Der Taubenhasser und das Fenster zum Hof. Michael Möseneder

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Der Taubenhasser und das Fenster zum Hof - Michael Möseneder

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kennen das Prozedere nicht und sind dadurch besonders verletzlich. Ziel ist dabei nicht, jemanden vor die Scheinwerfer zu zerren oder das Publikum mit einem Sozialporno zu bespaßen. Sondern vielmehr, zu zeigen, dass es verschiedene Wirklichkeiten gibt, die man sich oft gar nicht vorstellen kann. Die aber Handlungen nachvollziehbarer machen, wenn man ein wenig darüber nachdenkt. Denn von einem Umstand kann man ausgehen: Niemand ist gefeit davor, selbst einmal auf dem Anklagestuhl zu sitzen, auch jene nicht, die am lautesten nach Law & Order rufen.

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      Eigene Fischarten werden im Straflandesgericht nicht gezüchtet, die Renovierung lässt einfach bereits seit Jahren auf sich warten.

       Wenn man seinen

       Ohren kaum traut

      Nicht immer weiß man als Gerichtsreporter im Vorhinein, was einen genau erwartet, wenn man von einem Prozess erfährt. Manche Geschichten hören sich dramatisch an, bieten dann aber wenig Grund, darüber zu berichten. In anderen Fällen ist es umgekehrt: Erst im Verhandlungssaal kommen kuriose Begebenheiten ans Licht. Einige dieser Geschichten findet ihr hier versammelt: Es geht um Büropflanzen und ihre Lichtbedürfnisse, Cheeseburger als Mittel zur Nothilfe und Chefinnen, die Mitarbeiter inkognito dazu bringen, ein Kind zu missbrauchen.

      Wenn eine Richterin „Hat der noch gelebt?“ fragt, wird gemeinhin ein Schwerverbrechen verhandelt. Im Prozess wegen schwerer Körperverletzung gegen Eva M. ist das glücklicherweise nicht der Fall. Die besorgte Erkundigung von Richterin Nicole Baczak gilt nämlich einer Pflanze. Die soll die 44-jährige Angeklagte samt Topf einer Untergebenen auf den Fuß geschmissen haben, wodurch sich die Frau einen Fußknochen gebrochen hat.

      Schauplatz ist eine Kanzlei des Verteidigungsministeriums. Frau M. ist dort Amtsdirektorin; bis zum Vorfallstag, dem 8. August 2016, teilte sie sich mit Frau J. das Zimmer. Die scheint eine Pflanzenliebhaberin zu sein, vier Stück, darunter zwei Birkenfeigen, besser bekannt unter dem Namen Ficus, und einen Elefantenfuß stellte sie ins Büro.

      Als Frau J. im Sommer auf Urlaub war, fasste die Angeklagte einen Plan. „Es war so heiß, daher habe ich die Pflanzen von der Fensterbank genommen, damit man lüften kann, und einen Ficus umgestellt. Da habe ich auch bemerkt, dass der Lichteinfall viel besser geworden ist, man hat kein elektrisches Licht mehr gebraucht“, schildert sie.

      Am Tattag kam die Kollegin aus dem Urlaub zurück. „Sie ist in die Teeküche gegangen, die ist geputzt worden. Dann hat sie gleich gefragt, wer ihre Sachen umgeräumt hat“, erzählt die Unbescholtene. Dramatisch wurde die Situation dann, als Frau J. in ihrem Zimmer den 1,60 Meter hohen Ficus nicht sah. „Sie hat gefragt, wo er ist, und ich habe ihr gesagt, er steht neben der Tür.“

      Aus Sicht der Besitzerin ein schlechter Platz, sie wollte ihn offenbar wieder näher ans Licht stellen. „Ich habe ihr dann eine Dienstanweisung erteilt, dass sie die Stöcke wegstellen muss“, erinnert sich die Angeklagte. „Sie haben ihr eine Dienstanweisung erteilt?“, fragt Baczak ungläubig. Nicht nur das hat sie, sie wollte auch den Vorgesetzten um eine letztinstanzliche Entscheidung bezüglich des Pflanzenstandorts bitten.

      „Bis dahin wollte ich den Stock von der Fensterbank nehmen. Er ist mir aber ausgerutscht und auf den Boden gefallen.“ Frau J. habe sie dabei nicht getroffen. „Sie hat dann aber gesagt, ich hätte mich erschreckend verändert“, berichtet Frau M. weiter. Dann habe die Kontrahentin alle Blumentöpfe ins Auto getragen und sich krankgemeldet.

      „Wer hat den Unfall gesehen, also quasi das Attentat des Blumentopfes?“, erkundigt sich die Richterin. Sie erfährt, dass es keine unmittelbaren Zeugen gibt. Andere Mitarbeiter würden aber bezeugen können, dass Frau J. weder über Schmerzen geklagt hat noch gehumpelt ist.

      Frau J. erzählt naturgemäß eine ganz andere Geschichte. „Ich habe nach dem Urlaub den Dienst angetreten. Als ich gekommen bin, war eine ganz eigenartige Stimmung, eher feindselig“, erzählt sie schluchzend. Als sie sich wegen der Teeküche erkundigte, habe sie eine barsche Antwort bekommen, die sie so verstört zu haben scheint, dass sie ihren Ficus übersah.

      Als sie diesen wieder auf seinen angestammten Platz stellen wollte, sei die Situation eskaliert. „Die Frau Amtsdirektor ist herübergestürmt und hat mit der Hand den Blumentopf vom Fensterbrett geschmissen“, behauptet die 49-Jährige. Der rund fünf Kilo schwere Topf habe sie mit der Kante dann am Fuß erwischt.

      „Ich war geschockt und wollte nur noch weg“, daher habe sie die Streitobjekte in ihren Wagen verfrachtet und sei zum Hausarzt gefahren. Der habe sie zum Röntgen geschickt, im Spital sei ihr dann gesagt worden, dass das sogenannte Sesambein im linken Fuß gespalten sei.

      Als Anhängerin von Naturmedizin verweigerte sie die verschriebenen Schmerzmittel, wegen ihrer Arthritis wollte sie auch keinen Gips. Der Knochenbruch habe weitere Folgen gehabt – einige Zeit später stieß sie, da sie nicht richtig auftreten konnte, gegen einen Türstock und brach sich die kleine Zehe. Drei Monate war sie insgesamt im Krankenstand.

      „Waren Sie früher sportlich?“, stellt der medizinische Sachverständige Christian Reiter eine zunächst überraschend klingende Frage. „Ja, ich bin gelaufen, geklettert, gewandert“, bekommt er als Antwort. „Wollen Sie Schmerzensgeld?“, erkundigt sich die Richterin noch. „Ja, mein Anwalt hat gesagt, ich kann das fordern. Ich weiß aber nicht, wie viel.“

      Ein Umstand, der keine Rolle mehr spielt, als Reiter sein anhand der Röntgenbilder und der Krankenhausakte erstelltes Gutachten erläutert. „Die Dreiteilung des Sesambeines muss deutlich vor dem 8. August passiert sein“, stellt er nämlich fest. „Eine derartige Verletzung passiert meistens bei einem Sprung aus großer Höhe. Es kann aber auch eine Ermüdungsfraktur sein, die bei Läufern vorkommt.“

      Wäre Frau J. von einer Blumentopfkante getroffen worden, hätte es zusätzlich noch andere Symptome geben müssen. Aus seiner Sicht könne die Zeugin sich daher maximal eine Prellung zugezogen haben, falls sie überhaupt getroffen worden sei. „Vereinfacht gesagt: Da war kein Blumentopf?“, bringt die Richterin es auf den Punkt. „Ich würde mit wesentlich schwereren Verletzungen rechnen, wenn es einen gegeben hätte“, antwortet der Experte.

      Die logische Folge ist ein nicht rechtskräftiger Freispruch für Frau M., Frau J. nimmt ihn wortlos zur Kenntnis und verlässt den Saal. Die beiden Frauen arbeiten mittlerweile übrigens an unterschiedlichen Standorten.

      Es ist quasi eine Vermögensumverteilung auf eigene Faust gewesen, die Margarethe S. begangen hat. Die 68-Jährige ist nämlich der Meinung, vom Leben benachteiligt worden zu sein. Die Pensionistin hat daher beim TV-Shoppingsender QVC eine umfangreiche Bestellung aufgegeben. Als Käufernamen verwendete sie allerdings den einer Bekannten, bezüglich der Rechnung hielt sie sich an den italienischen Literaturnobelpreisträger Dario Fo: „Bezahlt wird nicht!“ Daher muss Richter Ulrich Nachtlberger entscheiden, wie er diesen Betrug bestraft.

      Ihr Motiv schildert die Unbescholtene unter Tränen. „I hob mei gonz’ Leben hoat goabeit“, sagt sie. Wegen ihres Expartners sei sie in Konkurs gewesen, offenbar ist ein geschäftliches Unternehmen gescheitert, und der Herr zog es vor, die Verbindlichkeiten auf sie abzuwälzen.

      Dazu kommen Pfändungen wegen weiterer Schulden und Forderungen des Finanzamts, die ebenso noch aus dem Unternehmertum stammen. Von ihrer Pension bleiben ihr lediglich 965 Euro zum Leben. „I

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