Bonusland. Götz Nitsche
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Keine Ahnung, woher das rührte. Vielleicht, weil ich dieses Jahr unbedingt allein verbringen wollte. Ich hatte mir nicht mal die Mühe gemacht, nach einem Reisepartner zu suchen. Ich war gern allein. So vermied man Konflikte am effektivsten. Mir erschien es friedvoller. Meine Mutter hingegen hielt es wohl für verrückt. Ich konnte es ihr nicht übel nehmen, aber musste sie sich deswegen gleich Sorgen machen? Für mich war es unvorstellbar, ein Jahr mit einem Freund oder einer Partnerin zu reisen – daran musste in meinen Augen auch die stärkste Beziehung zugrunde gehen.
Der Gedanke, allein zu reisen, erschien mir daher nur logisch. Doch ich hatte schon häufig feststellen müssen, dass die Dinge nur so lange einen perfekten Sinn ergaben, solange ich sie für mich behielt. Ich wollte allein reisen. Punkt. Aus. Ende. Sollten andere das doch anders sehen. Sobald ich mich auf Diskussionen einließ, stand ich unter Stress. Das waren ganz generell keine guten Voraussetzungen für eine Reise mit Freunden. Von einer Beziehung ganz zu schweigen. Damit wäre das Thema also auch geklärt: Eine Freundin gab es nicht, die mich zurückgehalten hätte. Nicht mehr. Bei dem Gedanken entfuhr mir ein Seufzer. Meine erste und gleichzeitig auch meine letzte Beziehung lag noch nicht lange zurück. Und sie hatte – wie wohl die meisten Beziehungen – nicht gut geendet.
Während die kahlen Felder vor dem Fenster des ICE vorüberzogen, der mich zum Flughafen brachte, strich ich mir nachdenklich über den ebenso kahlen Kopf. Vielleicht lag die Sorge meiner Mutter auch darin begründet, dass ich in Vorfreude auf ein Jahr Sommer einen Aufsatz auf meinen Rasierer gesteckt und auf meinem Schädel Tabula rasa gemacht hatte. Die Frisur sah ein wenig gewöhnungsbedürftig aus, das musste ich wohl zugeben. Ich sah aus wie einer jener verwirrten jungen Männer, die man heutzutage auf Pegida-Demonstrationen antrifft. Besorgniserregend? In den Augen meiner Mutter ganz bestimmt.
Es war Anfang November und in Deutschland brach grade der Winter an. Das war das Gegenteil von dem, was ich mir für das kommende Jahr vorgenommen hatte, daher führte mich mein erstes Ticket ins immer heiße, immer dampfende El Salvador. Runter mit dem Mantel, runter mit den Sitzpolstern, runter mit den langen Haaren! Raus aus Deutschland, raus aus der Komfortzone und rein ins Abenteuer! Auf ins staubige Abgas der Panamericana! Ein Jahr westwärts, das war die Devise, mal abgesehen von der Nord-Süd-Bewegung auf dem amerikanischen Kontinent. In jedem Fall: Ein Jahr dem Sommer folgen. Strände, Dschungel, Freiheit! Ein Jahr Entschleunigung. Und dann? Vielleicht noch eins, mal sehen. Eine letzte Umarmung, eine letzte Tasse Tee am Flughafen, und ich war weg. Was ich wohl entdecken würde?
Reise nach El Salvador
Ziemlich viel, stellte ich bald fest, nur nicht mein Gepäck. Eine Viertelweltumrundung später stand ich am Kofferband und sah ratlos nach links und rechts. Die Suche nach dem großen Abenteuer war fürs Erste einer Suche nach dem kleinen Rucksack gewichen. Ein Passagier nach dem anderen griff sich seinen Koffer vom Band, bis schließlich keiner mehr übrig war. Übrig blieben lediglich ich und ein weiterer Deutscher, der dieselbe Flugroute über Santo Domingo und Panama City hinter sich hatte. Irgendwann, viel zu spät, beschlich uns das Gefühl, unseren Einsatz verpasst zu haben in dieser Variation eines Spielklassikers: der Reise nach Jerusalem mit Gepäck anstelle von Stühlen.
Eigentlich bin ich ein Angsthase. Das habe ich vielleicht vergessen zu erwähnen, ist aber nicht ganz unwichtig. Denn früher hatte ich Angst vorm Nikolaus, und als der Pumuckl aus Versehen die Werkstatt vom Meister Eder anzündete, habe ich mich unterm Tisch verkrochen. Im Schwimmbad traute ich mich nicht, einen Salto vom Beckenrand zu machen, weil ich Angst hatte, mir den Kopf aufzuschlagen und zu verbluten. Ich habe in meinem ganzen Leben nie an einer Zigarette gezogen, nicht ein einziges Mal, weil ich Angst hatte, sofort süchtig zu sein. Und während meiner gesamten Schulzeit habe ich mich nie getraut, das Mädchen anzusprechen, das ich mochte. Vielleicht war das auch der Grund, warum ich allein reisen wollte: Um meine Angst zu überwinden. Doch nun fühlte ich mich so verlassen wie noch nie in meinem Leben.
Der Flughafen von San Salvador hatte den Charme eines sibirischen Busbahnhofs. Und in diesem Augenblick versprühte die Höhe der Decke ein Gefühl der Einsamkeit wie sonst nur die russische Tundra. Mit dem Unterschied, dass ich schwitzte, denn ich trug noch immer die lange Hose, die mir im deutschen Spätherbst geeignet erschienen war.
Das Gepäckband drehte so quietschend und nutzlos seine Runden wie die angeschimmelten Ventilatoren an der Hallendecke. Als auch der letzte Mitflieger der Putzkolonne gewichen war, bewegte sich ein Flughafenmitarbeiter zielstrebig, aber offensichtlich wider-willig auf uns zu. In seiner Hand hielt er einen Zettel, auf dem mein Name stand. Ein paar Mal versuchte er, ihn auszusprechen, dann hielt er ihn mir hilfesuchend unter die Nase. »Eres tú?«, fragt er.
»Sí«, antwortete ich. Verunsichert folgte ich dem Mann in ein kleines Büro. Der andere Deutsche, der dasselbe Problem hatte, folgte uns unauffällig. Der schwitzende Tico erklärte uns die Sachlage. Es war schon bekannt, dass mein Rucksack verschwunden war, nur leider wusste niemand, wohin. Was nun?
Ich hatte zwar keine Reservierung, aber immerhin übers Internet die Adresse eines Hostels für die erste Nacht rausgesucht und schrieb sie dem Arbeiter auf einen Zettel. Hoffentlich hatten die überhaupt noch ein Zimmer frei. Und hoffentlich würde der Flughafenmitarbeiter meinen Zettel nicht gleich verlieren. Von Computern hatte man in El Salvador bislang offenbar nur am Rande was mitbekommen. Es stand zwar ein fescher Röhrenmonitor auf dem Tisch, doch offenbar nur zur Dekoration.
Meinem Bruder in der Not erging es ebenso, und da er nichts weiter geplant hatte, hängte er sich an mich dran.
»Und jetzt?«, fragte er mich, als wir zurück in die Halle traten. In seinen Augen sah ich, dass er mindestens so verunsichert war wie ich. Also riss ich mich zusammen und tat so, als hätte ich die Lage im Griff.
»Ich kenne mich aus«, sagte ich. »Zu dem Gasthaus finden wir locker.«
Entschlossen schritten wir aus dem Flughafengebäude, bereit für die volle Dröhnung Abenteuer. Und Mittelamerika empfing uns mit einer Breitseite. Die Hitze schlug uns ins Gesicht wie Rocky Balboa die Schweinehälfte. Es war schwülheißer als in Miami im Juli. Der Asphalt brannte. Palmen säumten die Parkplätze. Vor den Bergen in der Ferne drehten Geier ihre Runden. Taxifahrer bedrängten uns, versuchten, uns unser Handgepäck aus den Händen zu reißen. Wir schüttelten sie ab und nahmen Kurs auf die Bushaltestelle am anderen Ende des Parkplatzes. Nach der halben Strecke klebte die Jeans an meinen Beinen. Ein kleines Stück weiter bildeten die Socken Schwimmhäute zwischen meinen Zehen und prusteten seitlich Schweiß wie durch Kiemen in meine viel zu dicken Skateschuhe.
»Ein Glück, dass wir keinen schweren Rucksack tragen müssen«, versuchte ich zu scherzen. Mein Reisebegleiter grunzte missmutig. Wo war der Bus? Auf der Suche nach einer Zeittafel wichen wir den Obstverkäufern aus, die uns an den Grenzen des Flughafengeländes auflauerten.
Der Bus kam eher selten, wie sich herausstellte, denn der Flughafen lag etwas abseits der Panamericana. Aber findige Ticos hatten das Nischengeschäft für sich entdeckt, und so forderte uns kurz darauf der Beifahrer eines Pick-ups auf, hinten auf die Ladefläche aufzuspringen. In der verzweifelten Hoffnung auf ein wenig Abkühlung durch den Fahrtwind fackelten wir nicht lange.
Früher hatte ich angenommen, der Begriff »voll« in Bezug auf Autos sei hinreichend definiert. Ein Reisebus hat um die