Fettnäpfchenführer China. Anja Obst

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Fettnäpfchenführer China - Anja Obst Fettnäpfchenführer

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muss, ist nur halb so schlimm. Was ihn aber wirklich stört, sind die Temperaturen in seinem Zimmer. Sein Thermometer zeigt sechzehn Grad an, kein Wunder, dass ihm die Finger beim Schreiben fast abfrieren. Seine Beschwerde beim Wohnheimbüro hat nicht viel genützt, sechzehn Grad sei die gesetzliche Mindesttemperatur, er solle wiederkommen, wenn nur noch fünfzehn Grad seien.

       ÜBRIGENS

      Nicht nur die Innentemperatur ist, wie die Dame vom Unibüro außerdem erklärte, in China gesetzlich geregelt, auch die Heizperiode. Die Heizphase beginnt am 15. November und endet am 15. März. Dabei ist es vollkommen egal, wie kalt es draußen ist. So kann es gut passieren, dass die Bewohner bei laufender Heizung die Fenster aufreißen, weil sie es vor Hitze nicht mehr aushalten. Öfter ist es aber eher so, dass man sich mit Mantel und Mütze zum Abendbrot setzt, um nicht beim Essen zu frieren. Dazu gibt es noch eine geografische Grenze für Heizungen: Nördlich des Yangtze-Flusses gibt es sie, südlich davon nicht. Selbst wenn die Temperaturen in Südchina selten unter 10 Grad fallen, kühlen die Wohnungen doch aus, und den Chinesen bleibt nichts anderes übrig, als im Zwiebellook herumzulaufen. Draußen ist es dann oft angenehmer als im eigenen Wohnzimmer. Neue Wohnungen verfügen heutzutage aber über eine Klimaanlage, die im Winter für Wärme sorgen kann.

      In seiner Verzweiflung inspiziert er gründlich den Heizungskörper, versucht, an jedem Rädchen zu drehen, fühlt die oberen und die unteren Rohre und stellt dann fest: Unten ist die Heizung einigermaßen warm, oben aber ganz kalt. Sie ist bestimmt nicht entlüftet.

      Doch auch nach erfolgreicher Entlüftung kann Peter keinen Unterschied feststellen. Er geht also erneut zum Wohnheimbüro und berichtet über den Zustand der Heizung.

      Ob nun sein Tatsachenbericht Erfolg brachte oder die Sekretärin fürchtete, er käme jetzt jeden Tag zum Beschweren, weiß er nicht. Jedenfalls stehen kurze Zeit später drei Handwerker vor seiner Tür. Einer von ihnen beginnt, an der Heizung etwas ab- und wieder anzumontieren, während die anderen interessiert das Zimmer des Ausländers begutachten.

      »In zwei Tagen müsste die Heizung heiß sein«, macht der Monteur Peter noch Hoffnungen, bevor die Handwerker das Zimmer wieder verlassen.

      Schnell ist es gegangen, freut sich Peter. Doch freut er sich nicht lange. Nach zwei Tagen passiert nämlich gar nichts, im Gegenteil, die Heizung ist noch kälter. Und zu seinem Entsetzen entdeckt Peter ein kleines Loch im Heizkörper. Leise zischend entweicht das Wasser in einem kaum sichtbaren Strahl.

      Die Sekretärin rollt mit den Augen, als Peter wieder vor ihr steht, verspricht aber, die Handwerker erneut vorbeizuschicken.

      Diese rücken diesmal zu viert an, einer mit einer großen Rohrzange in der Hand. Das Werkzeug lässt der Träger missmutig sinken, als er den Schaden betrachtet. Das Loch kann er damit nicht reparieren. Er wäre aber kein echter Chinese, nähme er die Herausforderung nicht an, eine entsprechende Lösung zu finden.

       ÜBRIGENS

      In staatlichen Firmen oder Organisationen gibt es oft eine kleine Schar von Handwerkern, die auch immer gemeinsam Schäden beheben. Nicht, weil es so kompliziert ist, sondern weil sie oft einfach nicht besonders viel zu tun haben und sich langweilen. Dann ist es doch viel spannender, wenigstens den anderen bei der Arbeit zuzusehen.

      »Die Heizung muss ausgetauscht werden«, schlägt Peter vor.

      Der Monteur schüttelt mit dem Kopf, kniet sich vor das sprudelnde Wasser und überlegt. Aber keinesfalls wortlos. Alle vier Handwerker fachsimpeln lautstark über die Reparatur.

      Peter, der dachte, er verstünde eh kein Wort des Klempnerchinesischs, überhört dabei Wörter wie kuàizi, Essstäbchen, und fēn, die kleinste Münze der chinesischen Währung. Fragend schauen ihn die Handwerker an.

      Ach so, ob er so etwas habe? Natürlich! In einer Schale findet Peter eine Münze und in der Wohnheimküche gibt es Einwegstäbchen.

      Während ein Handwerker sich daran macht, Splitter aus dem Essstäbchen zu häckseln, biegt ein anderer die Münze mit der Zange um. Die beiden anderen wiederum schauen sich ungeniert im Zimmer um, begutachten Fotos an der Wand, stöbern in dem kleinen Bücherregal und betrachten interessiert den großen Gymnastikball, den Peter statt eines Schreibtischstuhls benutzt. Der junge Deutsche ist hingegen so auf die Reparatur fixiert, dass ihm die dreiste Neugierde der Chinesen gar nicht auffällt.

      Gebannt beobachtet er, wie der Handwerker nun einen Splitter der Essstäbchen in das Loch drückt, ein Stück Leder darüber legt und dann die kunstvoll gebogene Münze passgenau in die Heizungsdelle einarbeitet. Das Ganze zurrt er mit einem Stück Draht fest und sagt freudestrahlend: »Fertig!«

      Zur Belohnung dürfen alle vier einmal auf dem Ball sitzen, was sie mit einem »hěn shūfu«, sehr bequem, quittieren.

      Ein letztes Mal blickt der Monteur auf sein kunstvolles Werk. Zum Glück, denn das Wasser hat sich bereits einen Weg gesucht und tropft wieder munter in die Auffangschüssel.

      Peter erinnert noch mal zaghaft an die Idee einer neuen Heizung, wird aber nur kopfschüttelnd um einen Zahnstocher gebeten. Der ersetzt nun die Splitter, Leder und Münze werden erneut darüber mit dem Draht festgezogen, und die zweite Warterunde verkürzen sich die Fünf mit dem Peter schon bekannten Fragenkatalog zu seiner Person.

      Nebenbei raucht jeder, bis auf Peter, noch eine Zigarette, die sie ungerührt auf dem Fußboden austreten.

       KEINE SORGE, LIEBER LESER, ...

      ... der Fußboden besteht aus blankem Beton. Teppiche sind in dieser Episode nicht zu Schaden gekommen. Und die scheinbare Respektlosigkeit, in jemandes Wohnzimmer Zigaretten auf dem Boden auszutreten, rührt schlicht von der Tatsache, dass es für Chinesen normal ist, in einigen Restaurants, Hotelzimmern, Zugabteilen oder auch den eigenen Wohnungen jeglichen Dreck auf den Boden zu werfen. Der Teppich hat sich als Auslegeware in China nicht überall durchgesetzt, Betonböden, Kacheln oder Laminat sind einfach pflegeleichter. Mit einem Wisch ist alles weg!

      Nach einer Viertelstunde hat sich noch immer kein Wassertröpfchen gezeigt, und die Operation wird als gelungen erachtet. Zufrieden mit sich ziehen die Handwerker von dannen, und Peter räumt das Schlachtfeld auf. Nicht nur die Kippen muss er wegräumen, auch Holzsplitter, Drahtreste und Papier der Zigarettenschachteln haben die Handwerker achtlos auf den Boden fallen lassen, ironischerweise direkt neben den Papierkorb.

      Lange währt die Freude über die erfolgreiche Reparatur allerdings doch nicht. Schon am nächsten Tag findet Peter eine kleine Pfütze unter der Heizung. Beim vierten Besuch im Wohnheimbüro lässt der Deutsche sich nicht mehr so schnell abweisen, und schließlich willigt die Wohnheimverwaltung dann doch ein, den ganzen Heizkörper auszutauschen.

      Stolze neunzehn Grad meldet jetzt Peters Thermometer. Und da ihm immer noch kalt ist, macht er es nun wie die Chinesen: Zwiebellook anziehen und heißen Tee trinken.

       Erfinderisches China

      Die Kreativität der Handwerker hat ihren Ursprung in der jüngeren Vergangenheit. Lange, bis in die 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts, waren in China viele Dinge knapp. Man musste erfinderisch sein und sich manchmal auch mit notdürftigen Lösungen zufriedengeben. Niemand schmiss etwas weg, auch die rostigste Schraube fand irgendwann ihre neue Bestimmung.

      Selbst heutzutage ist der Chinese noch sparsam, sammelt und verfremdet Dinge, um eine Neuanschaffung zu umgehen.

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