Fettnäpfchenführer Finnland. Gudrun Söffker
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Читать онлайн книгу Fettnäpfchenführer Finnland - Gudrun Söffker страница 8
»Wie wär’s, wollen wir uns dort setzen?« Jetzt ein bisschen Entspannung mit Blick aufs Wasser wäre schön.
Doch Lauri schüttelt den Kopf. »Ein andermal gerne. Unseren Staatsgast Greta muss ich zuerst in das Staatszelt führen.«
Der Staatsgast fühlt sich eigentlich mit genug Politik versorgt. Aber Lauri strebt mit schnellen Schritten quer über den Markt. Ihr bleibt nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.
»Greta, wenn ich bitten darf.« Er bleibt vor einem älteren Plastikzelt stehen. »Unsere Loge.«
Greta lacht kurz und pflichtschuldig.
»Du siehst, wie nah das Außenministerium und der rote Empfangsteppich beieinander sind. Dies ist das berühmteste Café des ganzen Marktes. Ich lade dich ein.«
Lauri stellt Kaffee in Pappbechern und zwei munkki, fettgebackene Hefekuchen, auf einen Bistrotisch vor dem Zelt, und zeigt nach oben: »Lies mal!«
»Presidentti« steht groß und überdeutlich auf handgemalten Pappschildern. Und der Kaffee schmeckt, königlich geradezu.
TRADITIONELLER KAFFEEGENUSS
Seit 1929 trinken die Finnen Presidentti-kahvi. Anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der ältesten nordischen Kaffeerösterei ist er damals gemeinsam mit Juhla Mokka (Festtagsmokka) auf den Markt gekommen. Inzwischen wird er allerdings dem veränderten Geschmack gemäß stärker geröstet. Noch heute ist die Firma Paulig, 1876 von einem Deutschen als Kolonialwarenhandel gegründet, dafür verantwortlich. Bis zum Jahr 1967 hatten sie ihre Rösterei auf Katajanokka.
Noojoo!
Überraschungen bringen einen immer mehr aus der Bahn als erwartete Probleme. Bei der Suche nach einer Adresse wird der Großteil der Menschen sich »ganz normal« benehmen, bei der Suche nach einem Schrankplatz schon nicht mehr unbedingt. Obwohl es durchaus verzeihlich ist, den Kaffee zu den Nudeln, die Nudeln ins Abtropfregal und den Präsidenten ins Parlament zu verbannen. Aber die Eisbrecher den Russen zu schenken geht gar nicht. Viel lieber werden sie nach Russland verkauft, wie einige ausgediente Exemplare, die auf den weiten kalten Flüssen im Osten ihr Gnadenbrot bekommen oder auch moderne Konstruktionen von Frachtschiffen mit hohen Eisklassen. Welch Frevel, dann zu glauben, die Spitzenklasse der Schiffbauindustrie sei von Haus aus russisch. Lauri zeigt eine technikpatriotische Haltung, die nicht ungewöhnlich ist. Hochqualitative Produkte aus dem Elektronikbereich, aber auch der Metall- und Papierindustrie haben Finnland in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts international bekannt gemacht. Oft in der Hand gehabt und sicher selten beachtet: Die Deckel vieler Pappbecher auch in Mitteleuropa tragen die Aufschrift des finnischen Verpackungsunternehmens Huhtamäki. Oft unter den Füßen gehabt und ebenso übersehen: Fahrstühle und Rolltreppen der finnischen Firma Kone.
Der Kaffee ist zwar nicht so richtig finnisch, aber das macht nichts. Er ist finnisch genug. Der Präsident ist natürlich auch finnisch, obwohl er erstaunlich viel Russisches an sich hat. Nachdem Finnland nämlich 1917 seine Selbstständigkeit erklärt hatte (siehe »Feierst du mit?«), sind die Befugnisse des früheren russischen Generalgouverneurs zum großen Teil auf den Präsidenten übergegangen. Nach mehreren Verfassungsänderungen verfügt der Präsi-dent heute über weniger Kompetenzen als früher. So vertritt zum Beispiel nicht mehr er, sondern der Ministerpräsident Finnland im Europäischen Rat. Der Präsident ist aber nach wie vor Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Und der Präsidentenpalast direkt gegenüber dem Marktplatz wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von Zar Alexander II. genutzt (mehr zum Verhältnis der Finnen zu den Russen in der Episode »Wo liegen die finnischen Wurzeln?«). Insofern ist es sicher manchmal kompliziert, zu erkennen, was »eigentlich« finnisch ist. Dass es den Finnen zumindest früher ähnlich ging, legt ein viel zitierter Ausspruch aus der Mitte des 19. Jahrhunderts nahe: Schweden sind wir nicht, Russen wollen wir nicht werden, also lasst uns Finnen sein!
5
MÜDE AM MORGEN?
DER OPTIMALE START IN DEN TAG
Im Zimmer ist es noch angenehm dämmrig, aber neben dem Rollo kündigt ein schmaler weißer Streifen Morgenlicht einen schönen Sommertag an. Verschlafen schwingt Greta die Beine aus dem Bett, bleibt aber noch einen Moment so liegen. Ihre Füße baumeln über dem hellen Flickenteppich, der zur Zimmerausstattung gehört, ebenso wie die weißen Möbel: ein Schrank, ein Regal, ein Schreibtisch. Alles nicht das Neueste, aber ordentlich erhalten und schlicht. Und deshalb gut mit ein paar eigenen Dekostücken kombinierbar, überlegt Greta.
Sie steht etwas steif gelegen auf, die neue Matratze ist ziemlich ungewohnt, und das kleine Kopfkissen erst recht.
WIE VIEL SCHLAFPLATZ BRAUCHT DER MENSCH?
Ein bekanntes schwedisches Möbelhaus, das inzwischen auch fünfeinhalb Filialen in Finnland unterhält, bietet nahezu ausschließlich Kopfkissen der Größe 50 mal 60 Zentimeter an. Und das ist kein Versuch, schwedische Traditionen gen Osten zu exportieren, sondern ein ehrliches und realitätsorientiertes Bemühen, den finnischen Markt zu erobern. Matratzen sind hier häufig auch nur 80 Zentimeter breit, sodass die Verhältnisse zum Kissen durchaus gewahrt bleiben. In größeren Hotels kann man sich aber inzwischen darauf einstellen, komfortable quadratische Kopfkissen in Matratzenbreite vorzufinden.
Der Blick aus dem frisch aufgerollten Fenster lässt Greta alle Müdigkeit vergessen. Hoch steht die Sonne schon über der Stadt. Schnell ist sie fertig angezogen in der Küche, von Lauri noch keine Spur. Greta kocht Kaffee und setzt sich an den Tisch.
Sie gähnt herzhaft und merkt, dass sie sich schon recht wohlfühlt in ihrem neuen Zuhause. Greta greift ein Glas aus dem Abtropfschrank und hält es unter den Hahn. Dabei fällt ihr Blick auf das Radio neben der Spüle. 6:12 Uhr. Das gibt’s doch nicht! Ungläubig sucht Greta nach ihrem Handy, aber das ist absolut einverstanden mit dem Radio. Es ist gerade mal Viertel nach sechs. Kein Wunder, dass von Lauri nichts zu hören ist.
WIE HELL SIND DIE SOMMER UND WIE DUNKEL DIE WINTER?
Weder die Erdachse noch den Polarkreis gibt es eigentlich. Trotzdem ist die eine für die Positionierung und Verschiebung des anderen zuständig. Schließlich ist unsere nicht vorhandene Erdachse um 21,5 bis 24,5 Grad geneigt. Derzeit bewegt sie sich wieder in Richtung der 21,5 Grad, das heißt, sie stellt sich ein bisschen gerader. Falls ihr das ganz gelänge, hätten wir keinen Polarkreis mehr. Aber so wahr die Erde keine Kugel ist, sondern eher abgeflachte Pole hat, so wahr wird sie diese Schwankungen weiterhin unternehmen.
Leider wird dieses Gewirr der Imaginationen auch nicht viel klarer, wenn man vor Ort ist. Zwar hat man einst den Polarkreis bei Rovaniemi auf den Asphalt gemalt, sodass die Beweisfotos ohne Weiteres zu knipsen und um die Welt zu schicken sind. Und weil wir Menschen ja an Dokumentationen dieser Art gewöhnt sind, glauben wir es auch gerne. Leider ist er aber gar nicht mehr an dieser Stelle zu finden. Rein praktisch ausgedrückt ist der Polarkreis die gedachte Linie, entlang derer an einem Tag im Jahr die Sonne nicht untergeht. Ebenso geht an genau einem Tag im Jahr die Sonne dort auch nicht auf. Die Neigung der Erdachse, die es nicht gibt, interessiert uns nur in Bezug auf die Bahn, auf der die Erde sich