Bonusland. Götz Nitsche
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»Das hätte auch ins Auge gehen können«, scherzte unser Captain und zeigte mir stolz die zwei Fische, die er in der Zwischenzeit geangelt hatte.
Lustiger Kerl, wirklich. Ich wusste gar nicht, dass ich auch für die anderen Arbeiter den Clown gab. Was sollte ich jetzt tun? Vorsichtig tastete ich mit der Zunge nach der Lücke. Ein bisschen was war noch übrig vom Zahn, fast die Hälfte sogar. Und wenn man es genau betrachtete, lag der Nerv gar nicht frei. Nur fast. Ein Zahnrest lag noch darüber.
»Gran barbacoa esta noche!«, freute sich der Captain und schlug sogleich pantomimisch vor, wie ich mit schräg gelegtem Kopf möglicherweise auch ein wenig essen konnte.
Das hatte ich nun davon, nach unorthodoxen Abenteuern zu suchen. Ich hatte hart mit mir zu kämpfen. Sollte ich einfach ignorieren, dass meine Zunge ständig in Leere fuhr, und so tun, als fände ich das Ganze so witzig wie Pete und die anderen? Wenn man drüber nachdachte, war dieser Schönheitsfehler auch ein klein wenig cool. Extrem cool, um genau zu sein!
»Damit hast du niemals Probleme, mit Frauen ins Gespräch zu kommen«, scherzte Pete beim Barbecue am Abend und hatte damit vielleicht sogar recht. Es war jedenfalls bislang die eindrucksvollste Geschichte, die ich auf meiner Reise erlebt hatte. Ähnlich wie die Radlerin aus San Salvador hatte ich nun immer eine gute Anekdote, um ein Gespräch zu eröffnen. Sobald ich meinen Mund aufmachte, war ich die interessanteste Person im Raum. Es war kurz vor Silvester, und ich wusste von ein paar Leuten, die auf der Karibikseite von Panama feiern würden. Es wäre doch ziemlich lässig, wenn ich dort mit meiner Zahnlücke auftauchte, als gäbe es nichts Besonderes. Ich könnte Frauen anmachen und ihnen erzählen, ich sei kanadischer Eishockeyspieler oder so was. Vielleicht sprang dadurch ja sogar der eine oder andere Vorteil für mich heraus. Morgen würde ich dorthin fahren.
Ein letztes Mal setzte ich mich auf mein Bett im Arbeiterquartier und klappte das Laptop auf. Ich erheiterte meine Freunde in Deutschland, indem ich ein Foto meines Siegerlächelns auf Face-book hochlud. Dann öffnete ich unschlüssig eine Suchseite für Flüge und überlegte. Es war höchste Zeit, das nächste Ziel zu definieren. Das übernächste, um genau zu sein, denn in ein paar Wochen hatte ich einen Flug nach Peru, und ich wollte vorsichtshalber vorher einen Flug buchen, der mich von diesem Kontinent wieder wegbrachte. Ich hatte gehört, dass einige Länder bei der Einreise einen Nachweis verlangten, dass man es auch wieder verlassen würde. Also wo wollte ich anschließend hin?
Weiter nach Westen, so viel war klar. Letztlich war der einzige Flug, der für mich infrage kam, der von Santiago de Chile über Neuseeland nach Sydney, Australien. Nur wusste ich gar nicht, was ich da eigentlich sollte. Freunde hätten ursprünglich zu der Zeit in Australien sein wollen. Sie wollten dort ein Auto kaufen und ein wenig umherreisen. Denen hätte ich mich gern angeschlossen, doch sie hatten kurzfristig ihre Reisepläne abgesagt. Und allein war mir Australien schlichtweg zu teuer. Ich hatte ein Budget von fünfoder sechshundert Euro im Monat. Höchstens zwanzig Euro am Tag also. In Australien käme ich damit nicht weit, wenn ich allein reiste und in Hostels schlief.
Nachdenklich fuhr ich mir mit der Zunge durch die Zahnlücke. Für Neuseeland sah meine Prognose auch nicht viel besser aus. Zwar kannte ich das Land, da ich mit sechzehn ein halbes Jahr dort zur Schule gegangen war, und ich würde vermutlich meine Gastfamilie von damals besuchen können. Es würde sicher ein herzliches Wiedersehen geben, nach all den Jahren. Doch was dann? Das Land erschien mir zum einen viel zu teuer und zum Zweiten wie ein ziemlich langweiliges Ziel verglichen mit den Ländern, die ich bis dahin bereist hätte. Ich zögerte.
Nachdenklich betrachtete ich meine Zahnlücke auf dem Facebook-Foto. »Hui, das sieht fies aus«, hatte ein Freund daruntergeschrieben. In dem Moment poppte ein Chatfenster auf. »Kommst du klar?«, fragte mein Bruder. »Warst du schon beim Zahnarzt?«
Ziemlich negativ eigentlich, dafür, dass ich das Foto als Witz gepostet hatte. Doch mit einem Schauer erkannte ich, dass sie recht hatten. Dass ich nicht verwegen aussah, sondern so, als lebte ich unter einer Brücke. Mein Mut zur Lücke war definitiv fehl am Platz. War ich eigentlich bescheuert? Wie konnte ich das nur witzig finden? Ich würde nie wieder in einen Apfel beißen können, verdammt! Ich hatte Mut mit Übermut verwechselt und meine Furcht durch Dummheit ersetzt. Furchtsam zu sein kann dir das Leben retten. Oder ein schönes Lächeln. Ich buchte den Flug nach Neuseeland, sicher ist sicher. Und am nächsten Morgen würde ich als Allererstes einen Zahnarzt aufsuchen.
Reiselust und Reisefrust
Knapp zwei Monate später saß ich in einem Gästehaus in La Paz und fuhr mit der Zunge über die Kunststoffkrone, die mir ein Zahnarzt einen Tag, nachdem ich das Surfcamp verlassen hatte, eingesetzt hatte. Sie hielt gut so weit, trotzdem war ich frustriert. Das Internet an meinem kleinen Reiselaptop wollte nicht funktionieren, und auch sonst war irgendwie der Wurm drin. Ich war quer durch Peru gereist, hoch in die nördlichen Anden, war an der Küste zum Surfen gewesen. Die letzten Tage hatte ich in Cuzco verbracht und mir Machu Picchu angesehen. Die Stadt war schön, keine Frage, und die Ruinenstadt die spektakulärste Ansammlung alter Steine bislang. Aber irgendwie war es auch immer dasselbe.
Am Alleinreisen lag es nicht, da war ich mir sicher. Ich war allein, aber nicht einsam. Es kam zwar manchmal vor, dass ich über mehrere Tage hinweg kaum mit jemandem redete, doch auf der anderen Seite kam ich viel schneller mit anderen Reisenden ins Gespräch, als dies in einer Gruppe der Fall gewesen wäre. Und wenn mir das Gespräch auf den Sender ging, war ich auch schnell wieder allein. Nein, daran konnte es nicht liegen, dass ich frustriert war.
Weil sich mein Rechner auch beim dritten Versuch beharrlich weigerte, mit der großen weiten Welt in Verbindung zu treten, startete ich ein kleines Computerspiel, dass ich mir von einem Reisenden in Peru kopiert hatte. Es war eine billige Kopie des alten »Super Mario«-Spiels aus den Neunzigern. Früher, als ich gerade so zur Schule ging, hatte ich das Spiel tage- und nächtelang gespielt. Heute Abend war es ein willkommener Zeitvertreib. Ich drückte ein paar Tasten, und Mario flog durchs Zauberland, erlebte Abenteuer, überwand Gefahren, quer durch alle Welten. Ein bisschen wie bei mir, nur dass am Ende meiner Reise keine Prinzessin auf mich wartete.
Am späten Abend kam ein Pärchen ins Gästehaus. Sie setzten sich zu mir an den Tisch und wir begannen ein Gespräch. Sie stammten aus England und waren gerade eben von einem Berggipfel in der Nähe zurückgekehrt. Der war 6400 Meter hoch, eigentlich völlig verrückt, so was ohne Akklimatisierung zu machen. Verrückt genug jedenfalls, dass es mich hätte reizen sollen, aber irgendwie ließ es mich kalt. Die zwei reisten bereits seit über einem Jahr um die Welt, erzählten sie. Es war komisch, aber das machte mich nicht wirklich neidisch. Wie konnten sie nach all der Zeit noch über einen erklommenen Berggipfel jubeln? Aber vor allen Dingen drängte sich mir eine ganze andere Frage auf: Wie konnten die beiden immer noch glücklich miteinander sein, obwohl sie seit einem Jahr jede Minute aufeinanderhockten?
Ich musste an meine eigene Beziehung denken. Ihr Ende lag erst wenige Monate zurück. Meine Freundin war im Grunde eine tolle Frau gewesen. Ich hatte sie über ein paar Freunde auf einer Party kennengelernt. Das war zu einem Zeitpunkt, als ich meine Schüchternheit aus der Schulzeit endlich überwunden hatte und jede Party mitnahm, die sich mir bot. Ich war an diesem Abend in Flirtlaune gewesen, wie eigentlich immer, und war mit ihr ins Gespräch gekommen. Dennoch ergab sich am späteren Abend nichts. Vielleicht fand ich sie deshalb besonders interessant. Vielleicht schrieb ich ihr in der nächsten Zeit deshalb ständig Nachrichten. Bald darauf ergab sich eine unverbindliche Geschichte zwischen uns. Wir trafen uns nach der Uni, wir sahen einen Film oder kochten gemeinsam ein Abendessen. Danach schliefen wir miteinander. Wir verstanden uns gut, wir wurden Freunde. Und da nahmen die Probleme ihren Lauf. Sie wollte mehr als nur eine Sexbeziehung, ich nicht. Dabei war es längst mehr als das. Ein halbes Jahr lief das so zwischen