Bonusland. Götz Nitsche
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Das war erst letzten Sommer gewesen. Als ich mir Dave und Evelyn so ansehe, muss ich daran zurückdenken, und es bleibt eine stille Bewunderung in mir für die Art und Weise, wie sie miteinander umgehen. Ich könnte das nicht, muss ich mir eingestehen. Ich bin eben ein Einzelgänger.
Die Frage, wo das in meinem Leben hinführen soll, verdränge ich, und aktuell beschäftige ich mich sowieso lieber mit einem anderen Problem: Kann man alles, was man zum Leben benötigt, in einer Woche kaufen? Ich stelle mich der Herausforderung, es herauszufinden. Noch am selben Tag fertige ich eine Liste an. Zunächst einmal benötige ich ein Fahrrad. Wo bekomme ich das her? Neuseeland ist ein so kleiner Markt, dass sich eBay noch nie die Mühe gemacht hat, sein Geschäft bis hierhin auszuweiten. Zum Glück hat ein findiger Kiwi das Modell kopiert. Die Seite nennt sich Trademe und funktioniert im Grunde genauso. Bereits zwei Tage später bin ich stolzer Besitzer eines Citybikes der Marke Marin. Die Bremsen funktionieren, die Gangschaltung ist schön griffig und der Sattel bequem. Nur ein Gepäckträger fehlt mir noch, ansonsten ist das Rad einsatzbereit. Gerade einmal siebzig Euro bezahle ich für meinen zukünftigen Gefährten.
Ein Paket mit einer Radhose und zwei Trikots ist bereits aus Deutschland eingetroffen. Mein Tacho ist ebenfalls dabei. Ich hatte meine Mutter darum gebeten, mir die Sachen zu schicken, als ich den Entschluss gefasst hatte, Neuseeland mit dem Fahrrad zu bereisen. Das ist noch nicht mal zwei Wochen her. Ein Hoch auf die moderne Logistik! So muss ich mir nicht unnötigerweise alles neu kaufen.
Einen Schlafsack habe ich bereits. Ich habe ihn in Bolivien in La Paz gekauft. Es steht North Face drauf, doch es müsste wohl eher North Fake heißen. Angeblich sind Daunen drin, doch beim ersten Test im Haus piken die Federn verdächtig und drücken durch das Gewebe in meinen Rücken. John bringt mir Gewissheit. Er ist der Ehemann der ältesten Tochter von Dave und Evelyn und arbeitet in einem Outdoorladen in Hamilton.
»North Face bringt sein Emblem immer am Boden der Hülle an. Dein Schlafsack hat es an der Seite. Siehst du?«
Ich sehe es zähneknirschend. Der Schlafsack hat genauso viel gekostet wie das Fahrrad, war aber wohl im Vergleich leider kein so tolles Schnäppchen. Egal, im Augenblick sind die Nächte ohnehin sehr mild. Ich werde mich nur lose damit zudecken müssen.
John übernimmt sogleich die persönliche Beratung meiner Vorbereitungen. Er verschafft mir einen kleinen Rabatt auf alle Produkte in seinem Laden, und so kaufe ich als Nächstes eine Gaskartusche und einen Campingtopf bei ihm. Einen schraubbaren Gaskocheraufsatz für die Kartusche schenkt er mir. In derselben Mall wie Johns Outdoorladen befindet sich auch ein Fahrradgeschäft. Dort kaufe ich einen Gepäckträger und einen Helm für kleines Geld. Was brauche ich noch?
»Das hier!«, sagt John und hält mir grinsend ein Stück Plastik hin. An dem einen Ende ist es geformt wie ein Löffel, an dem anderen sieht es aus wie eine Gabel, nur dass der linke Spieß zusätzlich wie ein Messer gezackt ist.
»Was zur Hölle ist das?«, frage ich.
»Ein spork knife! Ein Messer mit einer Mischung aus spoon und fork!«
Ich weiß was das ist, ich habe es auch schon mal in Deutschland gesehen. Bei uns heißt das Göffel. Eine Mischung aus Gabel und Löffel. Ich hatte nur nicht gedacht, dass irgendwer so etwas wirklich verwenden würde.
»Das meinst du nicht ernst«, wehre ich mich.
»Du wirst es lieben«, sagt John und zieht es einfach mit über den Scanner. »Kostet auch nur drei Dollar.«
Da ich zugeben muss, dass ich mir bislang keine Gedanken über mein Besteck gemacht habe, verzichte ich auf weiteren Protest. Auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, dass das Teil wirklich praktikabel ist.
Als Nächstes benötige ich Satteltaschen. Ein paar Tage zuvor, bei einem Glas Wein auf dem Balkon meiner Bekannten in Santiago de Chile, habe ich schon mal danach gegoogelt. Ich fand welche aus Tarpoil, absolut regendicht und mit reichlich Volumen, für nicht mal 60 Euro das Paar. An meinem dritten Tag in Neuseeland kommen sie an. Gerade rechtzeitig, um mit ihrer Hilfe ein paar große Besorgungen zu machen.
Denn was ich noch benötige, ist ein Zelt. Da ein Zeltaufbau allein mit Schwierigkeiten verbunden ist, suche ich ein Wurfzelt, das sich praktisch von allein aufbaut. Wieder werde ich bei Trademe fündig. Ein Typ aus England, der nach einem Jahr Work and Travel wieder nach Hause muss, verscherbelt seinen gesamten Hausrat. Er schenkt mir auch gleich noch eine Isomatte. Wunderbar!
»Für drei Dollar kannst du auch gern diese selbstaufblasende Matte haben«, fügt er hinzu.
»Neeee, danke«, grinse ich und bleibe bei der kostenlosen Version. Drei Dollar für ’ne Isomatte! Pah! Ich muss ja schließlich die Kosten für den Schlafsack wieder reinholen. Ich packe beides in meine neuen Satteltaschen und fahre zurück nach Ngāruawāhia.
Am Point gönne ich mir eine Pause. Der Point ist ein kleiner hübscher Park auf der Landzunge, wo der Waipa River in den Waikato fließt, mitten in Ngāruawāhia. Der Waikato ist der längste Fluss des Landes, quasi der Rhein von Neuseeland. Mit gut 400 Kilometern ist er jedoch deutlich kürzer und gleicht in der Breite auch höchstens dem Neckar. Trotzdem, als ich hier zur Schule ging, fanden wir es immer toll, einen so großen Fluss mitten im Ort zu haben.
Rechts sehe ich die große, gusseiserne Brücke, über die der Highway One den Waikato kreuzt. Als Schüler war ich jeden Morgen über sie zur Schule gelaufen und jeden Nachmittag zurück. An heißen Sommertagen waren wir von der Brücke in den Fluss gesprungen. Zehn Jahre ist das jetzt her, und auch heute spielen ein paar Schüler an derselben Stelle.
Im äußersten Dreieck dieses Parks, beinahe schon im Wasser, steht eine Bank. Hier lasse ich mich nieder. Zufrieden strecke ich die Glieder von mir. Auf der anderen Flussseite, ein paar Hundert Meter stromabwärts, erkenne ich tatsächlich das alte Haus, in dem die Familie Dunway und ich damals wohnten. Es steht unverändert an der Hügelkette außerhalb Ngāruawāhias. Zehn Jahre, denke ich. Die Zeit war mir lebhaft in Erinnerung geblieben, und doch wurde diese mit den Jahren surreal, als wäre das, was ich damals erlebte, in einer anderen Welt geschehen. Und nun bin ich wieder hier und alles kehrt zurück.
Ich bewohnte damals mit zwei meiner Gastbrüder einen Baucontainer auf der anderen Seite des Hofs. Platz für einen Schreibtisch war in dieser Bude nicht mehr, denn wir teilten uns das Zimmer mit unserem gesamten Vorrat an Emufleisch, der in einer zwei Kubikmeter großen Kühltruhe lagerte. Also verbrachten wir die meiste Zeit draußen im Garten – oder eben am Fluss. Die Familie hatte ein Kanu, mit dem wir den kleineren, verwunschenen Waipa River erkundeten. Doch das Highlight war das Motorboot, das Dave in der kleinen Scheune lagerte. An einem warmen Sommertag ließen wir es zu Wasser und drehten unsere Runden auf dem Fluss. Direkt vor dem Point, da wo er am breitesten war, ließen wir einen Schwimm-Donut zu Wasser und banden ihn hinten ans Heck. Einer nach dem anderen klammerten wir uns an die Schwimmhilfe, ließen uns von Dave über den Waikato ziehen, jauchzten und johlten, wurden übermütig und begannen uns aufzurichten, bis Dave vor dem Point eine scharfe Kurve mit dem Boot einschlug. Der Donut schoss am Boot