Fettnäpfchenführer China. Anja Obst
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Fettnäpfchenführer China - Anja Obst страница 8
![Fettnäpfchenführer China - Anja Obst Fettnäpfchenführer China - Anja Obst Fettnäpfchenführer](/cover_pre930838.jpg)
Abgesehen von dem ökonomischen Motiv, sind die Chinesen aber von Natur aus ein schöpferisches Volk. Ihnen werden vielzählige Entdeckungen und Erfindungen zugesprochen. Die bekanntesten kennt jeder, Chinesen nennen sie sì dà fā míng, die vier großen Erfindungen.
Dazu gehören das Papier (ca. 100 n. Chr. – wobei ich Sie bitten möchte, mich nicht auf diese und die folgenden Jahreszahlen festzunageln, jede Quelle macht andere Angaben), die Druckkunst (ca. 800 n. Chr.), das Schießpulver (ca. 1000 n. Chr.) und der Kompass (ebenfalls ca. 1000 n. Chr.).
Doch schon lange vorher, um 7000 v. Chr., begannen die Asiaten, bemerkenswerte Innovationen zu entwickeln. Die Hemudu-Kultur zum Beispiel, die in der Provinz Zhejiang entstand, baute Reis an, züchtete Seidenraupen und soll sogar Lacke erzeugt haben. Das Hanfseil kommt ebenfalls aus China, und es gibt Hinweise, dass es schon 2800 v. Chr. in Benutzung war.
Aufzeichnungen zufolge haben chinesische Ärzte schon 2000 v. Chr. ihre Patienten mit Akupunktur und Moxibustion behandelt. Auch bauten die Chinesen damals schon Bewässerungssysteme und Dämme. Und für die Große Mauer sollten bald, einigen Quellen zufolge, die ersten Grundsteine gelegt werden. (Wie bei den meisten Zeitangaben ist auch der Baubeginn der Chinesischen Mauer nicht wissenschaftlich erwiesen. Einige Quellen sprechen von 500 v. Chr., andere von 220 v. Chr., die Zeit, in der Chinas erster Kaiser Qin Shihuang regierte. Aber was sind schon 300 Jahre, wenn die Bauzeit schließlich doch 2.000 Jahre betrug?)
Viele andere Utensilien, die wir heute noch nutzen, haben ihren Ursprung im alten China, wie zum Beispiel Porzellan, Geldscheine, Klopapier, Taschentücher oder die Schubkarre. Auch die Zahnbürste wurde im 15. Jahrhundert n. Chr. das erste Mal bei einem chinesischen Mönch in Benutzung gesehen.
Eine weitere große Entdeckung war die Erfindung des Seismografen um 130 n. Chr. Der Astronom und Mathematiker Zhang Heng nahm dafür eine bewegungsempfindliche Vase, die zu acht Seiten mit jeweils einem Drachenkopf bestückt war, in deren Mäulern Kupferkugeln lagen. Unter den Mäulern saßen Frösche, die die Kugeln auffingen. In der Vase hing ein Pendel, welches im Falle eines Erdbebens hin und her schwang. Es dauerte allerdings bis zum Jahr 138 n. Chr., dass seine Erfindung allgemeinen Zuspruch fand. Als nämlich eines Tage eine Kugel aus dem Drachenmaul fiel, lachten ihn erst einmal alle aus – ein Erdbeben hatte niemand mitbekommen. Ein paar Tage später kam allerdings die erstaunliche Nachricht, dass es in einer 500 Kilometer entfernten Stadt tatsächlich ein Beben gegeben hatte. Seitdem lachte niemand mehr und Zhang Heng wurde als großes Genie gefeiert.
Es ist nie ganz sicher, wer wann welche Erfindungen hervorgebracht hat, und jeder schmückt sich mit Federn, die ihm vielleicht gar nicht zustehen. Bei Ausgrabungen wird so einiges gefunden, aber keiner weiß, ob nicht an anderer Stelle ein ähnlicher Fund noch vergraben liegt und sogar noch älter ist. In solch einen Fall ist die Nudel verstrickt: Lange galten die Italiener als die Erfinder der leckeren Spezialität, bis im Jahr 2005 ein Archäologenteam in der Stadt Lajia in der Provinz Qinghai eine unberührte Pastamahlzeit entdeckte, die 4.000 Jahre alt sein soll. Hat Marco Polo sie dann doch aus China mitgebracht und nicht umgedreht, wie die Italiener behaupten? Vielleicht kommt ein findiger Chinese ja auch bald hinter das Geheimnis von Zeitreisen, dann könnten diese Fragen endlich geklärt werden.
4
CHĪ HĒ WÁN LÈ2
SICH DEM GENUSS HINGEBEN
吃喝玩乐
Gleich um die Ecke vom Campus gibt es eine kleine Straße mit vielen verschiedenen Restaurants. Ein paar neue Freunde aus der Universität warten schon auf Peter in einer der Gaststätten. Als er eintritt, empfängt ihn ein unglaublich lautes Stimmengewirr und dröhnendes Lachen. Dabei sind außer seinen vier Freunden nur noch ein Pärchen und eine Gruppe von Männern in dem Lokal. Wie können die so viel Lärm machen?
ÜBRIGENS
Es gibt ein wunderschönes Adjektiv in China, das heißt rènao und bedeutet ›lebhaft‹. Es spiegelt sehr schön die chinesische Mentalität wider. Ist es irgendwo zu ruhig, fehlt der Spaß. Die deutsche Gepflogenheit, sich flüsternd in einem Restaurant zu unterhalten, ist in chinesischen Etablissements regelrecht verpönt. Heiß, rè, und geräuschvoll, nao, muss es zugehen!
Auch visuell ist Peter ein wenig geschockt: Helles Neonlicht blendet ihn von der Decke, der Boden ist übersät mit Essensresten und die Bestuhlung aus Plastik sieht alles andere als einladend aus.
Rauchschwaden, die aus der Männerecke kommen, wabern durch das ganze Restaurant, eine Kellnerin mit einem vollen Teller rauscht an ihm vorbei, ohne den Neuankömmling mit einem Hallo zu begrüßen.
Peter setzt sich zu seinen Freunden, die schon mit der Bestellung begonnen haben. Schnell greift er zur Speisekarte, um etwas für sich auszusuchen. Glücklicherweise sind die Gerichte auch auf Englisch übersetzt. Tippfehler, bei denen das Schweinefleisch mit frischem Müll (garbage statt cabbage) gereicht wird oder es statt eines Erfrischungsgetränks Sprit gibt, kann Peter leicht entziffern. Bei etwas blumigeren Übersetzungen steht er jedoch wie der Ochs vorm Berg. Was bitte ist ›Rutschiges Fleisch in des Kaisers Gemüsekissen‹? Oder ein ›Huhn ohne Sexualleben‹?
Jason, ein Amerikaner, der schon seit fast einem Jahr in Peking ist, klärt Peter über Letzteres auf: »Das ist tóngzǐ jī, und bedeutet einfach, dass es ein ganz junges Huhn ist. Tóng bedeutet aber auch jungfräulich oder unberührt, daraus wird schnell mal ein sexloses Leben.«
Als Peter sich gerade mutig fühlt und es bestellen will, nimmt ihm die Kellnerin die Karte auch schon weg und geht. Als er zum Protest ansetzt, beruhigt ihn Jason: »Wir haben schon genug bestellt.« Unter anderem auch eine Suppe, über die Peter sich bei den kalten Temperaturen besonders freut. Selbst im Restaurant haben alle noch ihre Jacken an.
ÜBRIGENS
Schon der Beginn eines simplen Abendessens mit Chinesen kann Verwirrung stiften. In China bestellt niemand ein einzelnes Gericht nur für sich. Einer, meist der Gastgeber, schnappt sich die Karte und ordert für alle ein buntes Sammelsurium an Gerichten. Diese werden dann auf großen Tellern serviert und in die Mitte gestellt, sodass jeder gut herankommt.
In vielen Restaurants gibt es aus diesem Grund runde Tische mit einer Drehscheibe, mit der man nach Belieben die Gerichte zu sich drehen kann. Meist wird sie entgegen des Uhrzeigersinns gedreht – es gibt aber keinen Aberglauben, der die andere Richtung verbietet.
Als Erstes bekommen die Fünf allerdings ein kaltes Gurkengericht. Die ungleichen Gurkenteile sehen aus, als ob jemand sie aus lauter Wut kaputt geschlagen hätte. Peter wartet auf einen eigenen Teller, aber Jasons chinesische Freunde beginnen gleich, ohne einen guten Appetit zu wünschen, mit ihren Stäbchen danach zu angeln. Laut schmatzend unterhalten sie sich weiter, die Gurkenstückchen im Mund gut sichtbar.
Da kein Teller kommt, dafür das nächste Gericht, fängt auch Peter schnell an zu essen, bevor alles weg ist. Beim ersten Biss in das kross gebratene Hühnchen spürt Peter gleich den kleinen Knochen. Das ganze Gericht besteht praktisch nur aus, wenn auch sehr schmackhaften, Hühnerknochen. Doch wohin damit? Runterschlucken? Peter tut so, als ob er noch genüsslich kaut, um abzuwarten, wie die Chinesen das Problem lösen. Mit einigem Entsetzen muss er aber zusehen, wie diese die abgenagten Knöchelchen einfach auf den Boden spucken. Oder direkt auf den Tisch. Das erlaubt ihm seine Kinderstube nun