Fettnäpfchenführer Russland. Veronika Wengert

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Fettnäpfchenführer Russland - Veronika Wengert Fettnäpfchenführer

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Sie sich dann nicht, wenn sie beim Aufsetzen des Flugzeuges vielleicht mitleidig angeschaut werden, da Sie niemanden haben, den sie anrufen können. Vielleicht haben Sie ja auch einen Fahrer, der auf Sie wartet und dem Sie dann Ihr persönliches »Allo-Allo-Mantra« via Handy entgegenbrüllen können. Apropos Smartphone: Machen Sie sich auf so einiges gefasst! Klingeltöne in fast allen Arten und Abarten stehen in Russland ungebremst hoch im Kurs!

      Und schenken Sie sich den Landeapplaus im Flieger getrost. Wozu auch? Die klatschenden Passagiere sind vermutlich einfach heilfroh, wieder auf der Erde angekommen zu sein. Aber genau das ist doch der Job eines Flugkapitäns, nicht wahr? Also wieder auf dem Asphalt aufzusetzen! Sie klatschen ja auch nicht, wenn Ihnen eine Backwarenfachverkäuferin oder ein Verkäufer ein Brot über die Theke schiebt, nur weil diese ihren Job erfüllt hat!

      Globalen Tierschutz-Kampagnen zum Trotz: Pelzmäntel und Mützen, schuba und schapka genannt, haben in Russland nach wie vor Konjunktur und einen hohen Stellenwert, über den sich nicht nur die Elite definiert. Kaum jemand würde auf die Idee kommen, sich darüber aufzuregen, ob das nun unmoralisch oder politisch unkorrekt gegenüber dem Tier sein könnte. Gut, bei der jüngeren, westlichen Generation in den Großstädtchen hat bereits ein Umdenken eingesetzt. Wenn Sie sich allerdings in Russland einen Pelz kaufen, da in München oder Bonn erstandene Skijacken bei minus 30 Grad Celsius nichts mehr hergeben und die Kälte unerbittlich ins Knochenmark kriecht, sollten Sie damit vielleicht nicht unbedingt nach Deutschland reisen, wenn Sie böse Blicke vermeiden wollen!

      So befremdlich Herr Müller die allgegenwärtigen Pelzmützen zunächst auch finden mag (vor allem solche mit herunterklappbaren Ohrteilen für Männer), so wird er sich »oben ohne« nicht nur als Ausländer outen – sondern vor allem schrecklich bibbern. Warme Kopf- und Ohrenbekleidung ist ein Muss, da 30 Prozent Wärmeverlust über die Kopfhaut erfolgt. Eine dicke Fellmütze mit Ohrenschutz ist die Rettung!

      3

       HERR MÜLLER STELLT SICH VOR

      Rote Lederjacke, kurzer schwarzer Rock und die Lippen kräftig nachgezogen. So steht sie hinter der Absperrung im Moskauer Flughafen Scheremetjewo vor ihm. Beine bis zum Himmel, sicher so hoch wie der Eiffelturm. Oder zumindest wie die Pyramide auf dem Karlsruher Marktplatz. Und diese wundervollen rosigen Wangen!

      Herr Müller starrt die brünette junge Frau, die einen Papierausdruck mit der umlautlosen Aufschrift »Paul Muller« in der Hand hält, verwirrt an.

      Nein, ein schönes »ü«, also einen Umlaut in seinem Namen, wird Herr Müller in den kommenden beiden Jahren nicht wirklich zu hören bekommen. Von Miller über Mjuller über Muller reicht die Aussprache-Palette seines Namens in Russland. Würde er ihn buchstabieren, dann wohl am ehesten als Mjuller, um verstanden zu werden, denn das »ü« wird im Russischen als der kyrillische Buchstabe »ю« (sprich: ju) dargestellt.

      Aber darum geht es erst mal nicht. Beim Anblick der bildschönen Frau mit dem Schild hält Herrn Müllers Unterkiefer der Schwerkraft nicht mehr stand. Das muss Natascha sein, und sie ist schon jetzt ein Traum von einer Assistentin! Doch wie kann sie nur mitten im Winter mit so einem kurzen Rock herumlaufen? Wo er selbst seine Skiunterhosen schon jetzt schmerzlich vermisst – und das, obwohl er das Terminal noch nicht einmal verlassen hat.

      Nataschas Blick weicht seinen Augen aus und bleibt an seinem Kinn haften. »Herr Mjuller?«, unterbricht sie seine Gedanken.

      Endlich nickt der Geschäftsmann.

      »Es freut mich, dass wir uns bekannt machen. Ich bin Natalja Fjodorowna«, sagt sie kühl. (Eine Standard-Kennenlern-Phrase heißt im Russischen: »Dawajte posnakomimsja«, wörtlich: »Lassen Sie uns kennenlernen« oder »Lassen Sie uns bekannt machen«. Nun, da hängt Nataschas Deutsch irgendwie zu sehr am Russischen fest.)

      Herr Müller strahlt. »Natascha, priwjet ... das freut mich.« Kräftig streckt er ihr seine Hand entgegen – zaghaft umschließt Nataschas Hand die seine so sanft, dass es fast schon kitzelt. Das Wort Händedruck scheint vermutlich nicht in Russland erfunden worden zu sein?!

      Da besinnt sich Herr Müller, dass er ja seine neue Assistentin gerade beim Vornamen genannt hat. Und überhaupt, warum nennt sie sich selbst Natalja? Ist das vielleicht ihre Vertretung?

      »Frau Fjodorowna, sind Sie Natascha?«

      Die junge Frau nickt ein wenig irritiert. Und fast scheint es, als würde ein kleines Lächeln über ihr Gesicht huschen. Oder hat sich Herr Müller da nur getäuscht?

       Was ist diesmal schiefgelaufen?

      Gleich mal vorweg und zu seiner Verteidigung: Herr Müller führt seit seiner Scheidung ungefähr ein genauso prickelndes Liebesleben wie ein Pinguin, der einsam auf einer Eisscholle im Nordpolarmeer treibt. Nehmen wir es ihm daher nicht krumm, dass er sich ein wenig umschaut. Dabei ist er weder ein »Lustmolch« oder gar sexistisch. Keine Sorge. Schließlich hat er doch so viel von den slawischen Schönheiten mit ihren hohen Wangenknochen gehört, vielleicht eines der gängigsten Klischees über Russland, und ist deshalb so aus dem Häuschen?

      Nicht zu Unrecht, denn russische Frauen legen viel Wert auf ihr Aussehen und betonen ihre Weiblichkeit. Sie wollen schön und attraktiv sein, unterstreichen ihre femininen Züge und kokettieren mit ihren Reizen. Und unabhängig von ihrem Einkommen oder ihrem Familienstand sehen sie immer aus wie Frauen. Mit sorgsam aufgetragenem Make-up und femininen Röcken tauchen sie nicht nur bei der Arbeit, sondern auch im Supermarkt auf. Stets bemüht, dem weiblichen Schönheitsideal nahe zu kommen. Selbst widrige Bedingungen, die zum russischen Alltag gehören – seien es meterhohe Schneeberge, knöcheltiefe Taupfützen im Frühjahr oder kratergroße Schlaglöcher auf den Bürgersteigen – scheinen sie nicht davon abzuhalten, ihre Weiblichkeit durch abenteuerlich-hohe Absätze zu betonen. Apropos Schuhe: Was westliche Ausländer immer wieder wundert, sind die meist blitzblank geputzten Schuhe, die die meisten Russen haben, trotz Matschwetter. Darauf wird großen Wert gelegt. Und dass »eine Frau immer eine Frau bleiben muss«, besagt auch ein russisches Sprichwort: Schenschtschina dolschna ostatsja schenschtschinoj.

      Selbst zu späten Sowjetzeiten, als das Wort Modeboutique noch dem kapitalistischen Ausland zugeschrieben wurde, legten die Russinnen Wert auf schöne Kleider. Und schneiderten diese nicht selten selbst – mithilfe der beliebten Burda-Schnittmuster, die ihrerzeit begehrte Tauschware auf dem Schwarzmarkt waren.

      Kurze Röcke im Winter? Nichts Ungewöhnliches. Hohe Stiefel und ein Pelzmantel halten schließlich warm. Da sollte sich Herr Müller lieber Gedanken um seine eigene Kleidung machen und überlegen, ob es so geschickt war, ohne Mütze und lange Unterhosen nach Moskau zu fliegen!

      Doch stopp. Damit Sie erst gar nicht auf abwegige Gedanken kommen! Natascha mag zwar eine rote Lederjacke und einen eher offenlegenden als verhüllenden Rock tragen. Aber schließen Sie anhand dieser Kleidung bitte nicht darauf, dass sie leicht zu haben sei! Der Griff zu intensiven Farben und gewagten Formen wurzelt nicht zuletzt auch in der modisch recht tristen Sowjet-Vergangenheit. Schöne und vor allem individuelle Kleidung war Mangelware, vielmehr musste auf das gerade verfügbare Angebot zurückgegriffen werden, irgendwo zwischen gähnenden Kaufhausregalen und einer Massenlieferung blauer Stoffmäntel. Gekauft wurde, was verfügbar war. Lange Jahre herrschte Nachholbedarf. Geblieben ist die Vorliebe für eher fröhliche Farben.

      Zudem propagierte der Sowjetstaat, zumindest in seinen frühen Jahren, dass Frauen gute

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