, einer Entsprechung bzw. eines Bezugs. Großzügigkeit erscheint trotz des vermeintlichen Widerspruchs als Entsprechung der Sparsamkeit durchaus geeignet, wenn beispielsweise mit dem Engagement gegenüber Bedürftigen oder der Umwelt dieser Bezug hergestellt wird. Auch auf den betrieblichen Alltag lässt sich dieser Gedanke leicht übertragen: Ein sparsamer Umgang mit Ressourcen eröffnet alternative Verwendungen, etwa eine großzügigere Beschäftigung mit der eigenen Zukunft durch Ausweitung der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten oder eine großzügigere Gewährung von Freizeit für die Mitarbeiter oder eine großzügigere Bezahlung von Lieferanten, Mitarbeitern und/oder Eigentümern. Kurz: Wenn Sparsamkeit angestrebt wird, muss es auf die Frage „Wozu?“ eine für alle Beteiligten nachvollziehbare und angemessene Antwort geben.

      Neben der Sparsamkeit fallen drei weitere Konstrukte auf, die die Betriebswirtschaftslehre in fragwürdig-destruktiver Weise massiv bestimmen: Gewinnmaximierung, Wettbewerbsorientierung und Wachstum sind Kategorien, die zur kaum hinterfragten Selbstverständlichkeit in Wissenschaft und Praxis geworden sind.

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      Abb. 1: Die impliziten Werte der Betriebswirtschaftslehre

      Auch diese Konstrukte erscheinen auf den ersten Blick durchaus vernünftig. Unternehmen müssen Gewinne machen, um zu überleben. Die Beachtung dieses Ziels ist notwendig, um Produkte und/oder Dienstleistungen anzubieten. Dabei den realen und sogar den potenziellen Wettbewerber im Auge zu behalten, fordert dazu auf, sich nicht zu überschätzen, innovativ zu bleiben und sich ständig weiterzuentwickeln. Wachstum kann vor diesem Hintergrund schon fast als eine Folge von Gewinn und Wettbewerbsorientierung interpretiert werden.

      Und dennoch steckt in diesen drei Konstrukten eine erhebliche Gefahr! Sie werden, von vielen Menschen unbemerkt – zum Beispiel durch Erziehung und Ausbildung – Teil der eigenen Identität. Bereits bei Kleinkindern werden diese Werte in Form von Spardosen und Weltspartagen unterschwellig verankert; die Schule erscheint zunehmend als ein Ort, an dem im Wettbewerb mit den Mitschülern Gewinne in Form guter Zensuren einzufahren sind, während das Ziel ,Lerne fürs Leben!‘ nur noch müde belächelt wird; und spätestens nach der Einführungswoche ist dem Studierenden der Betriebswirtschaftslehre klar: Gewinnmaximierung ist das höchste Ziel auf Erden.

      Auswirkungen dieser Konstrukte

      Die Konstrukte Gewinnmaximierung, Wettbewerbsorientierung und Wachstum haben eben auch erhebliche Schattenseiten, indem sie ein Miteinander behindern und gleichzeitig ein Gegeneinander fördern. Gerade weil diese Werte unreflektiert übernommen werden, tragen sie subtil zu einem inhumanen Umgang bei. Darüber hinaus ist zu vermuten, dass diese Konstrukte insofern sogar eine Rechtfertigungsgrundlage für unanständiges Managerverhalten bilden.

      „Gewinne zu machen ist so wichtig wie die Luft zum Atmen.

      Es wäre traurig, wenn wir nur auf der Welt wären,

      um Luft zu atmen, genauso wie es schlimm wäre,

      würden wir nur Unternehmen führen, um Gewinne

      zu machen.“20

      Hermann Josef Abs (1901–1994),

      Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank

      Bereits in den 1970er Jahren haben Hochschullehrer in St. Gallen darauf aufmerksam gemacht, dass die Forderung nach Gewinnmaximierung zu konkretisieren ist. Man hatte beobachtet, dass einige Manager zu Lasten der Zukunft kurzfristig hohe Gewinne einfuhren. Wer nämlich kurzfristig und zu Lasten der Zukunft Gewinne maximiert, riskiert die Existenz des Unternehmens. Typische Maßnahmen sind: Verlängerung der Instandhaltungszyklen, Reduktion des Budgets für Forschung und Entwicklung, Aussetzen von Weiterbildungsmaßnahmen. Um diesem Treiben entgegenzuwirken, empfahlen die Hochschullehrer, das Gewinnziel mit einer langfristigen und damit nachhaltigen Perspektive auszustatten. Auch wenn dieser Sichtweise sicher zuzustimmen ist, bedarf es einer grundsätzlicheren Betrachtung.

      Was Studenten beigebracht wird

      Auf die Frage, welches Hauptziel Unternehmen verfolgen, gibt es für Studierende der Betriebswirtschaftslehre (BWL) nur eine Antwort: Gewinnmaximierung. Vom Studienanfänger bis zum Examenskandidaten, von der wissenschaftlichen Hilfskraft bis zum Doktoranden, die angehenden

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