Fettnäpfchenführer Taiwan. Deike Lautenschläger
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Читать онлайн книгу Fettnäpfchenführer Taiwan - Deike Lautenschläger страница 6
Auch daran hat Sophie noch gar nicht gedacht. Einfach so ist sie ja losgefahren. Ihre Ersparnisse reichen vielleicht vier oder fünf Monate, dann wird es eng und sie muss sich etwas einfallen lassen.
Wenigstens hat sie schon mal zwei Bekannte in Taiwan, und damit sind auch die Feiertage gerettet.
Endlich hat sie Zeit, sich etwas zu entspannen und den Flug zu genießen. Die ganzen Verabschiedungen und das Packen der letzten Tage haben sie müde gemacht. Sie beobachtet in Gedanken versunken die Wassertropfen, die sich in der Scheibe des Fensters gesammelt haben und langsam zu kleinen Eiskristallen vor dem dunklen Himmel erstarren.
Aber die Ruhe währt nicht lang. Schon wird das Essen serviert, und kaum steht es auf dem kleinen Klapptisch vor ihnen, beginnt ein reger Austausch zwischen Po-han und seiner Freundin Mei-yin zwei Reihen hinter ihm. Mal tauschen sie untereinander das zum Essen gereichte Brötchen mit dem Croissant, mal gibt Po-han seiner Mei-yin den Früchtesnack ab. Zum Schluss bringt Mei-yin ihren Tee, und als sie den auf Po-hans Tablett abstellen will, gibt es eine kurze Turbulenz, das Flugzeug wackelt stark und der Tee landet auf Sophies Jeans.
»Bùhǎoyìsi! – Entschuldigung!«
Nach einer Schrecksekunde blickt Sophie von ihrer durchnässten Hose zu Po-han neben sich. Der lächelt. Und die im Gang stehende Mei-yin kichert sogar leise.
»Bùhǎoyìsi! – Entschuldigung!«, sagen sie im Chor und lächeln immer noch.
Sophie spürt eine Hitze in sich aufsteigen – nicht nur die vom warmen Tee auf ihrem Bein, sondern auch eine Hitze aus ihrem Bauch, die schnell in ihr Gesicht, ihre Ohren und Wangen wandert.
Die belächeln mich. Die schütten mir den Tee auf die Hose und dann lachen sie. Sie machen sich lustig über mich, über mich in meiner nassen Hose. Ist das denn lustig? Schämen sollten sie sich was! Sophie lässt eine innerliche Schimpftirade los. Äußerlich sieht man nur ihren hochroten Kopf.
»Bàoqiàn! Bàoqiàn! Duìbùqǐ! Entschuldigung!«
»Die Sitzplätze in Reihe 4 bringen also wirklich Unglück«, schnaubt Sophie wütend.
Was ist diesmal schiefgelaufen?
Nicht nur Luftlöcher lauern über den Wolken, sondern auch Fettnäpfchen. Und Sophie hat gleich zwei davon erwischt.
Pfeifen lockt Geister an. Was im Geistermonat Unheil bringt, ist in brenzligen Situationen – zum Beispiel wenn man in der vierten Reihe sitzen muss – nicht weniger verhängnisvoll. Geister sind böse und versuchen, einen in die Unterwelt hinabzuziehen. So könnte ein Pfeifen im Flugzeug dieses schnell und unsanft auf den Boden zurückholen und seine Passagiere ins Jenseits befördern. Übrigens können die meisten Taiwaner auch gar nicht richtig pfeifen. Wie auch? Sie können und wollen es ja nie üben.
Wie viele Länder in Asien ist auch Taiwan ein Land des Lächelns. Taiwaner sind freundlich und freuen sich, Menschen aus anderen Ländern zu treffen und kennenzulernen. Aber ein Lächeln hat viele Funktionen: Wenn ihnen etwas peinlich ist, lächeln Taiwaner auch, und besonders Taiwanerinnen kichern sogar. Sie versuchen dadurch, ihr Gesicht zu wahren. Das wird schnell falsch interpretiert: als ungeübter Asienreisender denkt man schnell, sie lachen über einen, lachen einen aus oder sie haben es vielleicht gar mit Absicht getan. Dem ist aber nicht so. So peinlich berührt wie Sie sich wahrscheinlich durch das Lächeln fühlen – dem Lächelnden ist es garantiert mindestens dreimal peinlicher als Ihnen.
Es gibt übrigens drei Arten, sich zu entschuldigen. Am meisten hört man im alltäglichen Leben wohl bùhǎoyìsi. Man verwendet es in kleinen peinlichen Situationen, wenn man sich irgendwo durchdrängelt, zu spät kommt, jemanden unterbricht oder mit einer Frage oder Bitte behelligt. Für ein duìbùqǐ muss man sich einen richtigen Patzer erlaubt haben. Es bedeutet so viel wie »Ich stehe in deiner Schuld«, sei es, weil man jemandem auf den Fuß getreten ist, etwas kaputt gemacht oder einen Geburtstag vergessen hat.
Bei noch größeren Vergehen sagt man mit bàoqiàn wortwörtlich, dass man »Reue« bzw. »Bedauern« verspürt.
Was können Sie besser machen?
Machen Sie kein großes Aufheben und reagieren Sie vor allem nicht gekränkt oder verärgert, sollte ein Taiwaner mit einem Lächeln oder Kichern versuchen, sich bei Ihnen zu entschuldigen. Lächeln Sie auch zurückhaltend und bleiben Sie ruhig. Ein Gesichtsverlust ist schwer wieder gutzumachen. Ein méi guānxi! von Ihnen – Macht nichts! – und schon haben Sie sich und Ihr Gegenüber aus einer peinlichen Situation befreit. Der Taiwaner wird es Ihnen danken und bestimmt genauso großzügig über Ihr nächstes Fettnäpfchen hinwegsehen.
說到 … APROPOS … ZAHLEN IN TAIWAN
Was bei uns die Dreizehn ist, ist in Taiwan die Vier, nur dass hier der Aberglaube noch stärker und weiter verbreitet gelebt wird. Sì, »vier«, klingt so ähnlich wie sǐ, »Tod« oder »sterben«. Daher würde in Taiwan niemand gern in eine Etage ziehen, die wie »Sterbeetage« klingt, eine tödliche Anzahl von Gästen einladen – sei es auch nur, dass die Vier eine Ziffer in der Gästezahl ist. Man würde sich, wenn möglich, nicht in die todbringende Reihe vier im Flugzeug setzen, nie einen Geldbetrag schenken, in dem die Ziffer vier vorkommt – man würde ja den Tod verschenken. Kurz und gut, die Vier wird in allen Lebensbereichen tunlichst vermieden.
Ganz anders steht es da um die Zahl sechs, liù, die, im Klang gleich mit »gleiten« und ähnlich mit liú, »fließen«, eben alles »flutschen« lässt.
So hat jede einzelne Zahl im Chinesischen ihre besondere Bewandtnis – Glück verheißend oder Pech bringend und stets präsent im tagtäglichen Leben von Jung und Alt.
說到 … APROPOS … REISEZEIT UND ARBEITSSUCHE
Plant man in Taiwan eine Arbeit zu finden, ist es tatsächlich gut, in der Zeit um das chinesische Neujahr anzureisen, denn kurz vor dem chinesischen Neujahrsfest werden bei den Jahresend-Banketts der Firmen (den sogenannten wěiyá) die Bonus-Gehälter an die Mitarbeiter ausgezahlt. Ist das einmal geschehen, setzt ein Bäumchen wechsle dich im Arbeitsmarkt ein, und viele, die nur des Bonus wegen bis Ende des Mondjahres ihrem alten Arbeitgeber treu geblieben sind, suchen sich eine neue Stelle. Oft werden dann Positionen frei und Firmen suchen nach neuen Mitarbeitern.
Wie in vielen Ländern ist auch hier ein Vorstellungsgespräch von Angesicht zu Angesicht wichtig. Bewirbt man sich von Deutschland aus für eine Stelle in Taiwan, zeigen sich Arbeitgeber zwar oft interessiert, wollen aber verständlicherweise den 9.000 Kilometer entfernten Bewerber erst in Taiwan sehen, bevor sie näher darüber nachdenken, ihn einzustellen.
Sollte man als Tourist nach Taiwan kommen und keine Einheimischen kennen, bei denen man das familiäre Fest verbringen kann, ist das chinesische Neujahr eher eine schlechte Zeit für eine Reise: circa eine Woche lang sind Geschäfte und Restaurants größtenteils geschlossen, Tempel und Verkehrsmittel restlos überfüllt, Flüge und Hotels komplett ausgebucht, die Straßen der Innenstädte wie leergefegt. Die beste Reisezeit ist der Frühling oder der Herbst.
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到了! – DÀO LE! – ANGEKOMMEN!