Fettnäpfchenführer Großbritannien. Michael Pohl
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Auch der Flughafen London-Luton (IATA-Code LTN) wurde während des Zweiten Weltkrieges in Betrieb genommen. Er liegt etwa 55 Kilometer nordwestlich von London. Angeflogen wird Luton vor allem von Charter- und Billigfluggesellschaften. Jährlich fertigt der Airport gut 15 Millionen Passagiere ab. Er verfügt über die schlechteste Verkehrsanbindung an die Hauptstadt: Passagiere müssen erst mit einem Pendelbus zur Haltestelle Luton Airport Parkway, um von dort per Zug in gut 30 Minuten zum Londoner Bahnhof St. Pancras zu gelangen.
Billigfluggesellschaften werben oft mit überaus günstigen Preisen in die britische Hauptstadt – und erwähnen nur beiläufig, dass man fern der Innenstadt landet. Wenn dann für ein Ticket beispielsweise im Stansted Express noch knapp 30 Pfund (für eine Hin- und Rückfahrt) zu zahlen sind, relativiert sich das Flugschnäppchen oftmals. Hinzu kommt der Zeitfaktor: Der Stansted Express benötigt 46 Minuten nach London. Wer Geld sparen will und einen Bus vom Flughafen in die Stadt nimmt (17 Pfund hinund-zurück) benötigt rund doppelt so lang. Bei einem Wochenendtrip ist das wertvolle Zeit, die man lieber mit Sightseeing verbringen könnte. Wer wirklich in die Innenstadt Londons möchte, sollte versuchen, entweder in Heathrow oder noch besser am City Airport zu landen. Mehrere Linienfluggesellschaften fliegen diese Ziele an.
2
PETER IM HOTEL
LONDON, 28. JULI, 15.29 UHR
London im Sommer kann erdrückend sein. Ein Hitzekessel liegt über der Acht-Millionen-Einwohner-Stadt. Die Luft ist heiß und drückend, wie in einem unbelüfteten Raum, auf den den ganzen Tag die Sonne brennt. Peter ist durchgeschwitzt. Er ist zu Fuß unterwegs vom Bahnhof Liverpool Street zu seinem Hotel, den Rollkoffer hinter sich herziehend, den Rucksack auf dem Rücken klebend. Den Nächsten, der ihm vom angeblich ständig schlechten Wetter in Großbritannien erzählt, werde er persönlich zusammenstauchen, hat er sich irgendwo zwischen der Fenchurch Street und dem Tower überlegt.
Peter ist erleichtert, als er in etwa 30 Metern Entfernung ein Hotel-Schild an einem Gebäude sieht: Das sollte es nun endlich sein – seines! »Ein traditionelles englisches Hotel, zentral gelegen«, hatte es in der Beschreibung im Internet geheißen. Wenn man davon absieht, dass Peter vom Bahnhof Liverpool Street – der ebenfalls als zentral beschrieben wird – bis hierher nun eine knappe dreiviertel Stunde zu Fuß unterwegs gewesen ist, mag das zutreffen. Er beschließt, sich die soeben gemachte Erfahrung in sein Gedächtnis zu meißeln: Entfernungen scheinen in dieser Millionenstadt relativ zu sein.
Peter wischt sich den Schweiß von der Stirn und richtet seinen Rücken auf. Ein Taxi wäre eine gute Idee gewesen. Oder wenigstens eine Fahrt mit dem Bus oder der U-Bahn. Aber Peter war erstens geizig und kannte sich zweitens mit dem Nahverkehrsnetz in London nicht ansatzweise aus. Und eigentlich hatte er nach seiner langen Zugfahrt einfach keine Lust mehr auf öffentlichen Nahverkehr.
Peter atmet noch einmal tief durch, dann setzt er sich wieder in Gang. Er rückt dem lang ersehnten »Hotel«-Schild immer näher. Es hängt es an einem alten Gebäude: hell, fünf Stockwerke hoch, dezent verziert, vermutlich aus der Zeit der Jahrhundertwende. Leider ist wohl seitdem nicht mehr viel an dem Haus getan worden, vermutet Peter. Der Putz bröckelt an einigen Stellen und er ist mit einer feinen dunkelgrauen Schicht von den Abgasen der vergangenen Jahrzehnte bedeckt. Auch das Werbeschild sieht arg mitgenommen aus. Am Fenster hängt eine Leuchtschrift: »Vacancies«. Im Dunkeln muss man das »V« vermutlich erahnen – es schimmert nur noch schwach. Peter beginnt, sich erneut zu ärgern: Er hatte dieses Hotel über eine Internetseite gebucht, in der es sehr viel vollmundiger angepriesen worden war. Da stand etwas von »typisch englischem Charme« – Peter hofft, dass die Engländer mit diesem Hotel nicht bereits ihr gesamtes Charmepotenzial ausgeschöpft haben. Er atmet einmal mehr durch und schleppt sich und sein Gepäck die wenigen Treppenstufen hinauf zum Eingang.
GUTE NACHT – NUR MIT DEM RICHTIGEN SCHILD
Mit den Schildern »Vacancies« (freie Zimmer) und »No Vacancies« (keine freien Zimmer) weisen britische Hotels und Pensionen vor allem in Touristengegenden auf ihre aktuelle Auslastung hin. Man tut vor allem bei Bed-&-Breakfast-Pensionen gut daran, diese Information ernst zu nehmen und nicht dennoch einen Versuch zu unternehmen, ein Zimmer zu bekommen. Meist hängt »No Vacancies« vor der Tür, gerade weil die Betreiber nicht noch 20 weiteren Gästen sagen möchten, dass ihre Betten komplett belegt sind.
Es riecht muffig. Das Haus mag 100 oder mehr Jahre an diesem Standort hinter sich haben – viel gelüftet worden ist in dieser Zeit jedenfalls nicht, mutmaßt Peter. Doch die Atmosphäre gefällt ihm. Die Wände sind weiß, an der Decke hängt Stuck, ein kleiner Kronleuchter ziert den Eingangsbereich, gleich links steht ein schmaler Rezeptionstresen aus dunklem Holz – und fast hätte er den kleinen Mann dahinter übersehen. Mittleres Alter, Haarkranz, penibel gebügeltes Hemd, Manschettenknöpfe: Hier ist es endlich, das England, das Peter erwartet hatte. Der Rezeptionist schaut hoch.
»Guten Nachmittag, checken Sie ein?«, fragt er. Peter stutzt. Denn das eben Ausgesprochene hörte sich eher nach »Gu’Nachtg, Checkn?« an. Was für ein seltsamer Dialekt. Wo war denn das gute alte Oxford-Englisch, das ihm sein Lehrer in der 11. Klasse so penetrant beibringen wollte, als sich Peter nach einem USA-Schüleraustausch tief in seiner Amerikaphase befand. Er war derart angetan vom amerikanischen Lebensstil, dass er auch im Unterricht begann, Worte so wie seine Gastfamilie von der Westküste mit breitestem Akzent auszusprechen. Bis ihn sein Lehrer, Herr Heitmüller, vor die Wahl stellte. Peter beherrschte das amerikanische Englisch als Elftklässler mit drei Wochen USA-Erfahrung bei Weitem nicht so perfekt, als dass er nicht doch immer wieder auf britische Ausdrücke hätte zurückgreifen müssen. »Wenn du amerikanisches Englisch sprechen willst, dann mach es richtig«, hatte ihn Herr Heitmüller damals aufgefordert. »Oder lass es sein.«
Der eingeschüchterte USA-Fan ließ es widerwillig sein.
Schade eigentlich, überlegt sich Peter nun in dieser Sekunde an der Rezeption seines Londoner Hotels. Wenn er das perfektioniert hätte, könnte ich den Herrn vielleicht besser verstehen. Peter lächelt und nickt freundlich. Ja, er möchte gern »nchckn«.
Die Reaktion war offenbar korrekt. Der gebügelte Herr verfällt in eine Prozedur, die Peter als Eincheckphase analysiert.
»Ihr Name, Sir?«, fragt der Rezeptionist. Doch es kommt wieder nur »Nämsör« bei Peter an. Der will gerade höflich nachfragen, was der Herr denn wohl mit seiner Frage gemeint habe, da hält dieser ihm schon eine Anmeldekarte unter die Nase, worauf er bereits die auszufüllenden Felder angekreuzt hat: Name, Anschrift, Zahlungsart, Kennzeichen.
Kennzeichen? Peter macht einen Strich. Er will zwar noch einen Wagen anmieten für den größten Teil seines Urlaubs, doch hier in London verzichtet er dankend auf die aktive Teilnahme am Straßenverkehr. Er hat ausnahmslos Horrorgeschichten darüber gehört.
»Single? Twin? Double?«
Das wird Peter jetzt doch ein bisschen zu persönlich.