Der Taubenhasser und das Fenster zum Hof. Michael Möseneder
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Der durchaus eloquente und gegelte Angeklagte nimmt auf der Beschuldigtenbank Platz, Zeuge W. betritt den Saal. Wer möglicherweise damit gerechnet hat, dass es sich bei ihm um einen grantigen Pensionisten mit viel Tagesfreizeit und wenig sozialen Kontakten handelt, wird überrascht: S. ist ein smarter 29 Jahre alter Verkäufer, der ruhig und überlegt auftritt.
Er schildert, dass er in der fraglichen Nacht aufgewacht sei, da gegen seine Tür gehämmert und getreten wurde. „Ich bin aufgestanden und habe mich etwa 30 Sekunden sammeln müssen. Das Pumpern und Hämmern habe ich im Vorraum weiter wahrgenommen, dann habe ich Herrn S. rufen hören: ‚Komm raus, ich stech dich ab!‘“
Er habe sich daher in sein Schlafzimmer zurückgezogen und den Notruf getätigt. „Die Polizei ist aber erst nach 50 Minuten gekommen“, rügt der Zeuge. „Es hat da ein Missverständnis gegeben, offenbar hat die Polizei das unter Lärmbelästigung abgespeichert, da es schon mehrere Vorfälle gab.“ Der Altbau sei recht hellhörig, stimmen Angeklagter und Zeuge zumindest in einem Punkt überein.
Im Laufe der Befragung stellen sich aber mehrere interessante Dinge heraus. So scheint W. bereits bald nach seinem Einzug begonnen zu haben, ein Protokoll über Lärmbelästigungen durch S. zu erstellen. Persönlich angesprochen hat er den Nachbarn darauf aber erst später, und das nur telefonisch. Dennoch ist er sich sicher, in der Tatnacht die Stimme seines Widersachers vor der Tür erkannt zu haben.
Für die Beschädigungen an der Tür, primär abgesplitterter Lack, will er 2855,40 Euro, zusätzlich 200 Euro für die psychische Beeinträchtigung. „Ich bin danach immer wieder aus dem Schlaf geschreckt und hatte einen Leistungsabfall in der Firma“, begründet er.
Dass in der ursprünglichen Anzeige die Polizei protokolliert hat, ihm sei mit: „Mach die Türe auf, sonst steche ich dich ab!“ gedroht worden, führt W. auf einen Irrtum der Beamten zurück.
Ein weiteres Malheur sei, dass der Zeuge von dem angeblichen Vorfall keine Videoaufzeichnung hat, beziehungsweise nur Teile davon. Denn nur wenige Tage zuvor hatte W. in 2,70 Meter Höhe eine Kamera mit Nachtsichtfunktion installiert, die den Gang filmt, sobald sich dort etwas bewegt.
„Das wird in einer Cloud gespeichert. Als ich es mir angeschaut habe, war auch noch Ton dabei. Als ich es heruntergeladen habe, fehlte der Ton leider“, sagt er. Da darüber hinaus sich die Aufnahmen angeblich nach einer Woche selbstständig löschen, habe er der Polizei nur einige stumme Sekunden abliefern können, wo S. vor der Wohnungstür zu sehen ist.
Überraschenderweise sagt W. auch, dass, als er das Video noch mit Ton sehen konnte, eine zweite Person mit dem Angeklagten im Gang gestanden sei. Dennoch ist er fix davon überzeugt, dass die Drohung vom Angeklagten stammen müsse, dessen Stimme er primär vom Telefon kenne. Und vom Gang, wenn er im Stockwerk darüber bei offener Tür lauschte, wie die von ihm ausgelösten Amtshandlungen wegen Lärmbelästigungen so liefen.
Auch S. bietet ein Video an: Das habe sein damaliger Begleiter aufgenommen, als sie zu zweit vor die Wohnungstür des Zeugen gingen. Er habe davon gar nichts gewusst, es sei aber deutlich zu hören, dass das Duo nur flüstere. S. klappt sein Apple-Notebook auf und fragt Kreuter, ob er den Film vorspielen soll, der Richter winkt allerdings ab. Da S. ja in dieser Nacht zugegebenermaßen zwei Mal vor W.s Tür gestanden ist, seien Aufnahmen von einem Vorfall irrelevant.
Staatsanwalt Filip Trebuch fasst die Sache in seinen Schlussworten konzis zusammen: „Es ist immer wieder erschreckend, wie weit solche Nachbarschaftsstreitigkeiten führen können.“ Die Beurteilung überlässt er alleine der Beweiswürdigung des Gerichts, das S. rechtskräftig freispricht.
Es stehe Aussage gegen Aussage, begründet Kreuter. Er finde es allerdings bemerkenswert, was man alles an technischem Gerät aufstellt, um dann erst recht nichts zu haben, spielt er auf W.s Kamera an. „In Summe ist das zu wenig“, schließt er die Verhandlung.
Aus dem Leben eines Blutchronikers, Teil 1
Am Ende eines jeden Kapitels möchte ich gerne ein paar Fragen beantworten, die mir immer wieder von interessierten Leserinnen und Lesern gestellt werden. Ganz oben auf dieser Liste: Wie kommt man als Gerichtsreporter eigentlich zu guten Geschichten?
Da gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie in der branchenintern „Blutchronik“ genannten Kriminal- und Justizberichterstattung generell. Man kann von Verteidigerinnen, Richtern, Staatsanwältinnen, ja selbst Angeklagten darauf hingewiesen werden. Ich für meinen Teil verlasse mich auch gerne auf den Zufall und Intuition. Es gibt auch die sogenannten „Saalzettel“, auf denen die angeklagten Delikte und die Namen der beteiligten Personen ersichtlich sind. Mitunter kann man sich da schon ausmalen, ob es um einen Familienstreit oder eine Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit geht. Akademische Titel oder manche Vornamen können auch darauf hindeuten, dass es interessant werden könnte. Und manche Prozesse klingen banal, wenn man nur den angeklagten Paragrafen betrachtet, entpuppen sich dann aber als wahre Perlen, wenn man die Protagonisten sieht. Da ist es natürlich von Vorteil, wenn man seine Arbeitszeit nicht vor einem Computermonitor im Büro verbringt, sondern durch die Gänge der Gerichtsgebäude streifen kann. Wenn man das ein paar Jahre macht, ergeben sich dann auch die informellen Kontakte, über die man an interessante Informationen kommt.
Wenig bekannt ist, dass sich auch Einhörner im „Grauen Haus“ entdecken lassen.
Kapitel 2:
Die Richter und das liebe Vieh
Unsere vierbeinigen, bepelzten, gefiederten oder beschuppten Freunde sind für viele Menschen ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens. Nicht immer werden die Haus- oder Wildtiere aber korrekt behandelt – entweder, weil sie selbst oder ihre Besitzer das Ziel einer Aggression sind. Auf den folgenden Seiten geht es um gewaltsam aus dem Leben geschiedene Meerschweinchen und Hunde als Kollateralschaden von Nachbarschaftsstreitigkeiten. Aber auch um das Gefahrenpotenzial durch falsch erzogene oder schlecht abgerichtete Tiere, die Menschen töten können.
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