Fettnäpfchenführer Taiwan. Deike Lautenschläger

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Fettnäpfchenführer Taiwan - Deike Lautenschläger Fettnäpfchenführer

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      Alle Generationen am Frühstückstisch sind in Taiwan aufgewachsen und sprechen trotzdem verschiedene Sprachen – abhängig von der politischen Lage und der nationalen Identitätsfindung, in der sie aufgewachsen sind. Queenies Großmutter spricht, wie 60 Prozent der Bevölkerung Taiwans, Taiwanisch – das haben die Vorfahren vor 300 Jahren aus den chinesischen Provinzen Fujian und Guangdong mitgebracht. Mit der japanischen Kolonisation von 1895 bis 1945 waren die Menschen auf Taiwan gezwungen, Japanisch zu lernen und es im öffentlichen Leben zu sprechen. Nach dem chinesischen Bürgerkrieg im Widerstand gegen Mao Zedong propagierte die nach Taiwan geflüchtete Kuomintang dann nach 1949 Hochchinesisch bzw. Mandarin – auch als Amtssprache, um sich als Gegenregierung für ganz China darzustellen. An den Schulen war es verboten, Taiwanisch zu sprechen, und man musste sogar für ein taiwanisches Wort eine Geldstrafe in die Klassenkasse zahlen. Auch wenn sich vor allem im Süden der Insel Hochchinesisch nie ganz durchgesetzt hat, so hat doch die Sprachpolitik ihre Spuren hinterlassen: Taiwanisch wurde lange Zeit als Sprache der groben, ungehobelten, ungebildeten Menschen angesehen und von Mädchen und Frauen kaum gesprochen. Unter Männern lässt sie jedoch in bestimmten Situationen ein Gefühl von Vertrautheit und Kumpelhaftigkeit aufkommen, besonders wenn es darum geht, einen Preis auszuhandeln oder um einen Gefallen zu bitten.

      Heute sucht Taiwan seine eigene kulturelle und politische Identität und will nun die lange unterdrückte Sprache wiederbeleben. Obwohl die Unterrichtssprache an staatlichen Schulen immer noch Mandarin ist, müssen die Schüler nun auch Taiwanischkurse besuchen.

      5

      差不多 … – CHÀBUDUŌ … – SO IN ETWA …

       EIN PENTHOUSE IN GÖTTLICHER NACHBARSCHAFT

      »Ähm, wie soll ich es sagen … mein Mann kommt früher aus China zurück. Deshalb brauche ich die Couch und du musst dir schon früher etwas Neues suchen«, verkündet Queenie am nächsten Morgen der vom Jetlag übermüdeten Sophie. Die fällt aus allen Wolken. Sie hat zwar schon in örtlichen Internetforen nach einem Zimmer gesucht, aber eher entspannt, denn sie hatte ja die Couch noch für fünf Tage. Nun wird es plötzlich dringend.

      »Aber du meintest doch bei Couchsurfing, sieben Tage wären kein Problem.«

      »Drei Tage, sieben Tage … Chàbuduō – So in etwa.«

      »Und dein Mann braucht die Couch?«

      »Ja, wir haben Streit, weil er mit einer anderen Frau zusammen ist, während er in China arbeitet, mit einem Flittchen vom Festland nämlich«, und dabei rümpft Queenie die Nase. »Denkt er, ich bin dumm und merke das nicht? Ich bin zwar schwanger, aber nicht dumm …«, schimpft sie weiter.

      »Du bist schwanger?«

      »Chàbuduō – So in etwa. Naja, nicht richtig, aber bald.«

      Sophie ist von der plötzlichen Informationsflut überwältigt und klickt angestrengt im Internet die Mitbewohnergesuche von WGs und die Angebote für die sogenannten studio apartments durch. Wenn der Mann kommt, möchte sie lieber nicht mit ihrer Anwesenheit stören. Zwei Adressen hat sie schließlich abgeschrieben, zwei Besichtigungstermine per E-Mail und WhatsApp ausgemacht.

      »Ich komme mit«, meint Queenie. Sophie vermutet ein schlechtes Gewissen und ist froh, nicht allein losziehen zu müssen. Ein bisschen Abenteuer – ja, gern. Halsbrecherisches Wagnis à la Mietverhandlungen ohne Sprachkenntnisse in einer fremden Stadt – nein, danke.

      Und was könnte es für einen besseren Tag als diesen geben, ein Zimmer zu suchen: Die Sonne flimmert auf dem Asphalt, der Himmel ist hellblau und es weht ein Lüftchen, das einen ahnen lässt, dass das Meer nicht fern ist. Die alte Frau gegenüber winkt wieder, als Sophie und Queenie die Gasse zum anderen Ende hinuntergehen, dorthin, wo sie die Hauptstraße kreuzt und die Busse halten. Queenie stöhnt: »Chàbuduō 30 Grad, wie schrecklich heiß!«

      Sie hat den Schirm aufgespannt und weiße Sonnencreme ziemlich dick auf allen freiliegenden Körperstellen aufgetragen. In Sekundenschnelle streicht sie mit dem Zeigefinger den Busplan entlang und überfliegt mit den Augen die chinesischen Zeichen. Sophie beobachtet sie fasziniert und hofft, dass sie in nicht allzu langer Zeit wenigstens halb so schnell Chinesisch lesen kann.

      »Der hier müsste dahin fahren. Chàbuduō – So in etwa. Los!«, ruft sie und drückt Sophie eine Yōuyóukǎ, eine wiederaufladbare Chipkarte für den Nahverkehr, auch Easy Card genannt, in die Hand.

      Beim Einsteigen bemerkt Sophie zwei chinesische Zeichen, die auf der Anzeige über dem Busfahrer leuchten. Das erste Zeichen sieht aus wie ein T, das auf dem Kopf steht, mit einem kleinen Strich rechts am Fuß.

      »Steht das T verkehrt herum wie jetzt, musst du mit der Yōuyóukǎ bezahlen, wenn du einsteigst, steht das T richtig herum, musst du bezahlen, wenn du aussteigst.«

      Also schon das Bezahlen im Bus hängt vom Verstehen der chinesischen Zeichen ab, ganz zu schweigen von den Stationen, die alle chinesische Namen haben. Alles klingt gleich, alles klingt wie ein einziges chingchongchungchingchongchung … Bei Sophie macht sich eine leichte Panik breit. Wie soll sie hier ohne Chinesischkenntnisse überleben?

      »Dào le!«, ruft Queenie und drückt auf die Aussteigeklingel. Sobald ihre Füße jedoch den Asphalt berühren, runzelt sie die Stirn und sieht auf ihre Navigations-App: »Chàbuduō 20 Minuten zu Fuß, wir sind mit dem falschen Bus gefahren und dann auch noch zu zeitig ausgestiegen.«

      »Aber in fünf Minuten ist der Besichtigungstermin«, drängelt Sophie in deutscher Pünktlichkeit.

      »Zeit ist in Taiwan auch chàbuduō. Das schaffen wir noch, wir nehmen einfach ein Taxi«, weiß Queenie Rat, winkt eins der gelben Autos heran und übergibt Sophie das Wort.

      »Tōng’ān Jiē«, lässt Sophie den Fahrer die Zielstraße wissen, und tatsächlich sind sie in zehn Minuten da. Nur vom Vermieter, der über WhatsApp meinte, er warte vor dem Haus, ist nichts zu sehen. Als dieser dann noch mal schreibt, er stehe vor dem Haus, wird Queenie stutzig.

      »Wie heißt die Straße noch mal? Wo steht das? Hast du die chinesischen Zeichen?«

      »Tōng’ān Jiē. Ich habe nur die Lautumschrift aufgeschrieben. Ich kann doch keine chinesischen Zeichen schreiben.«

      »Ja, aber heißt die Straße ng’ān Jiē oder Tóng’ān Jiē? Tōng, erster Ton, oder Tóng, zweiter Ton?

      »Chàbuduō?«, meint Sophie mit fragender Stimme, die froh ist, auch endlich mal etwas als chàbuduō bezeichnen zu können.

      »Nicht chàbuduō. Du musst schon die vier Töne mitschreiben. Beide Straßen gibt es und ich schätze mal, wir stehen genau in der falschen.«

      Und tatsächlich kommen sie 15 Minuten später in der richtigen Tóng’ān Jiē an, und vor dem Haus wartet auch noch der Vermieter. Queenie telefoniert auf der Straße lautstark mit ihrem Mann, also gehen Sophie und Herr Liu, wie sich der Vermieter im perfekten amerikanischen Englisch vorgestellt hat, allein die Stufen des alten Hauses nach oben, vorbei an vergitterten Türen mit Schuhbergen davor, an abgeblätterter Wandfarbe und an milchigen Treppenhausfenstern. Sophie hat in Gedanken schon abgeschlossen, dass dieses Haus ihre zukünftige Bleibe sein könnte.

      »Ich weiß, wonach Ausländer

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