Bonusland. Götz Nitsche

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Bonusland - Götz Nitsche

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von Neuseeland war es noch ein weiter Weg. Als wir nach einer Woche die Grenze nach Guatemala bei Cara Sucia überquerten, gab mir das Schicksal einen entscheidenden Stoß.

      Cara Sucia bedeutet auf Deutsch »dreckiges Gesicht« und beschreibt den Charme des Städtchens zur Genüge. Mit Chicken-Bussen fuhren wir weiter bis Antigua, der ehemaligen Hauptstadt des Landes. Sie liegt vor den Toren von Guatemala-City und wird eingerahmt von mehreren, teils aktiven Vulkanen. Das Kolonialstädtchen zählt mit seinen Pflasterstraßen, seinen halb zerfallenen Kathedralen und seinen pastellfarbenen und knallbunten Hauswänden zum UNESCO-Weltkulturerbe. Es ist der Go-to-Place für alle Reisenden in Guatemala. Es gibt Hostels an jeder Ecke, amerikanische Fast-Food-Ketten und jede Menge buchbare Action. Ich hatte gemischte Gefühle, was diese Stadt betraf. Auf der einen Seite war es verlockend, mal wieder für ein paar Tage einen etwas westlicheren Standard zu genießen. Auf der anderen Seite drängte mich mein Ehrgeiz dazu, auf jeglichen Komfort zu verzichten. Eine geführte Tour im Geländewagen zu einem Vulkan würde einen Rückschritt bedeuten im Vergleich zu einer spontanen Wanderung, die wir in den Bergen El Salvadors unternommen hatten. Und die Matratze des Gästezimmers hatte unbequem zu sein, denn nur wenn man die Knochen im Leib spürt, ist man auf derselben Ebene wie die arme, hart arbeitende Landbevölkerung. Eigentlich albern, dachte ich, als ich im Hostel meinen Rucksack auf die untere Matratze eines Etagenbettes warf. Sie sah ziemlich bequem aus. Das gefiel mir nicht. Natürlich war es albern, aber ich wollte immer nach vorn, niemals einen Schritt zurückgehen. Dieses Bett gab mir das Gefühl eines Fünf-Sterne-Urlaubs auf den Malediven. Ich grummelte missmutig vor mich hin.

      »Hey!«, sagte plötzlich eine Stimme über mir. Ich hatte den jungen Mann, der im oberen Bett schlief, geweckt. Hatte ich etwa laut mit mir selbst gesprochen? Hatte ich mich schon so weit in meiner verrückten Welt verloren, dass ich nicht mal mehr bemerkte, wenn ich redete?

      »Ich kenne dich doch«, sagte der Mann und musterte mich nachdenklich. Stimmt, jetzt fiel es mir auch ein. Er hatte im Flieger nach Panama vor mir gesessen. Wir hatten nur wenige Worte miteinander gewechselt, eigentlich kein Grund, gleich ein Wiedersehensfest zu feiern. Aber ein Zufall war es schon.

      »Ich bin Steffen«, sagte er.

      »Du bist also von Panama nach Guatemala weitergeflogen?«, fragte ich. »Aber das ist doch schon über eine Woche her! Gefällt dir Antigua so gut, dass du länger hierbleibst?« Ein langweiliger Möchtegernabenteurer, schloss ich in Gedanken. Einer von denen, die einen Sprachkurs machten, sich einer geführten Tour auf den Vulkan anschlossen und hinterher zu Hause so taten, als hätten sie den Buschmännern das Feuer gebracht.

      »Nee«, sagte Steffen. »Aber ich warte leider immer noch auf mein Gepäck. Die Idioten haben es von Panama nach Mexiko geschickt.«

      »Das ist mir auch passiert! Aber meins war dann nach drei Tagen da. Hast du denn schon irgendeine Nachricht, wo es sein könnte?«

      »Oh, es ist da, das ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass die Hälfte meiner Ausrüstung aus den Satteltaschen geklaut wurde.«

      »Satteltaschen?«, hakte ich nach. Hatte ich mich gerade verhört? Warum sollte jemand mit Satteltaschen reisen? Ich fand meinen klassischen Rucksack wesentlich praktischer.

      »Ja, und sogar die Klingel haben sie mir geklaut. Ich will eigentlich mit dem Fahrrad durch Lateinamerika fahren. Aber im Augenblick müssen sich die verschiedenen Flughäfen einigen, wer von ihnen mir eine Entschädigung bezahlt. Die haben ja selbst keine Ahnung, wo das Zeug geklaut wurde. Deshalb hänge ich hier fest und vertreibe mir die Zeit mit einem Spanischkurs.«

      Ein bisschen schämte ich mich für meine Vorverurteilung. Doch das Gefühl der Überheblichkeit war insgeheim Neid gewichen. Steffen wollte sich einfach am Flughafen von Guatemala City auf sein Rad schwingen und von dort durchs Land radeln? Ohne Plan, ohne Begleitung, ohne Spanisch zu können? Und dann in Guatemala City! Die Stadt hat zwar kaum mehr Einwohner als Köln, aber ansonsten nicht viel mit der ersten Welt gemeinsam. Wie leider alle Großstädte auf der kontinentverbindenden Landbrücke ist Guatemala City ein dreckiger, stinkender Moloch. Schnellstraßen winden sich mitten durch die Armenviertel, und im Gegensatz zu Köln-Porz muss man hier im Dauerstau wirklich die Knöpfchen runtermachen. Die Wellblechhütten klammern sich an die Hänge, ein bisschen wie in den Favelas in Rio, nur in umgekehrter Richtung. Denn anstatt bergauf, geht es in Guatemala tief abwärts in scheinbar bodenlose Schluchten. Immer tiefer wachsen diese Gettos in den Urwald hinein, immer weiter müssen die Ärmsten der Armen klettern, um entlang der Lebensader, die die Straße für sie darstellt, ihren Unterhalt zu erstreiten. Im zweifelhaften Ranking der Städte mit der höchsten Mordrate verpasste Guatemala City die weltweite Top Ten nur knapp. Das wusste ich allerdings alles nur aus Erzählungen, denn ich mied die Stadt, so lange ich konnte.

      »Clara!«, sagte ich, als meine Freundin den Raum betrat. »Wir sollten mit Steffen einen trinken gehen.« Er faszinierte mich, das konnte ich nicht abstreiten. Etwas an seiner gelassenen Art beeindruckte mich tief.

      »Die Strecke von Guatemala City nach Antigua ist heute viel sicherer als früher«, erzählte uns kurz darauf ein Einheimischer an der Bar. »Ich bin Busfahrer, ich kenne die Statistik. Im Schnitt werde ich nur noch alle 200 Fahrten überfallen.« Er lachte ein fast zahnloses Lachen.

      »Siehst du«, sagte Steffen strahlend. »Das bedeutet, man hat eine Chance von 199 zu eins, dass alles glattläuft, wenn man aus Guatemala City rausfährt.«

      »Aber du bist auf einem Fahrrad!«, protestierte ich. »Und allein! Sobald du an einer Kreuzung stehst, bist du ein leichtes Opfer! Und außerdem!« Ich rechnete kurz nach. »Also, Señor«, fuhr ich auf Spanisch fort. »Wenn Sie alle 200 Fahrten überfallen werden, und täglich so circa acht Fahrten machen. Dann bedeutet das doch, dass Sie …«

      »Nur noch etwa alle sechs Wochen überfallen werde. Sí, Señor! Wie ich schon sagte, die Strecke ist wesentlich sicherer geworden.«

      Ich fühlte mich völlig überfordert von so viel Unbekümmertheit. Vielleicht, weil mir selbst einmal mehr bewusst wurde, was ich doch für ein Angsthase war. Oder weil ich hin- und hergerissen war, ob ich Steffen für seinen Mut bewundern oder beneiden sollte. Aber nie im Leben hätte ich mich das getraut.

      »Warum willst du überhaupt mit dem Fahrrad fahren?«, fragte ich ihn schließlich. »Das Reisen in den Chicken-Bussen kostet fast nichts, und die Unterkünfte sind bequemer, als jeden Abend ein Zelt aufzubauen.«

      »Es geht mir nicht um das Fahren an sich«, entgegnete Steffen. »Es geht mir um die Geschichten, die am Wegesrand liegen. Kannst du dir vorstellen, was man da alles erlebt? Ich bin mir sicher, dass die Menschen ganz anders mit mir umgehen werden als mit gewöhnlichen Reisenden. Ich werde das Land auf eine Art kennenlernen, wie es ein normaler Tourist nie könnte.«

      Ich konnte es mir nicht wirklich vorstellen, nein. Und es traf mich, wie Steffen von gewöhnlichen Reisenden sprach. Es klang nicht abwertend aus seinem Mund, doch es klang abwertend in meinen Ohren. Für ihn musste ich das sein, was für mich ein Pauschaltourist war. Jemand, der dem Abenteuer lieber vom Pool aus zuwinkte, anstatt sich selbst hineinzustürzen. Dieser Gedanke nagte an mir wie ein Marder am Bremskabel. Man wusste noch nicht wie und wann, doch irgendwann würde deswegen etwas passieren.

      Clara und ich setzten unsere Reise schon bald fort, doch ich blieb mit Steffen in Kontakt. Und während wir mit Bussen, Booten und zu Fuß Vulkane erklommen, Maya-Ruinen erforschten und die Abgeschiedenheit des Rio Dulce entdeckten, begann Steffen bald doch noch sein Abenteuer auf dem Fahrrad.

      Er fuhr grob die Panamericana hinab. Ausgerechnet die Panamericana, die mich in meiner Not so hart und herzlich durchgeschüttelt hatte! Eine Höllenstraße, auf der niemand einfach nur fährt, sondern grundsätzlich immerzu überholt. Es scheint

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