Franz Kafka: Sämtliche Werke. Knowledge house

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Franz Kafka: Sämtliche Werke - Knowledge house

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anzusehn, wie er die Arme an die Augen führte, um mit dem Verbande die Tränen abzuwischen, die er vor Schmerzen oder vor sonstigem Leid oder gar vor Freude über das Wiedersehen mit Karl vergoß. „Roßmann“, rief er vorwurfsvoll, „warum läßt Du mich denn solange warten. Schon eine Stunde verbringe ich damit, mich zu wehren, damit ich nicht früher wegtransportiert werde ehe Du kommst. Diese Kerle“ – und er gab dem einen Liftjungen ein Kopfstück, als sei er durch die Verbände vor Schlägen geschützt – „sind ja wahre Teufel. Ach Roßmann der Besuch bei Dir ist mir teuer zu stehn gekommen.“ „Was hat man Dir denn gemacht?“ sagte Karl und trat an die Bahre heran, welche die Liftjungen um sich auszuruhn lachend niederstellten. „Du fragst noch“, seufzte Robinson, „und siehst wie ich ausschaue. Bedenke! Ich bin ja höchstwahrscheinlich für mein ganzes Leben zum Krüppel geschlagen. Ich habe fürchterliche Schmerzen von hier bis hier“ – und er zeigte zuerst auf den Kopf und dann auf die Zehen –. „Ich möchte Dir wünschen, daß Du gesehen hättest wie ich aus der Nase geblutet habe. Meine Weste ist ganz verdorben, die habe ich überhaupt dort gelassen, meine Hosen sind zerfetzt, ich bin in Unterhosen“ – und er lüftete die Decke ein wenig und lud Karl ein unter sie zu schauen. „Was wird nur aus mir werden! Ich werde zumindest einige Monate liegen müssen und das will ich Dir gleich sagen, ich habe niemanden andern als Dich der mich pflegen könnte, Delamarche ist ja viel zu ungeduldig. Roßmann, Roßmannchen!“ Und Robinson streckte die Hand nach dem ein wenig zurücktretenden Karl aus, um ihn durch Streicheln für sich zu gewinnen. „Warum habe ich Dich nur besuchen müssen!“ wiederholte er mehrere Male, um Karl die Mitschuld nicht vergessen zu lassen, die dieser an seinem Unglück hatte. Nun erkannte zwar Karl sofort, daß das Klagen Robinsons nicht von seinen Wunden, sondern von dem ungeheueren Katzenjammer stammte, in dem er sich befand, da er in schwerer Trunkenheit kaum eingeschlafen, gleich geweckt und zu seiner Überraschung blutig geboxt worden war und sich in der wachen Welt gar nicht mehr zurechtfinden konnte. Die Bedeutungslosigkeit der Wunden war schon an den unförmlichen aus alten Fetzen bestehenden Verbänden zu sehn, mit denen ihn die Liftjungen offenbar zum Spaß ganz und gar umwickelt hatten. Und auch die zwei Liftjungen an den Enden der Bahre prusteten vor Lachen von Zeit zu Zeit. Nun war aber hier nicht der Ort Robinson zur Besinnung zu bringen, denn stürmend eilten hier die Passanten ohne sich um die Gruppe an der Bahre zu kümmern vorbei, öfters sprangen Leute mit richtigem Turnerschwung über Robinson hinweg, der mit Karls Geld bezahlte Chauffeur rief „Vorwärts, vorwärts“, die Liftjungen hoben mit letzter Kraft die Bahre auf, Robinson erfaßte Karls Hand und sagte schmeichelnd „Nun komm, so komm doch“, war nicht Karl in dem Aufzug in dem er sich befand im Dunkel des Automobils noch am besten aufgehoben? und so setzte er sich neben Robinson, der den Kopf an ihn lehnte, die zurückbleibenden Liftjungen schüttelten ihm, als ihrem gewesenen Kollegen durch das Coupeefenster herzlich die Hand und das Automobil drehte sich mit scharfer Wendung zur Straße hin, es schien als müsse unbedingt ein Unglück geschehn, aber gleich nahm der alles umfassende Verkehr auch die schnurgerade Fahrt dieses Automobils ruhig in sich auf.

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      Es mußte wohl eine entlegene Vorstadtstraße sein, in der das Automobil haltmachte, denn ringsum herrschte Stille, am Trottoirrand hockten Kinder und spielten, ein Mann mit einer Menge alter Kleider über den Schultern rief beobachtend zu den Fenstern der Häuser empor, in seiner Müdigkeit fühlte sich Karl unbehaglich als er aus dem Automobil auf den Asphalt trat, den die Vormittagssonne warm und hell beschien. „Wohnst Du wirklich hier?“ rief er ins Automobil hinein. Robinson der während der ganzen Fahrt friedlich geschlafen hatte brummte irgendeine undeutliche Bejahung und schien darauf zu warten, daß Karl ihn hinaustragen werde. „Dann habe ich hier also nichts mehr zu tun. Leb wohl“, sagte Karl und machte sich daran, die ein wenig sich senkende Straße abwärts zu gehn. „Aber Karl, was fällt Dir denn ein?“ rief Robinson und stand schon vor lauter Sorge ziemlich aufrecht, nur mit noch etwas unruhigen Knien, im Wagen. „Ich muß doch gehn“, sagte Karl, der der raschen Gesundung Robinsons zugesehn hatte. „In Hemdärmeln?“ fragte dieser. „Ich werde mir schon noch einen Rock verdienen“, antwortete Karl, nickte Robinson zuversichtlich zu, grüßte mit erhobener Hand und wäre nun wirklich fortgegangen, wenn nicht der Chauffeur gerufen hätte: „Noch einen kleinen Augenblick Geduld mein Herr.“ Es zeigte sich unangenehmer Weise, daß der Chauffeur noch Ansprüche auf eine nachträgliche Bezahlung stellte, denn die Wartezeit vor dem Hotel war noch nicht bezahlt. „Nun ja“, rief aus dem Automobil Robinson in Bestätigung der Richtigkeit dieser Forderung, „ich habe ja dort so lange auf Dich warten müssen. Etwas mußt Du ihm noch geben.“ „Ja freilich“, sagte der Chauffeur. „Ja wenn ich nur noch etwas hätte“, sagte Karl und griff in die Hosentaschen, trotzdem er wußte daß es nutzlos war. „Ich kann mich nur an Sie halten“, sagte der Chauffeur und stellte sich breitbeinig auf, „von dem kranken Mann dort kann ich nichts verlangen.“ Vom Tor her näherte sich ein junger Bursch mit zerfressener Nase und hörte aus einer Entfernung von paar Schritten zu. Gerade machte durch die Straße ein Polizeimann die Runde, faßte mit gesenktem Gesicht den hemdärmligen Menschen ins Auge und blieb stehn. Robinson, der den Polizeimann auch bemerkt hatte, machte die Dummheit, aus dem andern Fenster ihm zuzurufen: „Es ist nichts, es ist nichts“, als ob man einen Polizeimann wie eine Fliege verscheuchen könnte. Die Kinder, welche den Polizeimann beobachtet hatten, wurden nun durch sein Stillstehn auch auf Karl und den Chauffeur aufmerksam und liefen im Trab herbei. Im Tor gegenüber stand eine alte Frau und sah starr herüber.

      „Roßmann“, rief da eine Stimme aus der Höhe. Es war Delamarche, der das vom Balkon des letzten Stockwerks rief. Er selbst war nur schon recht undeutlich gegen den weißlich blauen Himmel zu sehn, hatte offenbar einen Schlafrock an und beobachtete mit einem Operngucker die Straße. Neben ihm war ein roter Sonnenschirm aufgespannt unter dem eine Frau zu sitzen schien. „Halloh“, rief er mit größter Anstrengung um sich verständlich zu machen, „ist Robinson auch da?“ „Ja“, antwortete Karl, von einem zweiten viel lautern „Ja“ Robinsons aus dem Wagen kräftig unterstützt. „Halloh“, rief es zurück, „ich komme gleich.“ Robinson beugte sich aus dem Wagen. „Das ist ein Mann“, sagte er und dieses Lob Delamarches war an Karl gerichtet, an den Chauffeur, an den Polizeimann und an jeden, der es hören wollte. Oben auf dem Balkon, den man aus Zerstreutheit noch ansah, trotzdem ihn Delamarche schon verlassen hatte, erhob sich nun unter dem Sonnenschirm tatsächlich eine starke Frau in rotem Kleid, nahm den Operngucker von der Brüstung und sah durch ihn auf die Leute hinunter, die nur allmählich die Blicke von ihr wendeten. Karl sah in Erwartung des Delamarche in das Haustor und weiterhin in den Hof, den eine fast ununterbrochene Reihe von Geschäftsdienern durchquerte, von denen jeder eine kleine, aber offenbar sehr schwere Kiste auf der Achsel trug. Der Chauffeur war zu seinem Wagen getreten und putzte um die Zeit auszunützen, mit einem Fetzen die Wagenlaternen. Robinson befühlte seine Gliedmaßen, schien erstaunt über die geringen Schmerzen zu sein, die er trotz größter Aufmerksamkeit fühlen konnte und begann vorsichtig mit tief geneigtem Gesicht einen der dicken Verbände am Bein zu lösen. Der Polizeimann hielt sein schwarzes Stöckchen quer vor sich und wartete still mit der großen Geduld, die Polizeileute haben müssen, ob sie im gewöhnlichen Dienst oder auf der Lauer sind. Der Bursche mit der zerfressenen Nase setzte sich auf einen Torstein und streckte die Beine von sich. Die Kinder näherten sich Karl allmählich mit kleinen Schritten, denn dieser schien ihnen, trotzdem er sie nicht beachtete, wegen seiner blauen Hemdärmel der wichtigste von allen zu sein.

      An der Länge der Zeit, die bis zur Ankunft Delamarches vergieng, konnte man die große Höhe dieses Hauses ermessen. Und Delamarche kam sogar sehr eilig mit nur flüchtig zugezogenem Schlafrock. „Also da seid Ihr!“ rief er, erfreut und streng zugleich. Bei seinen großen Schritten enthüllte sich stets für einen Augenblick seine färbige Unterkleidung. Karl begriff nicht ganz, warum Delamarche hier in der Stadt, in der riesigen Mietskaserne, auf der offenen Straße so bequem angezogen herumgieng, als sei er in seiner Privatvilla. Ebenso wie Robinson hatte auch Delamarche sich sehr verändert. Sein dunkles, glatt rasiertes, peinlich reines, von roh ausgearbeiteten Muskeln gebildetes Gesicht sah stolz und respekteinflößend aus. Der grelle Schein seiner jetzt immer etwas zusammengezogenen Augen überraschte. Sein violetter Schlafrock war zwar alt, fleckig und für ihn zu groß, aber aus diesem häßlichen Kleidungsstück bauschte

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