Fettnäpfchenführer Russland. Veronika Wengert

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Fettnäpfchenführer Russland - Veronika Wengert Fettnäpfchenführer

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Moskau gebracht, bereits ein Jahr später rollten die ersten Modelle des Moskwitsch 400 im Moskowskij Sawod Malolitraschnich Awtomobilej (MZMA) vom Band. Später konnte sich der verbesserte Moskwitsch in den 1970er-Jahren auch in der DDR als Taxi und Fahrschulfahrzeug durchsetzen. Er war dort zunächst als »Mossi« im Sprachgebrauch, nach der Wende auch als »Rotschquietsch«. Der russische Automobilhersteller wurde 2006, nach vier Millionen produzierten Fahrzeugen, für insolvent erklärt.

      »Skoljko – Wie viel?«

      Der Fahrer zögert. »30 baksow!«

      Das war ja günstig. »30 Rubel?« Weniger als ein Euro? Die Kursschwankungen der vergangenen Jahre haben dem ohnehin schwachen Rubel gehörig zugesetzt. Schwer vorstellbar, dass dafür ein Taxi in Moskau auch nur den Motor anwirft! Auch im Russischen ist buck als Bezeichnung für den Dollar durchaus verbreitet, zumindest in der Umgangssprache. Da Zahlen ab Fünf grammatikalisch ein Substantiv im Genitiv Plural fordern, bekommt der buck die entsprechende russische Endung -ow. Und so werden daraus bucksow (gesprochen: bagsow). Der Begriff stammt im Englischen möglicherweise von der Bezeichnung für ein Wildlederfell, buckskin, das in den amerikanischen Gründerjahren Zahlungsmittel war.

      Der Fahrer lacht laut auf. »Njet! Dollarow!«

      Herr Müller zögert. Wo war er denn überhaupt? Ganz schön viel für eine Heimfahrt. So viel hat er selbst für den Wodka in der Kneipe nicht bezahlt. Er zögert. »Twenty?«

      Der Fahrer schüttelt den Kopf.

      Herr Müller überlegt einen Augenblick. Vielleicht könnte er ja mit einem anderen Taxifahrer verhandeln.

      Der deutsche Geschäftsmann klettert aus dem Auto und lässt den Taxifahrer einfach stehen. Er wankt an den Straßenrand, streckt den Arm seitlich vom Körper weg und hält den Daumen hoch. Fast fühlt er sich wie ein Tramper, doch genau das hat ihm sein praktischer Engel Natascha als Notlösung geraten: »Einfach an den Fahrbahnrand stellen!«

      Das dritte Auto hält. Ein reichlich klappriger Lada, der schon bessere Zeiten gesehen hat. Ein paar Goldzähne, die unter einem schwarzen Schnauzbart hervorblitzen, begrüßen ihn.

      Der Lada wird vom größten osteuropäischen Automobilhersteller, der AwtoWAS (internationale Schreibweise auch: AvtoVAZ) in der Wolga-Stadt Togliatti produziert. Während die Pkw-Marke in Westeuropa als Lada bekannt ist, läuft eines der bekanntesten Modelle in Russland unter dem Namen Schiguli.

       »Nowoslobodskaja uliza?«

      Der Fahrer nickt, nennt einen Preis, doch Herr Müller versteht ihn nicht wirklich: »Taxameter?«

      Der Fahrer lacht. »Njet.«

      Gut, dann würde er sich eben ohne Taxameter nach Hause bringen lassen. Als er dem Fahrer einen Preis nennt, strahlt dieser breit und gibt sofort Gas.

      Herr Müller gähnt und träumt schon von seinem Bett. Doch warum biegt der Fahrer nun in solch eine dunkle Seitenstraße ein? Er wird doch nichts Böses im Schilde führen? Herr Müller mustert ihn kritisch. Der dunkelhaarige Mann biegt erneut ab – und wieder und wieder. Fast kommt es Herrn Müller vor, als würde er im Kreis fahren. Vielleicht kennt er ja den Weg überhaupt nicht?

       Was ist diesmal schiefgelaufen?

      Herr Müller outet sich sofort als Ausländer, indem er einen offiziellen Taxistand sucht. In Moskau hat sich das System der privaten Schwarztaxis etabliert, die sogenannten tschastniki.

      Noch vor wenigen Jahren waren offizielle Taxen Mangelware: Dann sanken die Preise drastisch, und auch die Moskauer nutzten Taxis häufiger. Die Zahl der Anbieter hat rapide zugenommen, was zu Dumpingpreisen geführt hat. Eine gute Alternative sind mobile Apps: Die bekanntesten Anbieter, der US-Mitfahrdienst Uber und die Taxi-Sparte des russischen Internetkonzerns Yandex, haben fusioniert. Ein weiterer Mitstreiter ist der israelische Fahrdienstleistungs-Vermittler Gett.

      Da viele Fahrer von außerhalb kommen und daher viele nicht die Straßen kennen, kann es durchaus vorkommen, dass man als Fahrgast nach dem richtigen Weg gefragt wird. Manche Fahrer sind jedoch auch sehr stolz und drehen lieber eine Extrarunde, als zuzugeben, dass sie sich nicht wirklich auskennen. Auch Herr Müllers Fahrer war sich offenbar nicht sicher, wie er fahren sollte – aber wie konnte er diesen inostranez denn auch fragen, der noch nicht mal Russisch verstand? Ein Navigationssystem hatte der Fahrer nicht in seinem Privatauto, sonst wäre das Ganze kein Problem gewesen. Er hatte auch kein Smartphone mit virtuellem Stadtplan dabei. Viele Schwarztaxi-Fahrer kommen aus dem Kaukasus oder den südlichen Ex-Sowjetrepubliken, sie unterhalten dort ganze Familienclans mit ihrem Verdienst als Taxifahrer in Moskau. Doch auch Russen, die auf dem Weg nach Hause sind, nehmen gerne Fahrgäste mit – um sich einige Rubel hinzuzuverdienen. Ohne Quittung natürlich!

      Der erste Fahrer, auf den Herr Müller angesprungen war, wollte zunächst US-Dollar! Gewöhnlich wird jedoch in Rubel verhandelt ...

       Was können Sie besser machen?

      Sie möchten eine künstliche Staukolonne in Moskau provozieren? Das ist ziemlich einfach. Stellen Sie sich einfach wie Herr Müller an den Fahrbahnrand, Hand raus, aber bitte, ohne den Daumen in die Höhe emporzuhalten. Schon nach wenigen Sekunden wird sicher das erste Schwarztaxi stoppen. Oder es werden gleich mehrere Fahrzeuge hintereinander anhalten und dadurch ein kleines Verkehrschaos hervorrufen! Vor dem Einsteigen (nicht wie Herr Müller reinsetzen!) wird die Straße oder Metrostation genannt, zu der man möchte, und nach dem Preis gefragt. Wird man sich nicht einig, schlägt man die Beifahrertür wieder zu und wartet auf das nächste Auto. Die ganze Sache dürfte, selbst mitten in der Nacht, höchstens wenige Minuten dauern.

      Der Preis in solchen Privattaxis ist dabei immer Verhandlungssache. Wenn Sie nur rudimentär oder gar kein Russisch sprechen, müssen Sie sich auf höhere »Tarife« gefasst machen. Bitten Sie am besten ihre russischen Bekannten, ein Taxi anzuhalten und den Preis für Sie auszuhandeln. Damit kommen Sie auf jeden Fall billiger weg. Wenn Sie sagen, dass sie aus dem westlichen Ausland kommen, klingeln manchen Autofahrern geradezu die Dollarzeichen wie bei einem Spielautomaten in den Augen. Günstiger wird es hingegen, wenn Sie aus einem »Brudervolk« stammen, also dem Akzent nach etwa als Bulgare oder Serbe durchgehen könnten. Selbst aus dem Baltikum fährt man günstiger als unter der Prägung »Deutscher« oder »Westeuropäer«. Das gilt natürlich nur, wenn Sie sehr gut Russisch sprechen und sich einen entsprechenden Akzent antrainiert haben. Eine Krawatte und schicke Kleidung kurbeln den Fahrpreis gewöhnlich auch in die Höhe, ebenso wie Koffer. Die allermeisten Fahrer sind übrigens Männer!

      In Reiseführern wird immer wieder gewarnt, dass man Schwarztaxis meiden sollte. Man könnte ausgeraubt oder zumindest beim Preis über den Tisch gezogen werden. Sicher kann das passieren, vor allem, wenn man wie Herr Müller beschwipst ist. Unter Alkoholeinfluss sollte man, falls die entsprechenden Sensoren noch funktionieren, ganz besonders vorsichtig sein! Am besten sollten Sie immer auf Ihr Bauchgefühl hören und niemals einsteigen, wenn Ihnen der Fahrer suspekt vorkommt oder wenn bereits mehrere Personen im Fahrzeug sitzen! Ansonsten ist in den meisten Privattaxen vermutlich noch nie etwas passiert. Sicher kennt hingegen jeder jemanden, der wiederum jemanden kennt, dem einmal etwas zugestoßen ist – solche Geschichten kursieren gerne.

      Wenn Sie noch mehr sparen möchten, fragen Sie keine selbsternannten Taxifahrer, die vor Nachtklubs, Hotels oder teuren Restaurants lauern. Diese verlangen oftmals deutlich höhere Preise, vor allem von unwissenden Ausländern, denen auch schon mal mehrere Hundert US-Dollar oder Euro für eine Stadtfahrt

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