Fettnäpfchenführer Großbritannien. Michael Pohl

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Fettnäpfchenführer Großbritannien - Michael Pohl Fettnäpfchenführer

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weitere Reisende aufgesammelt. Das Milchkannenprinzip für Reisende mit schmalem Geldbeutel. Alternativen aber waren damals rar – die Billigflieger mussten erst noch erfunden werden, die Zugfahrt war zu teuer und kaum weniger anstrengend. Spätestens als der Bus im Fährhafen in Calais nicht mehr ansprang und von den Insassen tatsächlich auf die Rampe geschoben werden musste, schwante mir: Diese seltsame Insel ist so schwer zu erreichen, sie muss etwas Besonderes sein.

      So besonders ein Land eben ist, wenn es Autofahrer auf die linke Seite der Straße schickt und beharrlich andere Maße als der Rest Europas verwendet, wenn es Bohnen und Würstchen zum Frühstück serviert und (zumindest in Teilen immer noch) Kneipen um 23 Uhr dicht macht, egal wie voll sie auch sein mögen. Aber kann man als aufgeweckter Mitteleuropäer überhaupt in einem anderen westlichen Land in Fettnäpfchen treten?

      Man kann. Und zwar nicht nur einmal. Der Alltag im Privaten wie im Geschäftsleben unterscheidet sich in Großbritannien in etlichen Situationen vom Rest der Welt. Auch das macht den Reiz der einstigen Kolonialmacht am Ärmelkanal aus.

      Peter, gut verdienender Angestellter in einem Frankfurter Unternehmen, ist in seinem Leben noch nie links gefahren. Und zum Frühstück isst er üblicherweise Müsli statt Würstchen. Es ist an der Zeit, dies zu ändern: Der gerade wieder Single gewordene junge Mann reist in diesem Buch zum ersten Mal nach England – mit dem Billigflieger, nicht mit dem Bus. Von London aus fährt er in Richtung Wales und Schottland und wieder zurück, einmal rund um die Insel und einmal mitten durch die Fettnäpfchen einer Nation. Seufzen Sie nicht, wenn Ihnen das eine oder andere nicht passiert wäre; Peter lässt auch sonst im Leben nichts aus.

      An dieser Stelle sei angemerkt: Peter ist nur einer von etlichen Reisenden aus Deutschland, die Jahr für Jahr in London oder Dover landen. Selbst wenn er vieles erlebt, das sich immer wieder bei England-Reisenden so zuträgt – er spricht und handelt selbstverständlich nicht wie alle Deutschen. Genauso wenig gleicht auch der letzte Brite, Engländer, Schotte, Waliser oder Nordire den Stereotypen, die Peter auf seiner Reise erlebt. Es gibt immer Ausnahmen, wie in allen Bereichen des Lebens. Eine große Bitte: Vergessen Sie am besten noch vor der Abreise das Bild vom Briten, wie sie es womöglich vom Spanien-Urlaub am Pool im Gedächtnis haben, vom Fußballspiel im Ausland, von Erzkonservativen in der jahrelangen Brexit-Debatte. Diese Engländer sind genauso wenig repräsentativ für ihr Land wie es die Deutschen am Ballermann für das ihre sind.

      Aber ich schreibe und schreibe, und Sie wollen einfach nur lesen. Also: links einordnen – viel Spaß in Großbritannien!

       Michael Pohl

      1

       PETER FLIEGT EIN

      Express nennen sie das. Unfassbar! Seit drei Minuten ist Peter im Stansted Express auf der Suche nach einem freien Sitzplatz – aber vorwärts kommt er kaum. Ständig ruckelt der Zug. Dreimal schon wäre er beinahe bei anderen Fahrgästen auf dem Schoß gelandet. Und das bestenfalls bei Tempo 50. Wie wird das erst, wenn der Zug auf freier Strecke – hoffentlich – Gas gibt?

      Bei einer Weiche gleich zu Beginn der Fahrt am Flughafen Stansted hat es den nichts Böses ahnenden Peter mit einem Ruck glatt gegen die Tür gehauen. Schon bei der Fahrt in der Flughafenbahn vom Flugzeug zum Terminalgebäude musste er sich an ein Fenster klammern – die sympathische Automatenstimme hatte ihren Satz »Bitte halten Sie sich gut fest« noch nicht zu Ende gesprochen, da schwenkte der Waggon wie von Geisterhand in eine 45-Grad-Kurve nach rechts ein. Aber dafür musste er auch nicht 17 Pfund bezahlen wie für den Stansted Express. Daheim in Deutschland werden Züge dieser Art bestenfalls noch für den Regionalverkehr entlegener Küstenregionen genutzt, ärgert sich Peter. Hier verbinden sie einen der wichtigsten Flughäfen des Landes mit der Hauptstadt London. Und suggeriert das Wort Express nicht auch ein gewisses Maß an Geschwindigkeit? Am Flughafen hatte man ihm beim Fahrkartenverkauf gesagt, dass der Zug sage und schreibe 46 Minuten bis zur Liverpool-Station im Zentrum Londons benötige. In dieser Zeit bringt ihn ein ICE von Hannover nach Bielefeld, überlegt Peter. Gut, nicht dass er je nach Hannover oder Bielefeld gewollt hätte, aber Express – ha!

      Peter ist sauer. Auf die Zugbetreiber, auf den Flughafen, auf Hannelore, eine gute Freundin, die ihm den Tipp gegeben hatte, den Zug zu nehmen. Und irgendwie auch auf sich selbst. »Gatwick oder Stans-ted?«, hatte ihn die reizende Dame im Reisebüro bei der Buchung gefragt. Der Flughafen Gatwick liegt weit von London entfernt, das wusste Peter und hatte sich deswegen sofort für Stansted entschieden. Er konnte doch nicht ahnen, dass sich dieser Flughafen noch weiter draußen befindet.

       BAHNHÖFE IN LONDON

      Londons Eisenbahnnetz ist – wie in vielen großen europäischen Städten – von Kopfbahnhöfen bestimmt. Und da Großbritannien, ähnlich wie etwa Frankreich, jahrhundertelang sehr zentralistisch ausgerichtet war, spiegelt sich dies auch in den Bahnstrecken wieder: Sie sind von London aus sternförmig in jede Richtung gebaut worden. Das führt bis heute dazu, dass man nicht von jedem Bahnhof in jede Himmelsrichtung reisen kann – wer in London umsteigt, muss deswegen mitunter per U-Bahn den Bahnhof wechseln. Und er muss überhaupt erst einmal den richtigen Abfahrtbahnhof herausfinden. Die wichtigsten Hauptbahnhöfe im Überblick:

      King’s Cross: Der vermutlich bekannteste der Londoner Bahnhöfe. Die Pet Shop Boys besangen ihn 1987 in ihrem gleichnamigen Song, Harry Potter reist hier in den Büchern von Joanne K. Rowling von Gleis 9 ¾ mit dem Hogwarts-Express ins Internat (ein Gleis dieser Nummer gibt es in der Realität natürlich nicht, wenn auch ein entsprechendes Schild, das zum absoluten Selfie-Hotspot geworden ist). King’s Cross wurde 1852 in Betrieb genommen und ist Endpunkt der East Coast Main Line, die London unter anderem mit York, Newcastle und Edinburgh im Norden der Insel verbindet. Der Bahnhof befindet sich in der Euston Road.

      St. Pancras: Dieser Bahnhof wird gern in einem Atemzug mit King’s Cross genannt, da er sich unmittelbar nebenan befindet. Beeindruckend ist der mächtige Backsteinkopf des von George Gilbert Scott entworfenen und 1868 eröffneten neogotischen Komplexes. Früher beherbergte dieser Teil das Midland Grand Hotel – bis es 1935 schloss. Erst 2011 wurde es wiedereröffnet unter dem Namen St. Pancras Renaissance Hotel. St. Pancras war ursprünglich Endpunkt der Midland Main Line nach Leicester, Nottingham und Sheffield. Heute ist der Bahnhof in der Euston Road vor allem als Startpunkt des Eurostar ein Begriff, der von hier aus unter dem Ärmelkanal hindurch nach Paris, Brüssel und Amsterdam fährt.

      Paddington: Nicht nur Miss Marple ist hier in Agatha Christies Roman 16.50 Uhr ab Paddington in Richtung Südwestengland gestartet – der Bahnhof Paddington in der Pread Street ist seit 1838 Endpunkt der Great Western Railway und damit Ausgangspunkt für Reisen nach Cornwall, Bristol und Südwales. Der bekannte britische Ingenieur Isambard Kingdom Brunel hat das erst 1854 eröffnete, heutige Bahnhofsgebäude ebenso entworfen wie die gesamte Strecke der Great Western Railway. Fluggäste schätzen den Bahnhof heute vor allem als Ziel des Heathrow Express, der Schnellverbindung zwischen dem Flughafen Heathrow und der Londoner Innenstadt. Kinder wissen: Hier kam Paddington Bear in London an, Star einer Kinderbuch- und Filmreihe.

      Liverpool Street: Londons Bahnhof für den Osten Englands, 1874 in Betrieb genommen durch die Great Eastern Railway. Von hier aus starten Züge unter anderem nach Harwich, Cambridge und zum Flughafen Stansted. Züge nach Liverpool fahren trotz des Namens kurioserweise nicht hier ab, sondern vom Bahnhof Euston. Aber immerhin befindet sich der Bahnhof tatsächlich in der Liverpool Street.

      Waterloo: Großbritanniens meist frequentierter Bahnhof. Sein Vorgänger wurde bereits 1848 in Betrieb genommen, das heutige Gebäude stammt in weiten

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