Fettnäpfchenführer China. Anja Obst

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Fettnäpfchenführer China - Anja Obst Fettnäpfchenführer

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war zwar anstrengend gewesen, aber ich bin gespannt auf eine deutsche Party. Natürlich sage ich zu.

      Dort angekommen, fragt mich die Gastgeberin, was ich trinken möchte. Nach der langen Reise bin ich durstig und bitte einfach um ein Glas Wasser. In Peking ist es selbstverständlich, dass einem auf diese Bitte ein Glas heißes Wasser gereicht wird. Ich dagegen erhalte ein Glas mit einer sprudelnden, klaren Flüssigkeit. Ist das mein Wasser? Die Gastgeberin schaut mich einladend an, und ich nippe vorsichtig. Das Wasser ist kalt und prickelt im Mund. Wie ungewöhnlich! Das deutsche Wasser schmeckt ganz anders als die chinesische Version.

      Als ich mich umschaue, fallen mir weitere Kuriositäten auf. Viele Gäste sind gekommen, doch sie stehen in kleinen Grüppchen zusammen, nicht, wie in China, in einer großen Runde. Es wird gelacht und geredet, doch alles klingt gedämpft und zurückhaltend. Ein Treffen mit Freunden oder der Familie würde sich in meiner Heimat dagegen sehr lautstark abspielen.

      Auf dem Tisch liegt eine hübsche Decke und überall stehen die Gläser auf kleinen, runden Tellerchen aus Pappe oder Plastik. Kleine Snacks stehen zum Knabbern bereit. Wann wohl das richtige Essen serviert wird? Außerdem frage ich mich, ob vielleicht der Strom ausgefallen ist. Statt Lampen brennen überall Kerzen – komisch, mein kaltes Wasser beweist doch, dass der Kühlschrank zu funktionieren scheint ...

      An diesem ersten Tag in Deutschland gehe ich sehr müde und mit sehr vielen Fragezeichen ins Bett.

      Zwölf Jahre später. Mittlerweile lebe ich in Düsseldorf. Erneut bin ich auf eine Geburtstagsparty eingeladen. Dieses Mal in Peking.

      Als ich dazustoße, ist die Party schon in vollem Gange. Ich setze mich neben eine Freundin in die große Runde, die sich gemeinsam über ein Thema unterhält. Es wird dazwischen geredet und unterbrochen, jeder beteiligt sich und fordert, wenn es sein muss auch lautstark, sein Rederecht ein. Das Zimmer ist von einer zentralen Neonröhre hell erleuchtet. Die Gastgeberin ruft zu Tisch, und ohne uns gegenseitig einen guten Appetit zu wünschen, lassen wir uns die vielen verschiedenen Gerichte schmecken. Der Tisch biegt sich vor lauter Köstlichkeiten, es bleibt kaum Platz, das Glas mit heißem Wasser oder Tee abzustellen. Unsere Reisschalen müssen wir in den Händen halten. Das Gespräch ist fast verstummt. Die ganze Konzentration gehört dem bunten Essen vor uns. Eine halbe Stunde später ist der ›Kampf‹ beendet. Alle sind satt und zufrieden, viele Speisen sind noch übrig. Die Gastgeberin freut sich.

      In China ist das Essen ›ergebnisorientiert‹. Nur der Geschmack und die Menge sind wichtig. In Deutschland dagegen ist ein gemeinsames Essen ›erlebnisorientiert‹. Da kommt es neben den Gerichten vor allem auf die Gesellschaft und die Unterhaltung an.

      Nach dem Essen packen alle mit an und räumen die Reste zusammen. Innerhalb von zwanzig Minuten ist alles wieder sauber, auch der Tisch, der beim Essen natürlich nicht von Deckchen und Untersetzern geschützt war.

      Die Gastgeberin serviert Tee und erneut entbrennt ein lautes Gespräch unter den Gästen. Als mich eine Freundin fragt, ob ich morgen mit ihr einkaufen gehen möchte, räume ich verdutzt ein, dass doch Sonntag sei. Genauso verdutzt entgegnet sie: »Na und?« Ich erinnere mich, in Peking gibt es kein Ladenschlussgesetz. Die Geschäfte sind bis spät in die Nacht und auch am Wochenende geöffnet.

      Ich stelle fest, dass Deutschland nach vielen Jahren deutliche Spuren bei mir hinterlassen hat. Ich trinke kaltes Mineralwasser, habe Tischdecken und verwende Untersetzer. Und trotz lückenloser Stromversorgung zünde ich gerne Kerzen an. Sonntags ruhe ich mich aus, mein Auto wasche ich in der Woche, wenn ich mit dem Einkaufen fertig bin.

      Meine chinesischen Freunde in Peking sind entsetzt, wenn ich nach einem opulenten Mahl einen eiskalten Jägermeister trinke. Ich finde das mittlerweile völlig normal.

      Warum soll man eigentlich nicht die kulturellen Unterschiede nutzen, sich die schönsten heraussuchen und diese dann nach eigenen Wünschen kombinieren?

       Mi, Song Diplom-Volkswirtin und GermanistinNovember 2012, Düsseldorf

       SAG ES DURCH DIE BLUME

      Die Überschriften der einzelnen Kapitel bestehen aus den in China sehr beliebten Redewendungen, sogenannten chéngyǔ. Sie haben meistens nur vier Silben, die als Metapher dienen und oft sehr blumig sind. Einige, wie gleich die erste Überschrift, sind wörtlich zu verstehen. Andere dagegen ergeben übersetzt eigentlich gar keinen Sinn. Ihre Bedeutung erschließt sich dem Hörer nur, wenn er die passende Legende dazu kennt. So gibt der schöne Ausdruck mǎmǎ hūhū, wörtlich übersetzt ›Pferd Pferd Tiger Tiger‹, vielen erst einmal Rätsel auf. Dass dahinter der Terminus ›nicht besonders‹ steckt, wird erst klar, wenn die Entstehungsgeschichte bekannt ist: Ein prähistorischer Maler steht vor seiner Kohlezeichnung, auf der sein Mitbewohner ein Pferd erkennt. Ein zweiter Höhlenmensch sieht aber einen Tiger. Nun streiten sich beide und wiederholen immer wieder ›Pferd, Pferd!‹, ›Tiger, Tiger!‹. Einig sind sie sich nur bei dem Talent des Künstlers: Das ist nicht besonders!

      1

       MÍNG BÙ XŪ CHUÁN

      名不虚传

      Nach neun Stunden Flug ist Peter Auer froh, endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Ein halbes Jahr Studium und Praktikum in Chinas Hautstadt Peking liegen vor ihm und er ist ganz aufgeregt. Und dank seiner, wenn auch noch recht dürftigen Chinesischkenntnisse, versteht er sogar die Ansage aus dem Lautsprecher: ›Herzlich willkommen auf dem Flughafen Peking, Terminal drei.‹

       ÜBRIGENS

      Lange Zeit, knapp 40 Jahre bis zum Jahr 1999, kam Peking mit nur einem Terminal aus. Steigende Zahlen von Touristen und Geschäftsleute machten einen Umbau notwendig, und es entstand Terminal 2, nur ein paar Meter um die Ecke. Mit dem Zuschlag, die Olympischen Spiele 2008 auszurichten, musste Peking die Infrastruktur ausbauen. Mittlerweile war die Zahl der Fluggäste von 20 Millionen im Jahr 2000 auch schon auf 54 Millionen im Jahr 2007 gestiegen. Um dem Ansturm der zu erwartenden Besucher gewachsen zu sein, baute Norman Foster das drachenförmige Terminal 3, welches im März 2008 den Passagieren seine Türen öffnete.

      Oh Schreck, Terminal drei! Er soll doch abgeholt werden und hatte vergessen, Bescheid zu sagen, wo er landet. Dummerweise besitzt er weder eine Adresse, noch chinesisches Geld. Letzteres kann er zwar mit Sicherheit am Flughafen tauschen – aber wie soll er bloß seine Universität finden?

      Noch grübelnd steigt Peter in die Flughafenbahn, welche die Passagiere von den Flugsteigen zur Ankunftshalle transportiert, sammelt dann sein Gepäck ein und geht zum Ausgang. Völlig verdutzt starrt er auf das Schild mit seinem Namen und dem dazugehörigen kleinen Chinesen.

      »Hallo, ich bin Peter Auer«, sagt er auf Englisch.

      »Guten Tag, ich bin Xiao Li«, kommt es in fast perfektem Deutsch zurück.

      Peter kommt aus dem Staunen gar nicht heraus. Weder hat er die glückliche Fügung erwartet, einen Fahrer hier anzutreffen, noch dass dieser so gut Deutsch kann.

      »Ich studiere Deutsch und Literatur an der Fremdsprachenuniversität Peking«, erklärt der Chinese und beschämt Peter sogleich. Hatte dieser ihn doch für einen Fahrer gehalten. Mit beiden Händen hält Xiao Li dem jungen Deutschen seine Visitenkarte hin, die Peter mit links – rechts trägt er seinen Koffer – annimmt und gleich in seiner

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