Fettnäpfchenführer Russland. Veronika Wengert

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Fettnäpfchenführer Russland - Veronika Wengert Fettnäpfchenführer

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die Nobelboutiquen an der Moskauer Einkaufsstraße Twerskaja internationalen und westlichen Metropolen in nichts nach. Damals eroberte der »Rote Dior«, Slava Zaitsev (geboren als Wjatscheslaw Michailowitsch Saitsew) die westlichen Laufstege und wurde sogar Ehrenbürger von Paris. Zaitsev war kein Newcomer: Er hatte schon 1980 die Uniformen der sowjetischen Olympiamannschaft entworfen. Doch nicht nur Zaitsev, auch andere Designer, wurden auch in Russland längst schon von den neuen Influencern abgelöst: Russische Modebloggerinnen und Fashionistas haben ihre treuen Follower in aller Welt und mischen ganz vorne mit in Zeiten, in denen Modeblogger ein Vollzeitjob geworden ist.

      Natascha begrüßt Herrn Müller recht reserviert, sie lächelt nicht. Wundern Sie sich nicht: Das öffentliche Gesicht in Russland ist ernst, vor allem im Beruf und erst recht beim ersten Kennenlernen. Weit verbreitet ist auch der Irrglaube, dass ein Lächeln im Beruf als oberflächliche Eigenschaft interpretiert werden könnte und das Gegenüber auf eine unprofessionelle Einstellung zum Beruf schließen könnte. Doch keine Sorge, Herr Müller wird Natascha noch in vielen Episoden lachen sehen – auch wenn sich die Mimik in puncto Lächeln unterscheidet.

      Händeschütteln zur Begrüßung war in Russland lange Jahre nur unter Männern üblich. In Großstädten werden Ihnen vermutlich auch Frauen die Hand reichen, allerdings vermutlich solche aus einer jüngeren, international aufgeschlossenen Generation. Um Missverständnisse zu vermeiden, sollte die Initiative zum Händeschütteln entsprechend von der Frau ausgehen, warten Sie daher lieber ab. Geht das Händeschütteln mit russischen Frauen schief, können Sie die Situation jedoch immer noch galant in ein »Küss die Hand gnä’(dige) Frau« umkehren. Umgekehrt fühlen sich westliche Frauen nicht selten übergangen, wenn sie von russischen Geschäftspartnern nicht die Hand gereicht bekommen – was leider immer noch vorkommt.

      Dass ihm Natascha nicht in die Augen schaut, empfindet Herr Müller als unhöflich. Doch da belehren wir ihn lieber sofort, dass es in Russland nicht üblich ist, jemanden allzu direkt anzuschauen. Das ist auch der Fall, wenn Russen die Gläser heben und ihr Blick genau in diesem Augenblick auf Ihre Schuhspitzen oder aus dem Fenster fällt. Entsprechend scheint die Trink-Weisheit, dass man sieben Jahre schlechten Sex haben werde, wenn man sich beim Zuprosten nicht in die Augen schaue, auch nicht in Russland entstanden zu sein!

      Wäre Herr Müller zu Sowjetzeiten in Moskau gelandet, wäre er vermutlich mit towarisch angesprochen worden, also Genosse. Die Anrede gospodin für Herren oder gosposcha für Frauen war in der Sowjetunion hingegen verpönt. Denn schließlich gab es keine Herren mehr, sondern nur die klassenlose Gesellschaft. (Gott hat die etymologisch gleiche Wortwurzel und heißt im Russischen Gospodj.) Diese beiden Anredeformen wurden in der Regel nur für Ausländer verwendet. Der Genosse ist unterdessen im Alltag, insofern man es nicht mit hartgesottenen Sowjetnostalgikern zu tun hat, längst schon in der Mottenkiste der Vergangenheit verschwunden.

      Noch etwas: Natascha ist die die Kurzform des recht verbreiteten russischen Frauennamens Natalja. Manchmal ist es für Ausländer verwirrend, dass russische Kurz- oder Kosenamen genauso lang wie der eigentliche Name sind: Aus Ana wird »Anja« und aus Olga wird »Olja«. Wladimir wird von seinen Freunden nur »Wolodja« genannt, Sergej ist »Serjoscha«, aus Konstantin wird »Kostja« und aus Natalja eben »Natascha«. Herr Müller müsste seine Assistentin streng genommen mit Vor- und Vatersnamen anreden. Nataljas Vater hieß Fjodor, daher wäre die korrekte Anrede für sie Natalja Fjodorowna, also wörtlich »Natalja, Tochter des Fjodor«. Wäre Natascha ein Mann, hätte ihr Vatersname – der übrigens zwischen Vor- und Nachnamen eingeschoben wird – die grammatische Endung -owitsch. Fjodor Fjodorowitsch wäre also »Fjodor, Sohn des Fjodor«.

      Aus Natascha wird jedoch nicht Frau Fjodorowna, sondern Frau Gontscharowa, denn so lautet ihr Nachname. (Ein gontschar ist im Russischen der Töpfer.) Um dem ganzen Namens-Wirrwarr noch ein Sahnehäubchen aufzusetzen: Nataljas Vater heißt Fjodor Jewgenjewitsch Gontscharow. (Sie ahnen es schon: Fjodors Vater hieß Jewgenij, so die russische Form für Eugen.) Natascha hat jedoch noch ein -a am Ende ihres Nachnamens, da sie weiblich ist. Ihr voller Name lautet also Natascha Fjodorowna Gontscharowa.

      Kompliziert? Für westliche Ausländer sind die vielen Vor- und Vatersnamen, die ihnen in Russland unterkommen, nicht immer einfach zu merken. Mit ein wenig Übung dürfte es allerdings klappen. Dann bleibt man in der Regel beim Vor- und Vatersnamen, aber in Kombination mit einem Wy (»Sie«) für die russischen Kollegen. Geduzt wird meist nicht so schnell wie in Deutschland. Es kann durchaus mehrere Jahre dauern, bis man zu dieser vertrauten Anredeform übergeht (wenn man nicht gerade in einem IT-Start-up oder in der Social-Media-Branche oder in einem ähnlichen, westlich geprägten, jungen Berufsfeld). Ist man sich jedoch ein wenig näher gekommen, darf man sich durchaus beim Vornamen nennen, das ist unter Freunden üblich.

      Wenn Herr Müller Natascha, eine junge Frau, die in der Geschäftshierarchie unter ihm steht, nur mit Vornamen anspricht, wird ihm das keiner verübeln. Denn zum einen ist er Ausländer, zum anderen ihr Vorgesetzter. Der darf in Russland seine Mitarbeiter durchaus duzen, auch wenn umgekehrt keine Gleichberechtigung herrscht. Hier greift eine streng hierarchische Ordnung, die im russischen Geschäftsleben deutlich ausgeprägter ist als in Westeuropa.

      Dass Herr Müller seine Assistentin allerdings mit priwjet anredet, ist ein Fettnäpfchen. Denn das ist die russische Variante für »Hallo«, allerdings unter Freunden. Im Geschäftsleben (und erst recht in Herrn Müllers konservativem Öl- und Gassektor) bleibt es bei einem förmlicheren sdrawstwujte, was sich etwa mit »Seien Sie gegrüßt« übersetzen lässt. Je nach Tageszeit kommen die entsprechenden Phrasen dobroje utro (»Guten Morgen«), dobryj djen (»Guten Tag«) oder dobryj wetscher (»Guten Abend«) zum Einsatz. Manchmal wird noch die typische Small-Talk-Eröffnungsfrage Kak djela (»Wie geht’s?«) angeschlossen, die jedoch, wie priwjet, zu salopp für Geschäftspartner in klassischen Branchen ist.

       Was können Sie besser machen?

      Sollte Herr Müller sein Lächeln nun auch einfrieren? Nein, natürlich nicht. Aber er sollte sich darauf gefasst machen, dass seine künftigen Mitarbeiter zunächst reserviert auftreten könnten und nur langsam auftauen. Er sollte weiterhin freundlich bleiben und lächeln, dann dürfte das schon irgendwann werden!

      Wundern Sie sich nicht, wenn Frauen, vor allem in Provinzstädten (nicht jedoch in Moskau und St. Petersburg), morgens um zehn wirken, als würden sie gleich zu einem Stehempfang gehen – mit pinkfarbenem Cocktailkleid, High Heels und kräftig rotem Lippenstift. Genießen Sie das feminine Auftreten und die Weiblichkeit, die die meisten russischen Frauen ausstrahlen. Vor allem, wenn Sie ein Mann sind. Sind Sie hingegen eine Frau, dann lassen Sie die alte Lieblingsjeans und die bequemen Sneakers getrost zu Hause. Und überlegen Sie, ob Sie den Rucksack nicht lieber durch eine elegante Handtasche ersetzen sollten – um nicht zu sehr als Ausländerin aufzufallen. Bei beruflichen Verhandlungen sollten Sie nicht zu salopp auftreten und einen Hosenanzug oder Zweiteiler anziehen. Dabei ist noble Eleganz angesagt, mit klassischen Pumps (oder sonstigen femininen Schuhen), die im Winter durchaus durch ebenso elegante Stiefel ersetzt werden können.

      Apropos Stiefel: Dies werden Sie auf russischen Straßen zur Genüge entdecken, also gefütterte Lederstiefel zu kurzen Röcken. Im Büro werden die Stiefel jedoch oftmals von weiblichen Mitarbeiterinnen durch grazile Pumps ausgetauscht, die man entweder unter dem Tisch lagert oder in einer Plastiktüte mit sich führt. Und nein, mit Winterstiefel sind keineswegs die traditionellen walenki gemeint, graue Filzstiefel.

      Auch Herr Müller sollte seine Kleidung vielleicht noch einmal prüfen, da er einen Rollkragenpulli eingepackt hat. Den sollte er bei den bevorstehenden Verhandlungen mit der RosInGaz lieber im Schrank lassen und zu Krawatte, Hemd und Sakko greifen – auch wenn er seinen Lieblingsrolli bei Besprechungen in Karlsruhe ganz gerne trägt. Aber: Der legere Look vieler westlicher Ausländer wird im russischen Geschäftsleben eher kritisch betrachtet.

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