Fettnäpfchenführer Thailand. Daniel Muller

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Fettnäpfchenführer Thailand - Daniel  Muller Fettnäpfchenführer

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gibt es auch hier Raum für Moral und Zuwendung.

      Doch egal, wie man zu Bangkok steht, eines ist Fakt: Die auf flachem Sumpfland erbaute Stadt verliert zusehends ihr Fundament. Denn infolge des gigantischen Wasserbedarfs sinkt der Grundwasserspiegel fortwährend. Da hierdurch der Gegendruck im Boden gemindert wird, sackt auch die Stadt immer weiter ab.

      Experten haben einen Wert von zehn Zentimetern pro Jahr seit Ende der 1970er-Jahre errechnet. Und da die Stadtfläche weitgehend zubetoniert ist und das Regenwasser nicht mehr im Boden versickern kann, nehmen die Überschwemmungen in der Regenzeit immer schwerere Ausmaße an. Einige Politiker haben deshalb bereits die Idee einer Stadt-Verlegung oder die Errichtung einer zweiten Hauptstadt ins Spiel gebracht.

      Herr Srinath teilt den Meyers mit, dass es nun nicht mehr weit bis zu ihrem neuen Domizil ist.

      »Ich bin echt auf unsere Haushälterin gespannt«, sagt Lisa. »Das ist auch wieder so ein komischer Name: Madame Sopapun.«

      Herr Srinath schweigt.

      »Jedenfalls haben die Leute von der Agentur gesagt, dass sie eine Seele von Mensch sei und auch Erfahrung mit Ausländern hat. Hoffentlich stellen wir uns nicht allzu dusselig an«, merkt Martin an.

      »Madame Sopapun – ich finde, das hat etwas von Flaubert«, meldet sich Susanne zu Wort.

      Sie erreichen den Apartmentkomplex. Gärtner sind emsig zugange, den natürlichen Wildwuchs der Pflanzen im angeschlossenen Garten in ästhetische Formen zu kanalisieren.

      Der Immobilienmakler erwartet sie schon. Sie steigen aus und verabschieden sich, wobei Herr Srinath zahlreiche Halb-Verbeugungen macht. Martin will dem Makler die Hand geben, muss aber feststellen, dass dieser erst stutzt, dann etwas erschrocken einen halben Meter Abstand nimmt und ihn anschaut, als hätte er sich ihm auf ungebührliche Weise genähert. Martin zieht seine Hand zurück und versucht es mit einem Nicken, das der Makler nun sichtlich erleichtert erwidert. Er führt die Meyers zu ihrer Etagenwohnung und schließt die Tür auf. Eine Wohlfühloase kommt zum Vorschein. Hell, geräumig mit einladenden Rattan-Möbeln eingerichtet. Lisa nimmt umgehend das für sie reservierte Zimmer in Beschlag.

      Es klingelt. Und da ist sie: ihre Haushälterin, ihre Verbündete, ihr Fels in der Brandung des thailändischen Alltags. Die Chemie stimmt auf Anhieb, ohne dass auch nur ein Wort gewechselt wurde. Andächtig stehen die Meyers vor Madame Sopapun, die eine angenehme und zutiefst beruhigende Aura verströmt. Ein menschliches Konzentrat aus Jahrtausenden asiatischer Weisheit, Heiterkeit und Kontemplation. Eine einigermaßen exakte Altersangabe ist kaum möglich. Sie könnte vierzig, aber genauso gut auch sechzig sein. Die Uhren in Asien sollen ja bekanntlich anders ticken, was das zeitlose Aussehen vieler Asiaten erklären könnte. Die vielen Lachfältchen um die wachen Augen zeugen jedenfalls von einem uneingeschränkt fröhlichen Naturell. Die beiden Parteien stehen sich erwartungsvoll gegenüber.

      Ein herzliches Lächeln aus den Tiefen ihres Gemütes huscht über die Lippen der Haushälterin. Dann faltet sie die Hände wie im Gebet zusammen und hält sie sich vor die Brust. Was hat das nun wieder zu bedeuten? Lisa, die sich mit einigem Nachdruck durch ihre Eltern hindurchgezwängt hat, weiß, was es mit dieser Geste auf sich hat. Genau das ist ein wai! So begrüßt man sich Thailand, im Land von Mangos und Chilis, der buddhistischen Tempel, lächelnden Menschen und endlosen Sandstrände. Lisa hat sich schließlich ordentlich vorbereitet. Entsprechend will sie sich nun stilecht vorstellen.

      Wie eine russische Primaballerina hebt sie ihre gefalteten Hände empor, so weit es eben geht. Das Ganze sieht eher wie eine Sporteinlage als eine ehrwürdige Begrüßungszeremonie aus. Die Madame schaut sie verwundert an, dann bricht sie in ein freundliches Lachen aus.

       Was ist da schiefgelaufen?

      Machen die Thais tatsächlich so viel Federlesen um ein einfaches Hallo? Die Antwort lautet ja. Denn Thailand ist anders. Viele Dinge, die uns völlig normal erscheinen, stoßen hier auf Verwunderung und Unverständnis. Dasselbe gilt natürlich auch umgekehrt. Mit am schwierigsten dürfte die Beobachtung zu verarbeiten sein, dass in Thailand zwischen den Menschen himmelweite Unterschiede gemacht werden. Natürlich sind auch in Europa manche gleicher als andere. Überhaupt keine Frage. Der Unterschied: Bei uns werden die Rangunterschiede nicht in einer Alltagshandlung wie der Begrüßung sichtbar. Und es ist bedeutend einfacher, sich aus unteren Verhältnissen zumindest in die gehobene Mittelschicht hochzurobben. Dies ist zwar auch in Thailand nicht unmöglich, aber sehr unwahrscheinlich.

      Die sozialen Mauern sind Resultat des ausgeprägten Hierarchiedenkens der Thais: Thailand ist ungeachtet aller Veränderungen immer noch eine strikte Klassengesellschaft mit haargenau abgegrenzten Gesellschaftsstufen. Jedem Individuum wird ein Rang zugewiesen, dem es duldsam und widerspruchslos zu entsprechen hat. Nur durch massiven materiellen Reichtum ist es einem Thai möglich, sich dem rigorosen kollektiven Unterordnungsdruck zu entziehen. Erklären lässt sich die Akzeptanz dieses Systems durch die tiefgehende Verbreitung des Karma-Konzepts, wonach die aktuelle Stellung das Ergebnis einer ethisch vorbildlichen oder verwerflichen Lebensführung in der vorigen Existenz ist (mehr dazu in Kapitel 14: »Don’t touch the monk!«).

      Äußerst prägnant lassen sich die Rangunterschiede zwischen den Thais bei ihrem traditionellen Gruß, dem wai, ablesen. Beim wai, dessen Ursprung im indischen Namaste-Gruß vermutet wird, werden die Handflächen aneinandergelegt und in Abhängigkeit vom sozialen Status des zu Grüßenden auf eine bestimmte Höhe angehoben. Haben sich bei Ranggleichen die Daumen der gefalteten Hände auf Brusthöhe zu befinden, ist bei höherrangigen oder älteren Personen zusätzlich der Kopf zu senken. Bei besonders hoch stehenden Personen sowie bei den Eltern müssen die Daumen bis auf Mundhöhe gehoben und der Kopf ebenfalls gesenkt werden. Bei Mönchen werden die Hände noch weiter bis an die Nase gehoben und der Kopf besonders demütig gesenkt. Über den Kopf werden die Hände nur bei Mönchen gehoben, denen eine außergewöhnliche spirituelle Qualität zugeschrieben wird.

      Für den farang ist dieser Gruß deshalb problematisch, weil er qua Geburt außerhalb der thailändischen Sozialordnung steht. Insofern war Lisas gut gemeinte interkulturelle Anpassung ein klitzeklein wenig deplatziert, auch wenn dies angesichts von Madame Sopapuns unerschütterlicher Lebensfreude keinen Beinbruch darstellt, sondern eher witzig-charmant aufgenommen wurde.

       Wie geht es entspannter?

      Es ist uneingeschränkt lobenswert, wenn Besucher eines Landes versuchen, sich an die vorherrschenden Gepflogenheiten anzupassen. Denn dies signalisiert Interesse und Wertschätzung. Daher werden die Einheimischen dem Ausländer bei einem erkennbaren Bemühen immer einen üppigen Vorschusskredit gewähren und ihm stilistische Missgriffe nicht sonderlich krumm nehmen. Dies gilt für Thais gleich doppelt und dreifach. Dennoch könnte man über den olympischen Gedanken »Dabei sein ist alles« hinausgehen und versuchen, es auch gleich richtig zu machen.

      Beim wai etwa sollte bedacht werden, dass er weit mehr ist als eine bloße Geste zur Begrüßung oder zur Verabschiedung. Er ist vielmehr ein Gradmesser für soziale Beziehungen in einer abgestuften Gesellschaft. Insofern ist er nicht mit unserem Händedruck vergleichbar, mit dem viele Thais nebenbei bemerkt nicht viel anfangen können. Der Versuch, einem Thai das Händeschütteln nahezubringen, kann schnell ins Fach von Laurel and Hardy führen.

      Ein korrekt ausgeführter wai ist vor allem eine Frage des Respekts, was im Umkehrschluss bedeutet, dass ein unsachgemäßer wai einen entsprechenden Mangel anzeigen kann. Dabei kann die Respektlosigkeit grundsätzlich in beide Richtungen gehen. Man kann also einen »Ranghöheren« unter Wert wie

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