Fettnäpfchenführer Großbritannien. Michael Pohl
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DIE DLR
Die Docklands Light Railway (DLR) verbindet die Innenstadt Londons seit Mitte der achtziger Jahre mit den Docklands, dem ehemaligen Hafengebiet und heutigen Wirtschaftszentrum der Stadt, außerdem mit Greenwich und Lewisham auf der anderen Südseite der Themse. Im Gegensatz zur U-Bahn fährt die DLR fast ausschließlich oberirdisch. Lediglich fünf der insgesamt 45 Stationen des 34 Kilometer langen Schienennetzes befinden sich unter der Erde. Teile von Gleisen früherer Hafenbahnen wurden für die Strecke genutzt. Und noch etwas unterscheidet sich deutlich von den meisten U-Bahnen: Die DLR ist fahrerlos, sie fährt vollautomatisch. An Bord ist immer nur ein Fahrkartenkontrolleur.
Gegen 2 Uhr zog vor seiner Zimmertür auch noch lautstark eine Horde Betrunkener vorbei. Vermutlich der Junggesellenabschied, dem Peter abends vor dem Hotel hatte ausweichen müssen. »Zieh Leine, wenn du einer Truppe auf Junggesellenabschied begegnest«, hatte ihn seine gute Freundin Hannelore unlängst gewarnt. Jetzt weiß er, weshalb. Schon unten vor dem Hotel schienen die jungen Herren so betrunken zu sein, als ob dieser Abend die allerletzte Gelegenheit in ihrem Leben wäre, auch nur den Hauch eines Tropfens Alkohol zu sich zu nehmen, weil etwa am nächsten Tag die Erde gesprengt würde oder etwas noch Schlimmeres passieren könnte. »Stag Party« nennen die Engländer diesen Abend, »Hirschparty«. Ein treffender Ausdruck findet Peter nun, nachdem er dem Schauspiel beiwohnen durfte, wenn auch nur als Beobachter. Peter hofft, während seines Urlaubs nicht auch noch das weibliche Pendant erleben zu müssen, die »Hen Night«, die »Hennennacht« für Frauen kurz vor der Hochzeit. Wenn auch die ihrem Namen alle Ehre macht – oha ...
Peter ist gerädert. Wenn er nicht schnellstmöglich eine Dusche und einen Kaffee bekommt, würde er mit diesem Tag nicht viel anfangen können. Er ist versucht, sich an den Wasserkocher und eines der Tütchen mit löslichem Kaffee auf dem Nachttisch in seinem Zimmer zu wagen. Doch er zieht Punkt eins vor: die Dusche.
Peter macht sich also auf und steigt in die Wanne, um festzustellen, dass der Duschkopf mit einer atemberaubenden Plastikkombination nahezu bewegungsunfähig an der Wand befestigt ist. Der Duschschlauch schlängelt sich durch zwei Plastikröhrchen, die verhindern, dass man die Brause ausreichend nutzen kann. Das sind Badezimmer, wie er sie ganz und gar nicht schätzt. Der Schlauch endet in einem viereckigen Plastikgehäuse mit zwei Reglern: Der Untere mit einer roten und einer blauen Markierung scheint die Temperatur steuern zu können. Am Oberen sind die Wörter »High« und »Low« angebracht. Peter ist verwirrt: Gibt es in diesem Land etwa unterschiedliche Duscheinstellungen für kleine und große Leute? Das sind zu hohe Anforderungen für ihn zu einer Uhrzeit wie dieser und vor allem nach einer Nacht wie der vergangenen.
Peter wählt jeweils die mittlere Position – mit Kompromissen macht man nie etwas verkehrt, sagt er sich – und schreckt auch prompt zurück: Auf ihn prasselt eine Art Eisregen hinab. So kommt es Peter zumindest in diesem Augenblick vor. Ein kalter Schauer, temperaturmäßig angesiedelt irgendwo zwischen dem Bier, das er sich gestern noch gegönnt hatte, und dem Eis, das er neulich von Tanja zum Nachtisch vorgesetzt bekam. Scheußlich! Peter ist hellwach. Er beißt die Zähne zusammen und streckt reflexartig seinen Arm unter dem Wasserstrahl hindurch in Richtung Plastikgehäuse. Keine Kompromisse, jetzt dreht er den Temperaturregler bis zum Anschlag in Richtung »rot«. Doch nichts ist mit »rot«. Der Schauer bleibt »blau«, eiskalt. Peter ist genervt. Wenn er etwas hasst, dann ist es eine kalte Dusche nach dem Aufstehen.
Zähneknirschend entscheidet sich Peter für eine schnelle kalte Wäsche. In Sekundenbruchteilen hüpft er unter den kalten Wasserstrahl und wieder zurück. In mehreren Anläufen schafft er es so, am Ende sauber und mit vollständig intaktem Kreislauf aus der Wanne zu steigen. Er trocknet sich ab und schaut noch einmal voller Verachtung auf die Duschkonstruktion: ›Ihr Engländer habt die halbe Welt erobert‹, hört er sich selbst sagen, ›aber eine vernünftige Dusche könnt ihr nicht bauen.‹
Peter schüttelt bedenklich den Kopf und dreht sich zum Waschbecken um. Hier erwarten ihn keine Drehregler, dafür zwei getrennte Wasserhähne, einer mit einem blauen Symbol auf der linken Seite des Waschbeckens, einer mit rotem Symbol auf der rechten Seite. Wenn die auch beide kaltes Wasser hervorbringen, ist es einfach, motzt Peter in sich hinein. Er unternimmt einen Versuch und dreht beide Hähne auf: Blau – kalt. Na, wer sagt’s denn. Und rot? Peter traut seinen Augen nicht: Aus dem Hahn dampft offensichtlich heißes Wasser heraus. Er bewegt einen Finger ganz vorsichtig in Richtung Hahn. Heiß! Kochend heiß! Peter steht vor einem ernsten Problem: Auf der rechten Seite wird er sich die Finger verbrennen, wenn er sich mit dem Erguss dieses Hahns den Mund ausspülen will. Auf der linken Seite droht ihm das Absterben seiner Finger durch Erfrieren. Ja, muss denn ein bisschen Hygiene so kompliziert sein?
Was hat Peter falsch gemacht?
Lange Zeit hielt man in Großbritannien die Mischbatterie am Waschbecken für ein Gerücht. Noch zur vergangenen Jahrtausendwende war sie auf der Insel nahezu unbekannt. Erst mit der Expansion internationaler Hotelketten hielt auch der in Deutschland längst übliche Wasserhahn Einzug, bei dem man sich aus kaltem und heißem Wasser eine Temperaturmischung nach Wahl zusammenstellen kann. Noch heute vermissen ihn Gäste vor allem in kleinen Hotels und Bed-&-Breakfast-Pensionen, auch in vielen Privatwohnungen sind die beiden getrennten Wasserhähne nach wie vor vorzufinden. Das warme Wasser ist dabei meist so heiß, dass man es unmöglich einfach so zum Waschen benutzen kann. Man würde sich sofort die Finger verbrennen.
Der Hintergrund liegt weit zurück: Früher stammte das heiße Wasser meist aus einem Tank im Dachgeschoss, das kalte aus der Leitung. Insofern war kaltes Wasser zum Trinken geeignet, heißes aber nicht – deswegen durfte beides auch nicht vermischt werden. Das war sogar in einer Wassersatzung eigens so festgeschrieben. Seit 1965 war geregelt, dass die Heißwasserhähne immer auf der linken Seite eines Waschbeckens angebracht werden müssen. Dadurch sollten sich die Nutzer an ein festes System gewöhnen.
Treffen Sie heute auf solch veraltete Badezimmer (was früher oder später bei einem Großbritannienbesuch der Fall sein wird), bestehen eigentlich nur zwei – zugegebenermaßen naheliegende – Lösungen: Stöpsel ins Waschbecken und eine Mischung aus kaltem und warmem Wasser einlassen. Und zum Zähneputzen einen Zahnputzbecher.
Erst schalten, dann duschen
Die Lösung der Duschfrage ist befriedigender: Alte Badezimmer in England, vor allem jene in vielen alten Hotels, verfügen über einen eigenen Schutzschalter für das Badezimmer. Der ist oftmals direkt im Bad an einer von der Decke hängenden Schnur angebracht. Mitunter findet man ihn aber auch am Lichtschalter für das Badezimmer. In der Regel hängt ein Schild im Zimmer oder man wird an der Rezeption darauf hingewiesen. Ohne diesen Hauptschalter funktionieren zwar meist Licht sowie mitunter das heiße Wasser aus dem Waschbecken (wenn es zentral erhitzt wird), nicht aber die Dusche. Denn die besteht oftmals aus einem separaten Heizboiler, die ein findiger Vertreter in Großbritannien in Massen an den Mann gebracht haben muss. Der Mischboiler ermöglicht zwar das stufenlose Einstellen der Wassertemperatur – benötigt dafür aber Strom aus jenem Kreislauf, der mit einem Schutzschalter gesichert ist.
Auch hieran ist der Gesetzgeber aus vergangenen Zeiten schuld: Weil niemand bei einem Bad von der Wanne aus eine Steckdose oder einen Schalter erreichen sollte, entschieden sich clevere Elektriker für diesen Umweg. Der Schalter selbst befindet sich an der Decke, die Schnur ist eine erlaubte Verlängerung. In neuen Hotels treffen Gäste heute nicht mehr auf solche Fossilien. Allerdings befindet sich auch hier nach wie vor der Lichtschalter außerhalb des Raumes und es gibt maximal eine Steckdose mit niedriger Spannung für elektrische Rasierer.
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PETER FRÜHSTÜCKT