Der Taubenhasser und das Fenster zum Hof. Michael Möseneder
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Aus dem Leben des Blutchronikers, Teil 4
Kapitel 5: Folgenschwerer Verkehr
Die Parklücke und das Steirereck
Der Spitzenkoch und die Straßenverkehrsordnung
Der „Rotzbua“ und die „schwule Sau“ in der Tempo-30-Zone*
Der Zigarettenstummel und der Kettenhandschuh
Der frierende Polizist und der Schnaps des toten Schwiegervaters
Aus dem Leben des Blutchronikers, Teil 5
Kapitel 6: Jung und teils erstaunlich dumm
Die Respektschellen als Internethit
Die Teenager und der Speisekartentrick
Die Depressive und die Beauty-Convention*
„Branding“, „Schaumparty“ und ein trostloses Leben
Zwerg und Riese in rächender Mission*
Der hilflose Lehrer und sein rabiater Sohn
Lieber vorbestraft, als im Kindergarten zu helfen
Freispruch dank mütterlichen Misstrauens
Der Lehrling und die Nötigung mit zwei Dildos
Falsche Freunde, psychische Probleme und Weihnachtsdeko
Einladung an den Arbeitsplatz des Blutchronikers
* Die mit einem * markierten Fälle erscheinen in diesem Buch zum allerersten Mal. Die anderen Texte wurden bereits in DER STANDARD veröffentlicht und uns für dieses Buch freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Das Leben zwischen
Buchstaben und Paragrafen
Vor Gericht und auf hoher See ist man in der Hand eines höheren Wesens, wird behauptet, wobei die Erfindung von Schiffsschraube und Verbrennungsmotor den göttlichen Handlungsspielraum auf den Weltmeeren merklich verringert hat. Im Justizsystem geht es im Gegensatz zur Seefahrt aber auch nur bedingt um Naturgewalten, sondern vor allem um Menschen. Deshalb ist die Vorstellung einer unparteiischen Göttin Justitia (die in der antiken Mythologie übrigens nicht blind ist), die das Recht anwendet und so für Gerechtigkeit sorgt, natürlich absurd. Noch dazu, da die Antwort auf die Frage, ob ein Urteil gerecht gewesen ist, je nach befragtem Beteiligten anders ausfallen wird: Was die Staatsanwältin für gerecht hält, wird der Verteidiger als zu hart empfinden; was das Publikum für „Kuscheljustiz“ hält, wird der Berufsrichter als härtestmögliche Strafe ansehen.
Was für die Justiz gilt, gilt erst recht für den Journalismus, auch im Genre der Gerichtsreportagen. Fast jede Geschichte, die man in einem Verhandlungssaal hört, könnte man den Leserinnen und Lesern aus verschiedensten Perspektiven erzählen. Man könnte ein Verfahren aus dem Blickwinkel der (Zwei-)Klassenjustiz sehen, die Berichterstattung immer unter einen feministischen Standpunkt stellen, sich darüber echauffieren, dass nicht hart genug durchgegriffen oder die Lebensgeschichte der Angeklagten zu wenig berücksichtigt wird.
Diese journalistische Vorgehensweise bietet sich vor allem an, wenn man nur die „großen“, die sogenannten clamorosen Prozesse besucht und sonst nicht viel mit dem Gerichtsalltag zu tun hat. Oder überhaupt nicht im Saal anwesend ist und dann aufgrund einer Agenturmeldung einen Justizskandal wittert.
Hat man aber schon sehr, sehr viele Verfahren live mitverfolgt, erkennt man, dass die überwiegende Zahl der Entscheidungen, die von Berufsrichterinnen und -richtern sowie ihrer Laienkollegenschaft, Schöffinnen, Schöffen und Geschworenen, getroffen werden, durchaus nachvollziehbar ist. Und auch, dass im Zweifelsfall immer noch die nächste Instanz mitredet. Obwohl die Funktion des „embedded journalist“, also eines Medienmitarbeiters, der ganz nah am Geschehen ist und ständig mit denselben Personen zu tun hat, selbstverständlich die Gefahr birgt, dass man Teil des Systems und damit betriebsblind wird.
Dieser Gefahr lässt sich aber begegnen, wenn man zu den beruflichen Protagonistinnen und Protagonisten, seien es Verteidigerinnen, Richter oder Staatsanwältinnen, die gleiche Distanz oder Nähe hält. Mit manchen versteht man sich gut, zu anderen hat man ein sehr formelles Verhältnis. In die Berichterstattung sollte das tunlichst nicht einfließen, auch wenn es sich wohl nicht hundertprozentig vermeiden lässt.
Im Mittelpunkt stehen immer Angeklagte, Opfer und deren Geschichten. Und diese Geschichten sind manchmal verstörend, manchmal widerwärtig, manchmal empörend, manchmal nachvollziehbar und manchmal auch ziemlich lustig. Auf den folgenden Seiten findet ihr einige davon, die in den vergangenen Jahren in der österreichischen Tageszeitung DER STANDARD veröffentlicht wurden, und einige, die hier erstmals zu lesen sind. Nicht bei allen Verfahren ist es mir gelungen, festzustellen, ob das Urteil rechtskräftig geworden ist, daher wird dann die Version zum Zeitpunkt der Veröffentlichung verwendet.
Den aufsehenerregenden Großverfahren ist dabei nur ein Kapitel gewidmet. Der Grund: Viel öfter sind es die kleinen Prozesse, die Schlaglichter auf die Lebensrealität