Bonusland. Götz Nitsche
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»Wo reist du als Nächstes hin?«, fragt mich der Engländer.
»Wie bitte?«, fragte ich. Er hatte mich tief aus meinen Gedanken gerissen.
»Wo soll’s von hier aus hingehen?«, wiederholte er.
»In die Salzwüste von Uyuni, dann rüber nach Chile«, antwortete ich lustlos. »Von dort habe ich ein Ticket nach Neuseeland. Weiß noch nicht, wie lange ich dortbleibe.«
Weil ich keine Gegenfrage stellte, wendete sich der Brite wieder seiner Freundin zu. Mir war das ganz recht. Heute hatte ich keine Lust auf Smalltalk.
Plötzlich poppte ein Chatfenster auf meinem Bildschirm auf. Steffen meldete sich mit einem fröhlichen »Ahoi!«. Na großartig, noch so ein Gute-Laune-Monster. Auf der anderen Seite hatte ich schon eine Weile nichts mehr von ihm gehört. Von wo aus er mir wohl gerade schrieb? Er war relativ zügig bis nach Costa Rica geradelt, so viel wusste ich noch, doch dann hatte ich den Kontakt zu ihm verloren.
»Wo treibst du dich rum?«, schrieb ich.
»In der Karibik«, antwortete er. Das war nicht gerade eine präzise Angabe.
»Auf den Bocas del Toro?«, schrieb ich ein wenig ungeduldig. Auf dem Archipel auf der karibischen Seite Panamas hatte ich Silvester verbracht, das war inzwischen sechs Wochen her. Mit dem Fahrrad könnte Steffen inzwischen ebenso weit gelangt sein. Doch da war er nicht. Um es kurz zu machen, er war nicht mal mehr in Mittelamerika.
»Jamaika«, schrieb er. Verblüfft ordnete ich in Gedanken die Weltkarte. Mir war keine Route bekannt, auf der man per Fahrrad Jamaika erreichen konnte, und in der Kürze der Zeit schon gar nicht. Hatte er am Ende seine Radreise aufgegeben und war geflogen?
»Mit dem Boot«, schob er hinterher.
Wie bitte? Wie war das denn passiert? Steffen ließ mich zappeln, und während ich überlegte, ob man in Costa Rica ein einfaches Tourenrad wohl gegen ein Segelboot eintauschen konnte, spürte ich, wie Steffen am anderen Ende des Internets schelmisch grinste. Verdammtes Gute-Laune-Monster! Aber ich war neugierig geworden.
»Jetzt erzähl schon!«, schrieb ich. So ein verdammter Strolch, dass er mich warten ließ. Doch während ich noch nach einem Ohrfeigen-Smiley suchte, schrieb Steffen schon, was passiert war.
Er war bis Costa Rica geradelt. Dort hatte er schließlich Puerto Limón erreicht, eine Hafenstadt an der Karibikküste, und war in einer Kneipe mit einem amerikanischen Segler ins Gespräch gekommen. Der Segler verbrachte die Wintermonate auf seinem Katamaran zwischen den USA und dem mittelamerikanischen Festland und ließ sich von einer der zahllosen Inseln zur nächsten im wahrsten Sinne des Wortes treiben, gone with the wind. Er fand Steffens Art zu reisen irgendwie interessant, und ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass es andersrum genauso war. Also heuerte Steffen auf seinem Katamaran als Skipper an. Kostenfrei natürlich. Arbeit gegen Kost und Logis. Im Gegensatz zu diesem Coup kam mir mein Deal in Panama mit dem Surfcamp vor wie Pulverkaffee neben dem frisch gerösteten Produkt eines Vollautomaten.
»Wie konnte das passieren?«, schrieb ich neidisch. »Wie kannst du so viel Glück haben?« Gebannt wartete ich auf seine Antwort. Ich meine, ernsthaft: Wer setzt sich denn bitte in eine Hafenkneipe, kommt mit seinem Tischnachbarn ins Gespräch und segelt am nächsten Tag durch die Karibik? Wie geht denn so was?
»Karma«, schrieb Steffen schließlich. Arsch, dachte ich.
Aber ich begriff, was er meinte. Er hatte das Abenteuer gesucht, und es hatte ihn gefunden. Er hatte seine Leidenschaft investiert und dafür viele eindrückliche Erfahrungen zurückbekommen. Er hatte die Welt umarmt und sie ihn. Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus, dachte ich. So wie ich dem Ruf einer E-Mail gefolgt war, die irrtümlich in meinem Postfach gelandet war, und dafür das bislang größte Abenteuer meiner Reise gefunden hatte. Ich hatte dadurch zwar einen Zahn verloren, aber die vielleicht aufregendste Geschichte meines Lebens erlebt. Im Grunde suchte ich seither nur etwas, das diese Erfahrung toppen konnte. Deswegen war ich seit Wochen so lustlos. Weil ich tagaus, tagein denselben Backpackermist erlebte. Und dann wusste ich, was ich tun würde.
Ich würde mir in Neuseeland ein Fahrrad kaufen. Ich würde auf der Straße leben. Ich würde mein Essen selber kochen. Ich würde mit so wenig auskommen, wie es nur menschenmöglich war, und ich würde so viele Abenteuer erleben, wie man in einem Leben unterbringen konnte. Ich würde von den Bergen schreien und die Welt umarmen. Und die Welt würde mich umarmen.
So war es, und so würde es sein. Genug des Zauderns! Vom Pauschaltourismus hatte ich mich längst emanzipiert, doch nun genügte mir auch das Backpacking nicht mehr. Endlich weg von den üblichen Touristenrouten! Bis Santiago würde ich noch auf ausgetretenen Pfaden wandeln, doch danach würde ich neue erschaffen.
Ich reiste durch das bolivianische Altiplano, hinüber in die Atacamawüste nach Chile. Von dort war ich in einem Tag in Santiago. Zum Glück lebte meine alte Bekannte noch dort, und sie bot mir Obdach für meine letzte Nacht.
»Ich reise nach Neuseeland«, verkündete ich stolz. »Und ich werde dort das Land mit dem Fahrrad bereisen.«
»Allein?«, fragte meine Bekannte.
»Ich reise gern allein«, entgegnete ich. »So kann man die Reise intensiver wahrnehmen. So lebt man viel bewusster in der Gegenwart.«
Und so nahm ich es mir vor. In dem Moment, wo ich einen Fuß auf Neuseelands Boden setzen würde, würde ich ankommen. Im ultimativen Abenteuer. Nicht auf dem Weg, sondern permanent im Ziel. Endlich, langsam. Endlich bei mir selbst. Im Hier und Jetzt.
Ankunft und Planung
Im Hier und Jetzt
Der Flughafen von Santiago war sauber gewesen. Groß, hell und freundlich. Chile gilt als Land mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen Südamerikas, und insbesondere die Geschäftszentren der Hauptstadt stehen Metropolen wie London, Paris oder New York in nichts nach. Den letzten Abend hatte ich mit meiner Bekannten bei einem guten Wein auf dem Balkon einer modernen Stadtwohnung verbracht. Das Ganze hätte ebenso gut in Europa stattfinden können.
Dennoch habe ich erst jetzt das Gefühl, die erste Welt wieder erreicht zu haben. Woran liegt es? Vielleicht am Kommerz, der mich in Form von lebensechten Trollstatuen aus den »Herr der Ringe«-Filmen begrüßt. Vielleicht auch daran, dass die Menschen wieder mehr aussehen wie ich. Oder ist es der Duft? Jedenfalls fühle ich mich gleich ein Stück weit zu Hause. Ich nehme einen tiefen Zug und reihe mich in die Schlange vor der Passkontrolle ein. Ich bin zurück, nach vielen Jahren, im Land der langen weißen Wolke. Ich bin am Ziel meiner Träume, dem wahren Grund für meine Reise, das weiß ich jetzt: Ich bin im Hier und Jetzt.
Gespannt warte ich darauf, dass sich mir die Schleusen öffnen, dass man mich einlässt ins Paradies am Ende der Welt, in meine Reise, mein Abenteuer. Im Landeanflug hatte ich im Halbschlaf die Lichter der größten Stadt des Landes betrachtet. Auckland ist groß, nicht nur für neuseeländische Verhältnisse. Mit 1,4 Millionen Einwohnern ist die Stadt so groß wie München. Flächenmäßig schlägt sie die bayerische Landeshauptstadt allerdings um das Fünfzehnfache. Dafür gibt es vor allen Dingen einen simplen Grund: Es gibt ausreichend Platz.
Als die europäischen Siedler die Stadt gründeten, errichteten sie ihre Häuser in einem Gebiet, das von mehreren Siedlungen der Māori bereits gut erschlossen