Führen Sie schon oder herrschen Sie noch?. Heinz Siebenbrock

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Führen Sie schon oder herrschen Sie noch? - Heinz Siebenbrock

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aus dem tiefsten Schlaf gerissen werden, nur diese eine Antwort: Gewinnmaximierung. Das Ziel bzw. die Aufgabe ‚Gewinnmaximierung‘ brennt sich von Anfang an derart ins Hirn eines BWL-Studenten ein, dass es Teil seines Selbst wird und nicht hinterfragt wird. So wird Gewinnmaximierung zu einer impliziten Leitlinie, die beinahe die gesamte Managerwelt prägt.

      Dieses Hauptziel Gewinnmaximierung, das für immer im Kopf bleibt und die Psyche nachhaltig formt, wird bereits im ersten Semester anschaulich an einem Modell erläutert: Gewinn ist die Differenz zwischen Umsatz und Kosten und es gilt, den Punkt zu finden, an dem Umsatz und Kosten möglichst weit auseinander liegen. Dieser gewinnmaximale Punkt lässt sich als Mengenangabe in einem Koordinatensystem ausmachen.

      Beim Umsatz unterstellt man, dass er mit Steigerung der Ausbringungsmenge zunächst steil ansteigt, sich dann abschwächt, um ein sogenanntes Umsatzmaximum zu erreichen. Von da aus fällt der Umsatz mit steigender Ausbringungsmenge. Die Kurve ähnelt einer Glocke, wenn man auf der y-Achse den Umsatz und auf der x-Achse die Menge abträgt. Eigentlicher Hintergrund dieser Glocke ist die fallende Preis-Absatz-Funktion, mit der unterstellt wird, dass mehr Produkte abgesetzt werden, wenn der Preis gesenkt wird. Die Multiplikation der dort ausgewiesenen Preise mit den zugehörigen Mengenangaben führt unausweichlich zur angesprochen Umsatzglocke.

      Bei den Kosten unterstellt man einen Kostenblock, der auch dann anfällt, wenn überhaupt nicht produziert wird. Diese sogenannten Fixkosten beginnen also auf der y-Achse und steigen dann mit der Ausbringungsmenge, in manchen Modellen linear, in komplizierteren Modellen in aller Regel degressiv, um sogenannte Skalen- oder Lerneffekte darstellen zu können.

      Nun sucht man eben jene Ausbringungsmenge, bei der die beiden Kurven weitestmöglich auseinanderliegen; oder man zeichnet eine neue Kurve, die die Differenz der beiden Kurven darstellt, und sucht dort das Maximum. Das lässt sich geometrisch bewerkstelligen, oder mit Hilfe von Rechenalgorithmen aus der Kurvendiskussion.

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      Abb. 2: Grafische Ermittlung des Gewinnmaximums

      Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang der absolut fehlende Praxisbezug: Es gibt keinen Manager, der sich am Schreitisch diese beiden Kurven zurechtlegt, um daraus Handlungen abzuleiten. Es kommt noch erstaunlicher: Gewinnmaximierung ist nicht einmal messbar, obwohl Messbarkeit eine Hauptanforderung an operationale Ziele darstellt! Denn im Nachhinein lässt sich keineswegs sagen, ob die ergriffenen Handlungen tatsächlich zu einem maximalen Gewinn geführt haben, vielleicht hätte es doch noch ein bisschen mehr sein können.

      Die mathematische Untermauerung der Grundthese, Gewinnmaximierung sei das Hauptziel eines Unternehmens, trägt in entscheidendem Maße dazu bei, dass sie sich praktisch unauslöschbar im Kopf festsetzt und zum Teil der eigenen Identität wird. Was in mathematischen Modellen ausgedrückt werden kann und sich (angeblich!) berechnen lässt, wird wohl auch richtig sein! Das wäre nicht weiter schlimm, wenn Gewinnmaximierung auch aus ethischer Sicht ein erstrebenswertes Ziel wäre.

      Um die Gefährlichkeit der Gewinnmaximierung zu verdeutlichen, ist dieses Prinzip zunächst einmal analytisch aufzuspalten: Gewinnmaximierung ist nichts anderes als Umsatzmaximierung bei gleichzeitiger Kostenminimierung.

      Umsatzmaximierung ist Abzocke

      Umsatzmaximierung fordert dazu auf, so viel Umsatz wie eben möglich zu machen. Dahinter steckt die folgende Aufforderung: ,Nimm so viel Geld von deinen Kunden wie du eben bekommen kannst!‘ ,Setze den Preis so hoch wie es eben geht!‘ Um es ganz klar und deutlich zu sagen: Im Prinzip Gewinnmaximierung steckt eine mehr als deutliche Aufforderung zur Abzocke, einem ethisch unzweifelhaft fragwürdigen Verhalten.

      Abzocke ist es, einen ungerechtfertigt hohen Preis zu verlangen. Auch wenn im strafrechtlichen Sinne nicht immer ein Vermögensdelikt in Form einer rechtswidrigen Bereicherungsabsicht unter Vorspiegelung falscher Tatsachen oder sogar Wucher vorliegt, erscheinen die Angebote vieler Unternehmen vor diesem Hintergrund zweifelhaft. Geplanter Verschleiß21 – also die gezielte Herabsetzung der Lebensdauer von Produkten – und Abo-Fallen sind nur die Spitze der hässlichen Seite der wirtschaftlichen Realität. Und selbst seriöse Anbieter scheuen sich nicht, ihre Kunden mit überteuren Service-Hotlines oder kaum bezahlbaren Serviceangeboten (z.B. Gepäckaufschlag bei Überschreitung der Freigrenze im Flugverkehr) abzuzocken.

      Kostenminimierung ist häufig Ausbeutung

      Und auch die Aufforderung zur Kostenminimierung hat es in sich: Kostenminimierung fordert dazu auf, möglichst wenig eigene Ressourcen abzugeben, den denkbar niedrigsten Preis zu zahlen, Lieferanten (zumindest für einige Zeit) unter die eigenen Kosten zu drücken, ökonomische über soziale Standards zu setzen. Auch hier ein deutliches Wort: Im Prinzip Gewinnmaximierung steckt eine unmissverständliche Aufforderung zur Ausbeutung, nicht minder ethisch fragwürdig.

      Die wertfreie Definition für Ausbeutung bezeichnet zunächst einmal Ausnutzung oder Aufbrauchung jeglicher Art. Der Begriff wird jedoch spätestens seit Karl Marx insbesondere auf den unterdrückenden Einsatz von Menschen in Produktionsprozessen bezogen. Heute wird unter Ausbeutung ein besonders abscheulicher Arbeitseinsatz wie Versklavung und Kinderarbeit verstanden. Bezeichnenderweise wird dieser deutlich negativ besetzte Begriff in einigen Standardwerken der Betriebswirtschaftslehre im Zusammenhang mit der Nutzung von Produktionsfaktoren völlig bedenkenlos verwendet. Zugutehalten muss man den Autoren allerdings, dass sie sich nicht auf den Produktionsfaktor Arbeit, sondern eher auf Materialien oder Investitionsgüter beziehen.

      Abzocke und Ausbeutung und mithin Gewinnmaximierung fordern also dazu auf, sich die Notlage Dritter zu Nutze zu machen.

      Wie bereits erwähnt, ist es gleichwohl die Aufgabe von Unternehmen, Gewinne zu erwirtschaften. Deshalb sei vorgeschlagen, diese wichtige unternehmerische Zielsetzung eben nicht mit der wenig operationalen, radikalen Ergänzung ,Maximierung‘ zu belegen. Als Ersatz für die Zielsetzung ,Gewinnmaximierung‘ könnten die Begriffe ,Gewinnerzielungsabsicht‘ oder ,Erzielung eines angemessenen Gewinns‘ verwendet werden.

      „Um zu gewinnen, muss man aber nicht andere besiegen.

      Nur einfache Gemüter definieren sich einzig

      über den direkten Kampf, den Wunsch, zu besiegen.“22

      ,Albatros‘ Michael Groß, Schwimmweltmeister

      und Olympiasieger

      Die Volkswirtschaftslehre geht von der Grundannahme aus, dass Wettbewerb das beste Leistungsangebot hervorbringt. Fehlender Wettbewerb führt zu höheren Preisen, schlechteren Angeboten und schlimmstenfalls zu einer Unterversorgung der Bevölkerung.

      Grundannahme der VWL

      Aus dieser Grundannahme leitet sich für die Betriebswirtschaftslehre die Forderung ab, dass Unternehmen wettbewerbsfähig sein müssen, um zu überleben. Um im ökonomischen ‚Survival of the fittest‘ bestehen zu können, muss das Unternehmen langfristig besser sein als die Konkurrenz, ansonsten muss es vom Markt verschwinden.

      Im Wettbewerb bestehen bedeutet, zu Ende gedacht, den Wettbewerber zu besiegen. ‚The winner takes it all!‘

      Auch dieser Gedanke ist neben der Gewinnmaximierung zu einem wesentlichen Leitmotiv des Managements herangereift: „Die Wettbewerbsfähigkeit ist zu einem Glaubensbekenntnis geworden, zum neuen Evangelium jener Bevölkerungsgruppen, die heute über die Welt herrschen.“23 In Sonntagsreden, Geschäftsberichten und angesichts notwendig gewordener Reorganisationsmaßnahmen beten viele Führungskräfte und Politiker das immer gleiche Mantra der Wettbewerbsorientierung. Dazu bemerkt der italienische Soziologe Riccardo

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