Fettnäpfchenführer Finnland. Gudrun Söffker

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Fettnäpfchenführer Finnland - Gudrun Söffker Fettnäpfchenführer

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Sie ein in das stolze Schulterklopfen nach überstandenen Torturen: Ja, ich war in Finnland. Ohh, es war schon heftig. Aber (jetzt bitte ein verlegenes Lächeln einschieben, das die Glaubwürdigkeit Ihrer nächsten Aussage massiv unterstützt und die Fantasie Ihres Gegenüber garantiert beflügelt): War schon okay. Den optischen Beweis dafür kann man kaufen und stolz herumtragen: Das T-Shirt mit lauter Stechmücken und der vielsagenden Aufschrift »Finnish Army« gibt es wirklich.

      Wenn Greta beharrlich bleibt, obwohl der Informant zwar erfahren, aber wenig seriös wirkt, hat sie schon mal die schwierigste Hürde auf dem Weg zur Finnlandversteherin genommen: die Scheu vor der Frage an sich.

      3

       WO WOHNE ICH DOCH GLEICH?

       ÜBER DIE IDENTITÄT EINER ADRESSE

      Eine Insel, ein Fels, eine Insel, ein Fels – Insel, Fels, Inselfels, Felseninseln und Meer. Meer, endloses Meer, von Tausenden Schären durchsetzt, diesen kleinen Inselchen, mal mit Bäumen, mal ohne, oft mit einem Haus, manchmal sogar mit zweien bestanden. Und auf dem ewig blauen Wasser die weißen Spuren der Boote. Menschen kann Greta nicht erkennen, obwohl sie einen Fensterplatz im Flugzeug hat und gebannt vor der Scheibe hängt. Und es gibt viel zu entdecken dort an der Küste vor Helsinki. Doch kann man das eigentlich Küste nennen? Ist das Schärenmeer nicht viel eher ein Lebensraum mitten im Wasser, ganz egal, wo die Küste liegt?

       JEDEM SEINE INSEL – FINNLANDS SCHÄRENGARTEN

      Was im Altnordischen sker und im Althochdeutschen scorro hieß, kennen wir heute noch von der englischen shore, der Küste. Der Begriff Schäre ist seit dem 17. Jahrhundert im deutschen Sprachraum vor allem für die zwischen Schweden und Finnland liegenden kleinen bis mittelgroßen Felseninseln im Gebrauch. Es gibt dort so viele, dass man fast trockenen Fußes über das Meer gelangt. Na, nicht ganz, die größte offene Strecke ist doch 40 Kilometer lang. Aber mitten zwischen den beiden nordischen Nachbarn liegt ein ganzer Inselhaufen, Åland genannt, der zu Finnland gehört, aus mehr als 6.500 Eilanden besteht und zahlreiche Selbstverwaltungsrechte zuerkannt bekommen hat, vor allem im Kultur-, Bildungs- und Umweltbereich. Schwedisch ist auf Åland einzige Amtssprache.

      Große, behäbige Fähren ziehen langsam ihre Bahn, wie auf einem Band geführt bewegen sie sich durch die unüberschaubar grünblaue Landschaft. Das Flugzeug ist schon kurz vor der Landung, aber es schwebt nicht näher an die Inseln heran, nein, es überfliegt tatsächlich auch noch einige Streifen dicht bebautes Land. Land, von dem man kaum etwas sieht vor lauter Straßen und Häusern, aber genau dort lässt es sich nieder, zwischen der dichten Bebauung sinkt es hinab.

      Die Fahrtstrecke der U-Bahn ins Stadtzentrum ist lang genug, um ein bisschen anzukommen, und auch unspektakulär genug, um die Zeit für einen Moment der Entspannung zu nutzen. Am Bahnhof den Bus zur Wohnheimvermittlung finden: auch kein Problem, wenn nur diese Hitze nicht wäre. 29 Grad im Schatten, ein Hoch über Russland, das die konstante Wärme bis an die Ostseeküste schickt. Greta zieht ihre Wanderjacke aus und legt sie quer über den Trolley. Viel los ist hier nicht, ein Donnerstag Anfang Juli, alle Kinder haben Ferien und die Erwachsenen scheinen auch wenig Lust zu verspüren, um halb vier durch die Straßen zu schlendern. Halb vier, nur noch eine halbe Stunde Zeit, bis das Wohnheimbüro schließt! Welcher Bus ist doch gleich der richtige ... Es quietscht, es surrt. Kein Geräusch mehr zu hören. Dann klackt etwas, es fängt wieder an zu surren, es wird lauter, doch schnell wieder leiser, da fährt sie dahin, die Straßenbahn, genau die richtige Nummer, genau die also, mit der sie hätte fahren müssen.

      Auf die vorletzte Minute steht Greta etwas atemlos einer korrekt gekleideten Frau hinter einem wohlaufgeräumten Schreibtisch gegenüber. »Hei!«

       »Hei.«

      »Ich habe ein Zimmer gemietet in Skatudden.«

      »Wie ist dein Name?«

      »Greta Petersen.«

      Die Dame am Schreibtisch lässt ihre Nasenflügel flattern. Sie blickt starr auf ihren Bildschirm. »Greetta ... Hast du eine Bestätigung? Wo sollst du wohnen?«

      »In Skatudden.«

      »Entschuldigung, wo?«

      »Skatudden, hier steht’s.« Greta weiß nicht, ob sie unruhig oder ärgerlich werden soll. »Ist etwas nicht in Ordnung damit? Ist das Zimmer nicht frei?«

      »Sooo, Greetta. Du hast ein Zimmer. Es liegt in Katajanokka. Wenn du hier unterschreibst, sind das deine Schlüssel.«

      »Danke. Hmm. Der Preis stimmt, 273 Euro im Monat ... Wo steht die Adresse, bitte?«

      »Hier. Katajanokanranta 21.«

      »Komisch, ich sollte eigentlich am Skatuddsstranden wohnen.«

      Greta sieht auf die Uhr. Es ist schon zehn nach vier. Sie will auf keinen Fall ohne Schlüssel gehen, und der Preis ist okay. Also warum nicht erst mal zusagen und dann weitersehen? Für heute Abend braucht sie ein Zimmer, extra Hotelkosten hat sie nun überhaupt nicht mit einberechnet.

      Die Dame hinter dem Tresen packt schon ihre Tasche. »Möchtest du nun das Zimmer? Wir schließen jetzt.«

      Ja, das weiß Greta. »Kann ich vielleicht«, Greta bemüht sich um ein verbindliches Lächeln, »das Zimmer erst mal ansehen? Ich meine, es ist ja nun ein anderes, als ich haben sollte, und wenn es weit weg ist ...«

      »Nein, das geht nicht. Du kannst dieses Zimmer haben, alle anderen sind vergeben.«

      Das fängt ja gut an. Greta unterschreibt und fühlt das überraschend intensive Gefühl in sich aufsteigen, dass sie wütend ist auf diese graue Frau hinter dem grauen Schreibtisch mit dem Schlüsselbund, mit dem sie nun auf ebenjenen Schreibtisch pocht. Greta bittet um eine Wegbeschreibung zum Wohnhaus.

      »Straßenbahn 4 bis Katajanokka.«

      Wenigstens ist es dieselbe Linie, mit der sie eigentlich fahren wollte. Also ist es vielleicht gar nicht so weit von der anderen Adresse entfernt. Erleichterung fühlt sich aber anders an. Dabei muss es doch gar nicht schlecht sein. Vielleicht ist es sogar besser? Größer, neuer, ja, gerade erst fertig geworden, und deshalb der Wechsel der Adresse?

      Das Rattern der Straßenbahn beruhigt sie auch nicht, der Ausblick auf die immer schöner werdenden Häuserzeilen schon eher. Jugendstilfassaden, Gründerzeitbauten mit Charme, Großstadtflair vergangener Zeiten, und daneben der Hafen.

       SCHÖNE ARCHITEK-TOUR – JUGENDSTILBAUTEN IN HELSINKI

      An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert ist in mehreren Stadtteilen Helsinkis einzigartige Jugendstilarchitektur errichtet worden, die sehr bequem bei einer Straßenbahnrunde erkundet werden kann. Den Plan dazu gibt es in der Touristeninformation oder im Internet unter https://www.hel.fi/helsinki/en

      Nur noch wenige Haltestellen bis Katajanokka. Wie hieß noch mal die Straße? Katajanokanranta ... Das steht tatsächlich auf einem Straßenschild. Greta blinzelt gegen die Sonne und reißt gleich darauf die Augen auf. Da steht nicht nur Katajanokanranta, da steht auch Skatuddsstranden. Auf demselben Schild! Greta holt die neue Bestätigung heraus. Katajanokanranta. Und die alte Bestätigung: Skatuddsstranden. Egal.

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