Fettnäpfchenführer Russland. Veronika Wengert

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Fettnäpfchenführer Russland - Veronika Wengert Fettnäpfchenführer

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angereichert wurde. Lecker!

      Ein kleiner Wermutstropfen bleibt: Kaum etwas ist für Beinahe-Vegetarier wie Paul Müller dabei. Außer vielleicht dem dunkelroten Beerensaft, mors, der gerade frisch aufgefüllt wurde. Süß-säuerlich und sehr erfrischend! (Mors, der überaus beliebte Moosbeerensaft, fehlt auf keiner russischen Tafel. Moosbeeren sind übrigens sehr gesunde Vitamin-C-Spender.) Herr Müller lädt sich noch drei blini auf seinen Teller. Das leckere Frühstück im Hotel muss er auskosten, denn in der künftigen Wohnung würde ihn morgens nur eine leere Bratpfanne angähnen!

       Was ist diesmal schiefgelaufen?

      Herr Müller nimmt die Welt durch sein eigenes, in Karlsruhe geprägtes Weltbild wahr. Seine Art, wie er Eier köpft oder Bananen schält, ist für ihn die einzig richtige. Oder sagen wir lieber: Er hat eigentlich noch nie darüber nachgedacht, dass man Eier und Bananen auch anders herum »öffnen« könnte. Umso verwirrter ist er, dass es in Russland tatsächlich »umgekehrt« üblich ist. Aber eben auch nicht bei allen Dingen! Der eine schwört auf diese Art und verlacht den anderen, dass dieser es »nicht richtig mache, weil er keine Ahnung von Bananen habe«. Und der andere schwört auf die »Von-unten-schälen-Variante«, wie die Affen. Fragen Sie einmal in Ihrem russischen Bekanntenkreis, was nun »korrekt« ist – vermutlich werden Sie zu keiner eindeutigen Antwort kommen.

      Was Herr Müller beim sawtrak, der ersten Mahlzeit des Tages, auf seinem Teller vorfindet, ist eine Mischung aus kontinentalem Frühstück und russischen Spezialitäten – also neben Brot, Wurst, Käse, Marmelade, Joghurt und Saft werden auch blini und syrniki aufgetischt. Zu Hause in russischen Familien werden auch buterbrody gegessen, das sind belegte Brote, die mit einem dicken Käseschnitz, Schinken oder anderem Belag gereicht werden. Allerdings ist der Name ein wenig irreführend. Denn auch wenn das Wort buterbrod, so der Singular, aus dem deutschen Wortschatz übernommen wurde – so ist es in der Regel immer ohne Butter!

      Traditionell wird in Russland reichhaltig gefrühstückt: Kascha (Brei) aus Haferflocken, Buchweizen oder Reis wird mit Milch und Zucker in zerlassener Butter angerichtet. Und da hat Herr Müller ausnahmsweise mal recht: Von westeuropäischen Gaumen wird die Butterschicht über dem gekochten Buchweizen oft mehr als großzügig empfunden. Nicht umsonst besagt ein russisches Sprichwort: »Grütze kannst du mit Butter nicht verderben.« Als wtoroje, also wörtlich »Zweites«, eben die Hauptspeise, folgen oft Würstchen oder eine kotleta mit Bratkartoffeln, Eiern und Schwarzbrot. Oder auch Gulasch. Ja, richtig, auch zum Frühstück! Und nein, kotleta (Plural: kotlety) sind keine Koteletts, wie man vermuten könnte, sondern gebratene Rindfleischküchlein.

      In den Großstädten und bei jüngeren Menschen wird zunehmend kontinentales Frühstück bevorzugt, sodass Herr Müller zu Buchweizengrütze mit zerlassener Butter und Gulasch am frühen Morgen »gezwungen« wurde.

       HOTELS IN MOSKAU

      Moskau mischt bei Hotelpreisen global ganz weit oben mit: Eine Nacht in einem Zimmer der Kategorie Einzelzimmer kann mit mehreren hundert Euro zu Buche schlagen. Dabei gilt: Je näher am Moskauer Kreml, der lebhaften Twerskaja-Straße und anderen Top-Spots – umso teurer. Kaum eine globale Hotelkette, die nicht in der russischen Metropole vertreten wäre. Im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 sind nicht nur in Moskau sondern auch in den anderen Austragungsorten viele neue Hotels entstanden. Ein neuer Trend, der sich in den vergangenen Jahren etabliert hat, ist die Vermietung von privaten Apartments: Wie anderswo in der Welt werden immer mehr sanierte Wohnungen in Innenstädten an Touristen vermietet. Die Wohnungen haben, gemessen an älteren Hotels, meist einen sehr guten Standard, einige sind auch luxuriös ausgestattet. Manchmal kann es jedoch sein, dass die Wohnung zwar tiptop ist, sich allerdings in einem älteren Haus befindet. Einschlägige Internet-Portale zeigen nicht immer die Umgebung der Unterkunft. Fragen Sie im Zweifelsfall direkt beim Vermieter nach.

      Noch etwas: Eine Tasse Tee darf nicht fehlen! Was Herrn Müller sein Frühstückskaffee bedeutet, ist dem Russen sein tschaj. Tee heißt übrigens in den meisten slawischen Sprachen tschaj (čaj, чай oder anders geschrieben), und Schwarztee gilt als russisches National-getränk, es ist schon seit dem 18. Jahrhundert fester Bestandteil der dortigen Trinkkultur. Mitgebracht haben es übrigens die Mongolen als Gastgeschenk an den russischen Hof, später kamen chinesische Gesandte mit diesem Mitbringsel. Tee wird traditionell in einem samowar aufgebrüht, einem mit ursprünglich mit Holzkohle beheiztem Wasserkessel. Dabei wird der Tee als sawarka, also starker Sud, aufgebrüht und auf den Deckel des samowars gesetzt, wo das kleine Teekesselchen durch den Dampf warm gehalten wird. Heute findet man samoware oft nur noch in den wohnzimmerlichen Glasvitrinen, im Museum oder auf der Datscha, wo es keinen Strom gibt. Die meisten Russen benutzen im Alltag hingegen elektrische Wasserkocher. Geblieben ist allerdings die Tradition des Teesuds, von dem ein wenig in die Tasse gegeben und dann erst mit heißem Wasser aufgegossen wird.

       Was können Sie besser machen?

      Wie köpft man ein Ei eigentlich »richtig«? Und wer sagt, wie die Banane »korrekt« zu schälen ist? In Russland werden Eier manchmal mit einem Messerhieb geköpft und eben vom unteren Ende ausgelöffelt. Fragt man einen Russen nach dem Vorteil, heißt es, dass sich die Blase im breiteren Teil des Eis befinde und dann nichts überlaufe. In Deutschland löffelt man das Ei hingegen vom schmalen Ende aus. Und ob das Ende der Banane der Stiel ist, von dem ausgehend die Schale geschält wird oder der »Haltegriff« – das wäre sicher eine ähnlich zermürbende Frage wie die nach dem Huhn und dem Ei.

      Auf einer einschlägigen Webseite mit Überlebens-Lifehacks wird allerdings behauptet, dass man Bananen praktischer am unteren Ende öffnen könne. So würden es die Affen auch praktizieren, und die müssten sich schließlich auskennen. Aha. Probieren Sie es aus, pressen Sie die Banane am unteren, schwarzen Strunk zusammen, bis diese Schale aufplatzt und sich ohne Quetschen ziemlich einfach herunterziehen lässt! Das ist eigentlich noch besser als auf die »deutsche« Art!

      6

       HERR MÜLLER FÄHRT TAXI

      Der Bass hämmert ohrenbetäubend, überall auf der Tanzfläche bewegen sich verschwitzte Körper im Takt der Musik. Natascha hat ihre russischen Freunde mitgebracht: Pawel, Schenja und Larissa, die dem deutschen Geschäftsmann heute Abend eine beliebte Ausländerbar zeigen möchten.

      Die Clique tanzt und lacht – doch nach der gefühlten zwanzigsten Runde Bier kann Herr Müller einfach nicht mehr. Eine bleierne Müdigkeit überfällt ihn plötzlich, er verabschiedet sich und lehnt sich vor dem Hinausgehen aus der Bar noch kurz gegen die massive Holztür, die ihm beinahe auf die Stirn geknallt wäre.

      Nun gut, der letzte Wodka wäre nun wirklich nicht mehr nötig gewesen, aber Natascha hatte ihm erklärt, dass es zum guten Ton gehöre, »einen auf den Weg zu nehmen«. Oder wie die Russen sagen: »na pososchok«. Die frische Luft kühlt ihn ein wenig ab. Doch wie sollte er nun alleine ins Hotel kommen, mitten in der Nacht? Die anderen waren noch geblieben, auch Natascha.

      Herr Müller schaut sich nach einem Taxistand um. Einige Männer mit schwarzen Lederjacken lehnen an ihren Autos. Einer kommt auf Herrn Müller zu. »Taksi?«

      Sofort erhellt sich Herrn Müllers Gesicht. »Da – Ja!« Er klettert neben den Fahrer in den betagten Moskwitsch. Dann fällt ihm ein, dass ihm Natascha geraten hatte, den Preis immer im Voraus auszuhandeln.

      Der Moskwitsch

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