Fettnäpfchenführer Thailand. Daniel Muller
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Und es macht natürlich einen riesigen Unterschied, ob dieselben Dinge von einem Insider oder einem Outsider kritisiert werden – wie würde es ein Deutscher auffassen, wenn ihn ein, sagen wir, Südkoreaner über die Vor- und Nachteile des deutschen Sozialsystems belehren würde? Hinzu kommt, dass in Thailand, mehr als in unseren Breiten, dezente Zurückhaltung und Respekt zentrale Gebote im Umgang miteinander sind.
Thais sind megatolerant und kümmern sich bevorzugt um ihren eigenen Kram. Höflichkeit ist nicht nur eine Frage der guten Kinderstube, sondern ein Grundprinzip, auf dem die thailändische Gesellschaft aufgebaut ist. Dazu gehört es, kritische Fragen – wenn sie denn unbedingt sein müssen – nur sehr dosiert und verklausuliert vorzutragen. Dies gilt speziell für direkte persönliche Kritik, auf welche die Thais enorm dünnhäutig, ja, explosiv reagieren können, aber auch für Kritik an den allgemeinen Verhältnissen. Dabei besitzen die Thais ein verblüffendes Talent, unerfreulichen Dingen und Fragen elegant auszuweichen oder diese schlicht und einfach zu ignorieren.
Wer nach Erklärungen für dieses eigentümliche Verhalten sucht, wird nicht zuletzt bei der herausgehobenen Rolle des Buddhismus in Thailand fündig, der lehrt, dass nur gleichmütiges Reden und Denken Erlösung versprechen (mehr dazu in Kapitel 14: »Don’t touch the monk!«). Bevor man irgendetwas Verfängliches von sich gibt und den anderen womöglich verletzt, belässt man es lieber bei mehrdeutigen Aussagen. Die tun niemandem weh, und (fast) jeder weiß, was von ihnen zu halten ist. Anstatt sich mit den diversen unschönen Seiten dieser Welt auseinanderzusetzen, betont man vielmehr die positiven Aspekte und erfreut sich an den (mehr oder weniger gelungenen) ästhetischen Seiten der Dinge. Vieles wird häufig weniger nach seinem praktischen Nutzen, sondern vielmehr danach beurteilt, ob es suay (schön) ist. In diesem Sinne ist auch soziale Harmonie etwas, was Thais überaus schätzen und was man nicht unbedarft infrage stellen sollte. Genau dies aber haben die Meyers getan.
Wie geht es entspannter?
Eines vorweg: Thais sind in einem ganz außergewöhnlichen Maß bereit, über Fehltritte von Ausländern großzügig hinwegzusehen. Selbst grobes Fehlverhalten nehmen sie zumeist mit einer stoischen Gelassenheit zur Kenntnis. Aber alles hat seine Grenzen. Will man seinen Gesprächspartner nicht über die Maße vergrätzen oder als ungehobelter Kultur-Tölpel dastehen, ist in der Unterhaltung mit Thais ein Minimum an Fingerspitzengefühl gefragt. Will man von ihnen gar etwas Substanzielles in Erfahrung bringen, bedarf es fast schon eines strategischen Vorgehens. Für Susanne hätte dies zum Beispiel geheißen, zunächst ausgiebig über Lifestyle-Themen und vor allem über die unendlichen Vorzüge der Thai-Cuisine zu räsonieren und dann bei sich bietender Gelegenheit etwas tiefer gehende Fragen zu stellen. Selbst dann wäre zwar immer noch nicht unbedingt mit klaren und eindeutigen Aussagen zu rechnen gewesen, aber zumindest hätten aus der Art der ausweichenden Antworten gewisse Rückschlüsse gezogen werden können.
Äußerst unklug ist es hingegen, sich wie Martin mit den beiden universellen Gesprächskillern Politik und Religion auf ungesichertes Terrain zu begeben. Denn hier können selbst Randbemerkungen sehr subjektive Werthaltungen erkennen lassen, die den Gesprächspartner unbeabsichtigt verletzen. Zumal wenn man es mit einem komplett anderen Kulturkreis zu tun hat, von dem man – wenn überhaupt – nur einzelne Facetten kennt. Hier sind Missverständnisse geradezu vorprogrammiert. Selbst für Experten ist es nicht immer einfach, die überaus turbulenten politischen Entwicklungen im Land detailgenau nachzuvollziehen. Daraus folgt, dass man in Thailand aus seiner Überzeugung auch schon mal eine Mördergrube machen kann. Gelegentlich ist deshalb eher Schattenboxen statt Schlagabtausch angesagt.
Insgesamt mag einem das Kommunikationsverhalten der Thais vielleicht ein wenig oberflächlich erscheinen. Dabei sollte jedoch berücksichtigt werden, dass sich die Völker nicht zufällig auf bestimmte Normen zur Regelung des Zusammenlebens geeinigt haben. Im Fall von Thailand wird die Konflikt-Aversion vor allem auf die Notwendigkeit zurückgeführt, die Dorfgemeinschaft für die Erfordernisse der künstlichen Bewässerung beim Reisanbau zu einigen. Für diese schwere und mühselige Arbeit mussten die vorhandenen Kräfte straff und effektiv gebündelt und jede Art von fruchtloser Zwietracht vermieden werden. Besserwisserische Kommentare hierzu von außen sollte man sich lieber verkneifen. Passender ist es vielmehr, zwischen den Zeilen zu lesen und sich ansonsten in der hohen Kunst des Small Talks zu üben.
EIN LAND, VIER REGIONEN ...
Auch wenn es angesichts der allgegenwärtigen nationalen Symbole nicht den Anschein haben mag, ist das moderne Thailand eine Schöpfung vergleichsweise jüngeren Datums. Genauer gesagt, existiert das Land in seiner heutigen Form erst seit Beginn des 20. Jahrhunderts.
Der Name Thailand (Muang Thai oder Prathet Thai) ist erst seit 1939 gebräuchlich, zuvor war das Land unter der Bezeichnung »Siam« bekannt. Das relativ späte Zusammenwachsen der thailändischen Nation hatte v. a. geografische und klimatische Ursachen: Thailand besteht aus vier großen und sich markant unterscheidenden Naturräumen (Zentral, Nord, Nordost und Süd).
Diese Verschiedenheit hatte zur Folge, dass sich regional sehr ungleiche Gemeinwesen mit teils eigener Sprache und Schrift entwickelten, die im Übrigen auch eigene Regionalküchen hervorgebracht haben. Angesichts der überall im Land anzutreffenden Dreifaltigkeit von Nation, Buddhismus und Monarchie sind diese Unterschiede für den Besucher allerdings nicht immer auf Anhieb ersichtlich. Während es im Süden und im Norden eigenständige Staaten gegeben hat, gehörte der Nordosten (Isaan) lange Zeit zu Laos. Ein Drittel der dortigen Bevölkerung ist laotischer oder kambodschanischer Abstammung. Im Süden, an der Grenze zu Malaysia, leben – auf dem Gebiet des früheren Sultanats Pattani – in den Provinzen Yala, Pattani und Narathiwat mehrheitlich Muslime malaiischer Abstammung. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung von 69 Millionen Menschen liegt bei geschätzt 5 bis 8 Prozent.
Diese verschiedenen Traditionen mussten erst mühsam zusammengeführt werden, wobei man hier mit einer »nationalen Bewusstseinsbildung« tüchtig von oben nachgeholfen hat. Dabei wird der Ton faktisch von Zentralthailand, d.h. von den Bangkoker Eliten, dem Militär und dem Königshaus angegeben. Mit den sehr ungleich verteilten Erträgen des wirtschaftlichen Aufschwungs der letzten Jahre haben sich die alten Animositäten wieder deutlich verschärft.
Speziell im armen und rückständigen Nordosten hat man das Gefühl, ökonomisch und sozial abgehängt zu werden, wodurch der ohnehin vorhandene Minderwertigkeitskomplex noch weiter verstärkt wird. Hierin liegt auch die Quelle der Zwietracht im teils erbittert geführten Konflikt zwischen Geld- und Rothemden, wobei erstere den privilegierten konservativen Schichten und letztere den traditionell Benachteiligten zuzuzählen sind. Gelb ist dabei die Farbe des Königshauses. Auch im Süden ist man unzufrieden. Dort kämpfen viele Muslime für die Wiederherstellung eines eigenen Staates oder für den Anschluss an Malaysia – ein kleiner radikaler Teil von ihnen schreckt auch nicht vor gewalttätigen Anschlägen zurück, wobei es die Zentralregierung zuweilen auch an Umsicht hat fehlen lassen, die Region nachhaltig zu befrieden.
... und (mindestens) vier Mentalitäten
Den Nord-Thais, die – etwa im legendären Königreich Lan Na – lange unter feudalen Verhältnissen gelebt haben, wird ein besonders höfliches und zurückhaltendes Wesen attestiert. Demgegenüber gelten die Süd-Thais als wesentlich