Fettnäpfchenführer Taiwan. Deike Lautenschläger

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Fettnäpfchenführer Taiwan - Deike Lautenschläger Fettnäpfchenführer

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hat Sophie auf Wikipedia herausgefunden, dass sie nicht irgendein Chinesisch lernen will, sondern Hochchinesisch bzw. Mandarin. Auf Google gibt sie »learn Mandarin University« ein und kommt nach den ersten paar Suchergebnissen auf die Webseite des Mandarin Training Centers, einem Sprachzentrum der National Taiwan Normal University. Drei Monate Sprachkurs, zwei Stunden täglich, Beginn Anfang März, mit Option auf Verlängerung – das passt. Adresse: Taiwan, ROC – Republic of China. Die Online-Anmeldung ist schnell ausgefüllt, eingescannte Dokumente angehangen. Das Jahr ist noch keine Stunde alt, da drückt Sophie auf Senden und schickt ihre Bewerbung ab.

      Und als diese Entscheidung einmal getroffen ist, scheint alles andere ganz von allein zu passieren. Schnell ist der Bürojob in einer PR-Agentur gekündigt, die Wohnung aufgelöst, Jans Sachen in Kisten geworfen und vor seinem Elternhaus abgestellt, die Möbel verkauft, die eigenen Sachen bei Freunden im Keller deponiert, die verstaubten Ordner und Bücher über Kommunikationsmanagement vom Studium zum Altpapier gebracht … Einfach so, denkt Sophie bei jedem Punkt, den sie auf ihrer Liste als erledigt abhakt. Und jedes »Einfach so« ist wie ein Schlag in Jans Bierbauchansatz.

      Ende Januar steht Sophie vor der Taipeh-Vertretung in Berlin, um ihr Visum abzuholen. Voller Tatendrang streicht sie ihre Winterjacke glatt. Die blonden Locken hat sie hochgesteckt. Sogar die verhassten hochhackigen Schuhe, die sie immer heimlich unter dem Schreibtisch in der PR-Agentur abgestreift hat, hat sie heute angezogen. Ein paar Zentimeter mehr zu ihrer zierlichen Statur sollen ihr Selbstvertrauen und ihren Durchsetzungswillen stärken.

      Etwas merkwürdig findet sie es, dass sie laut Unterlagen vom Mandarin Training Center zur Taipeh-Vertretung und nicht zur chinesischen Botschaft muss, schließlich will sie ja in die Republic of China. Taipeh muss wohl eine so große Stadt sein, dass sie ihre eigene Botschaft hat.

      »I would like to have a visa for China, please«, sagt Sophie am Schalter zu dem kleinen Herrn im dunkelgrauen Anzug und schiebt ihren Reisepass durch die Öffnung am Fenster.

      »Entschuldigen Sie vielmals, aber da sind Sie hier falsch«, antwortet dieser mit leiser, fester Stimme im perfekten Deutsch und lächelt betreten, dabei schiebt er den Reisepass zurück. »Hier ist die Taipeh-Vertretung in der Markgrafenstraße. Für die Volksrepublik China müssen sie zum Märkischen Ufer.«

      Einfach so beginnt der Ärger schon mit dem Visum, denkt Sophie entmutigt, nimmt ihren Pass und dreht sich zur Tür. Da fällt ihr gerade noch rechtzeitig ein, dass sie nie etwas von Volksrepublik gelesen hat, sondern immer nur Republik China.

      »Oder wollen Sie vielleicht nach …«

      »… Taipeh, nach Taipeh in Taiwan will ich«, fällt ihm Sophie ins Wort.

      »Ja, dann sind sie hier richtig. Nach Taiwan, in die Republik China wollen Sie also, nicht in die Volksrepublik China.«

      »Ist das nicht dasselbe … mit oder ohne Volk im Namen? Gibt es in Taipeh kein Volk?«

      Der Botschaftsangestellte lächelt nachsichtig und sieht ihre Unterlagen an, darunter die schriftliche Zusage des Sprachzentrums: »Huānyíng guānglín! – Willkommen!«, sagt er freundlich zu ihr.

      Sophie sieht ihn stumm mit großen Augen an. Er nickt nur kurz, sagt dann nichts weiter und beginnt mit seiner Arbeit.

      Als Sophie nach Hause kommt – sie ist inzwischen wieder bei ihren Eltern eingezogen –, schwenkt sie ihren Pass mit Visum darin. »Ich fahre nach Taiwan!«

      »Da willst du hin? Da war doch erst dieser schreckliche Tsunami«, meint Sophies Mutter besorgt, die Taiwan mit Thailand verwechselt, und Sophies Vater ist, wie Sophie noch vor wenigen Stunden, davon überzeugt, dass sie nach China fliegt, was am Ende das Gleiche wie Vietnam gleich nach dem Vietnamkrieg sei, und das sei ja so gut wie Nordkorea.

      Im Internet sucht Sophies Familie dann gemeinsam auf der Website des Auswärtigen Amtes: »Deutschland erkennt Taiwan nicht als souveränen Staat an und unterhält deshalb keine diplomatischen Beziehungen zu Taiwan.« Wenigstens ist aber kein landesspezifischer Sicherheitshinweis vermerkt. Trotzdem machen sich nun alle etwas Sorgen: Sophie fährt in ein Land, das offiziell gar nicht existiert?

      Die anderen Verwandten und Sophies Freunde schütteln später auch fragend den Kopf. »Made in Taiwan« kennen sie alle, aber wo soll dieses Taiwan denn liegen?

      Sophie checkt noch einmal ihre E-Mails. Nichts von Jan. Dann klickt sie auf »Buchung bestätigen« – und damit ist ihr Flug nach Taipeh gebucht. Einfach so. Da es einen Flughafen und Flugtickets dorthin gibt, muss dieses Taiwan auch tatsächlich existieren. Und nächste Woche wird sie schon dort sein.

       Was ist diesmal schiefgelaufen?

      Noch bevor Sophie taiwanischen Boden betritt, hat sie einfach so schon das erste Fettnäpfchen erwischt: Taiwan ist nicht China. Und der Ort, an dem Sophie ihr Visum beantragt, heißt Taipeh-Vertretung, weil Deutschland Taiwan nicht anerkennt, nicht, weil Taipeh eine so große Stadt ist. Auch Sophies Familie und Freunde liegen falsch: So wenig wie die Schweiz und Schweden dasselbe Land sind, so wenig ist Taiwan gleich Thailand. Taiwan, mit offiziellem Namen Republik China, ist auch nicht die Volksrepublik China, selbst wenn es ähnlich klingt.

      Die Taiwaner sehen es gelassen – sie wissen, dass Taiwan eine kleine Insel und ein kleines Land ist. Das wird sie aber nicht davon abhalten, Unwissende stolz und energisch über ihre Heimat und deren politische Situation aufzuklären.

      Wenn Sie nach Taiwan fahren, dann fahren Sie in ein anderes China, in einen melting pot aus Chinesen, die in verschiedenen Einwanderungswellen und aus allen Ecken Chinas auf der Insel eintrafen, aus Ureinwohnern, Migranten, Chinesischschülern aus der ganzen Welt, Expats – also internationalen Fachkräften – und zurückgekehrten Auslandschinesen, gewürzt mit Einflüssen aus der japanischen Kolonialzeit und der heutigen koreanischen und japanischen Pop-Kultur. Viele Traditionen, die auf dem chinesischen Festland mit der Kulturrevolution längst verschwunden sind, sind hier erhalten geblieben und werden gepflegt – selbst von der jungen Generation und im modernen Alltag.

       Was können Sie besser machen?

      Wenn Sie nach Taiwan reisen, haben Sie keine Angst! Für konsularische Dienstleistungen (Visa- und Passangelegenheiten, Beglaubigungen etc.) oder sonstige Hilfe, z. B. in Notfällen, gibt es auf beiden Seiten zwar keine Botschaften, dafür aber sogenannte Auslandsvertretungen, die genau dieselbe Funktion erfüllen. Die Taipeh-Vertretung in Deutschland sitzt in Berlin und hat auch Büros in Hamburg, München und Frankfurt am Main. Das Deutsche Institut Taipeh sitzt hoch über den Dächern der Millionenstadt im Hochhaus Taipeh 101 – schwer zu verfehlen. Beruhigen Sie Ihre Verwandten und Freunde. Sie fahren in ein sicheres, modernes Land. Seien Sie aber trotzdem vorsichtig. Unfälle passieren natürlich in Deutschland wie auch in Taiwan.

      說到 … APROPOS … GESCHICHTE VON TAIWAN

      Die Insel Taiwan wurde 1517 von den Portugiesen entdeckt. Sie nannten sie Ilha Formosa – schöne Insel. Circa hundert Jahre später ging sie von den Niederländern an die Spanier, dann 1662 kurz an einen vor den Mandschuren flüchtenden chinesischen Armeeführer. 1682, in der Qing-Dynastie, wurde Taiwan dem chinesischen Festland angegliedert, dann 1895–1945 von Japan kolonialisiert. 1949 flüchtete Chiang Kai-shek mit zwei Millionen Anhängern vor Mao Zedong und den Kommunisten von Festlandchina nach Taiwan und rief hier die provisorische Regierung der Republik China aus. In den 1980er-Jahren entwickelte sich Taiwan langsam von einer Militärdiktatur zu einer

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