Ronaldo. Luca Caioli
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Am 15. Mai bestreitet United im Villa Park gegen Aston Villa das letzte Ligaspiel der Saison. Ronaldo erzielt sein viertes Tor im Wettbewerb und fliegt zum ersten Mal seit seiner Ankunft in England vom Platz. Er ist bereits wegen Simulierens verwarnt, da schlägt er in der 80. Minute vor lauter Wut unnötig den Ball weg. Schlechter kann er seine erste Saison in der Premier League kaum beschließen.
Man United wird am Ende mit 79 Punkten Dritter, vier Punkte hinter Chelsea und 15 hinter Arsenal, das sich den Titel sichert. Doch das Endspiel im FA-Pokal steht noch aus. Es ist die letzte Gelegenheit, noch einen Titel zu gewinnen, nachdem man sich aus allen anderen Wettbewerben einschließlich des Ligapokals bereits verabschiedet hat. Im Millennium Stadium in Cardiff geht es gegen den Zweitligisten FC Millwall, und dieses Mal glänzt Ronaldo. Er köpft in der 44. Minute eine Flanke von Neville ein und erzielt damit das erste Tor im Spiel. Danach treibt er die Offensive von United an, das am Ende mit 3:0 gewinnt.
Er wird zwar nicht zum Spieler des Spiels gewählt – diese Ehre wird dem Doppeltorschützen Ruud van Nistelrooy zuteil. Doch dafür ist er in aller Munde. Gary Neville sagt: „Ryan Giggs und Ruud van Nistelrooy haben klasse gespielt, aber Cristiano hat sich besonders hervorgetan. Ich glaube, dass Ronaldo einer der besten Fußballer der Welt werden kann.“ „Ronaldo war überragend“, meint auch Sir Alex. „Wir müssen gut auf ihn aufpassen, weil er auf dem Weg ist, ein herausragender Spieler zu werden.“ Und nicht nur der Trainer und die Mannschaftskollegen denken so. Die Zeitungen geben ihm neun von zehn Punkten, als Bestem im Team. Die Älteren vergleichen seine Leistung mit der von Sir Stanley Matthews im englischen Pokalfinale von 1953.
Cristiano Ronaldo beendet seine erste Saison als Red Devil glanzvoll. Er hat in seinen 39 Einsätzen in allen Wettbewerben acht Tore erzielt. Und er wird mit mehr als 10.000 Stimmen der United-Fans zum „Sir Matt Busby Player of the Year“ ernannt, also zum Spieler des Jahres. In seiner Reaktion auf den Preis sagt Sir Alex Ferguson: „Ronaldo ist ein junger Spieler, der in der abgelaufenen Saison enormen Eindruck gemacht hat. Er hat sich den Sir-Matt-Busby-Preis redlich verdient. Sir Matt hat immer geglaubt, man müsse jungen Spielern eine Chance geben, und ein solcher junger Spieler ist Ronaldo.“ Nun ist es an Cristiano, ebenso überzeugend aufzutreten, wenn er für Portugals Selecção aufläuft.
Kapitel 7
Eine griechische Tragödie
Die Europameisterschaft 2004
„Eine Riesenenttäuschung. Ich wollte doch mit 19 Europameister werden.“
„Glaubt an euch“, lautet die Schlagzeile auf der Titelseite der portugiesischen Sport-Tageszeitung O Jogo. Darunter befindet sich das Bild eines weinenden Cristiano Ronaldo, der mit wie im Gebet gefalteten Händen in Richtung Himmel schaut. Es ist eine der wenigen mutmachenden Stimmen, die am 13. Juni 2004 in der portugiesischen Presse zu lesen sind. Die anderen Blätter reden von „einer Nation am Rande des Nervenzusammenbruchs“ und „einem in Tränen aufgelösten Land“. Griechenland hat Portugal im Eröffnungsspiel der Europameisterschaft 2004 besiegt. Keine andere Gastgebernation ist bisher im Eröffnungsspiel geschlagen worden. Und die Griechen haben in der Endrunde einer EM bisher noch nie gewinnen können. Wie konnte es dazu kommen?
„Wir sind da enorm motiviert rausgegangen, und dann hat uns die Nervosität übermannt. Die Atmosphäre hat gegen uns gearbeitet“, erklärt Kapitän Luís Figo. „Wir sind vom Druck überwältigt worden“, pflichtet ihm Mitveteran Rui Costa bei, ein Angehöriger der „Goldenen Generation“ Portugals, die 1989 und 1991 die U20-Weltmeisterschaft gewonnen hat. „Wir waren sehr nervös“, meint auch Simão. „Wir hatten nie daran gedacht, dass wir auch verlieren könnten.“
Sicherlich mögen die Erwartungen eines ganzen Landes die Nationalmannschaft unter Druck gesetzt haben. Doch beim Eröffnungsspiel im Estádio Dragão in Porto ist eben auch eine griechische Mannschaft zu erleben, die extrem gut organisiert, in der Abwehr fein gestaffelt und auf die Zerstörung des gegnerischen Spiels aus ist und dazu entschlossen, selbst die kleinste Chance zu nutzen – sei es durch einen Konter oder einen ruhenden Ball. Es ist Catenaccio ganz so, wie ihn die Italiener in den sechziger Jahren gespielt haben. Mit anderen Worten: Es kommt zu einer ziemlich öden Partie.
Die portugiesischen Spieler verfangen sich in dem Netz, das Griechenlands Trainer Otto Rehhagel gewoben hat. Sie verlieren die Kontrolle über das Spiel, weil alte Hasen wie Figo, Rui Costa und Couto nicht in Form sind. Gleiches gilt für Costinha und Maniche, und dem brasilianischen Trainer Luiz Felipe Scolari ist das nur allzu bewusst. Zur Halbzeit steht es nach einem Weitschuss von Inter Mailands Giorgos Karagounis in der siebten Minute 1:0 für die Griechen. Der Ball war allerdings nicht so hart, dass Ricardo ihn nicht hätte halten können.
Während der Pause schickt der Trainer Deco und Cristiano Ronaldo zum Aufwärmen. In seinem grünen Trainingsanzug mit der Nummer 17, mit hochgestellten, gesträhnten Haaren und zwei glitzernden Ohrringen setzt Ronaldo zu einem Zickzack-Lauf an, schießt ein wenig den Ball durch die Gegend und kehrt dann zur Bank zurück. Er lauscht Scolaris taktischen Anweisungen und betritt das Spielfeld. Es ist offensichtlich, dass er unglaublich aufgeregt ist. Fünf Minuten später mäht er im Strafraum wie ein ungestümes Kind Georgios Seitaridis um, die griechische Bulldogge mit der Zwo, die den linken Flügel bewacht. Der italienische Schiedsrichter Pierluigi Collina pfeift Strafstoß, und Angelos Basinas erhöht auf 2:0. Die Zuschauer fangen an, Rui Jorge und einen sehr müden Figo auszupfeifen, während die Griechen jeden Pass ihrer Spieler bejubeln.
Portugals Nummer 17 verdoppelt seinen Einsatz auf der linken Seite. Er rennt vor und zurück, er trickst und täuscht. Er verwirrt seine Gegenspieler und spielt einen Pass nach dem nächsten, doch es gibt keine Abnehmer für seine Zuspiele. In der 83. Minute versucht er selbst sein Glück und hält drauf: ein kraftvoller Schuss, der knapp am linken Pfosten von Antonios Nikopolidis vorbeizischt. Cristiano blickt zum Himmel und faltet die Hände zum stillen Gebet. Irgendjemand weiter oben muss sein Flehen erhört haben. Zehn Minuten später trifft er. Es ist sein erstes Tor in einem offiziellen Spiel der Nationalmannschaft. Voraus geht ein von Figo hereingebrachter Eckstoß von der linken Seite. Ronaldo springt kraftvoll in die Luft und setzt zu einem wuchtigen Kopfball an. Die Kugel beschreibt eine perfekte Flugbahn. Nikopolidis kann nur dastehen und zusehen.
Es ist ein Moment großer Freude für den 19 Jahre alten Jungen, der gerade einmal neun Monate zuvor sein Debüt in der portugiesischen Nationalmannschaft gegeben hat. Am 14. August 2003 hat er einen Anruf von seiner Mutter bekommen, die ihm von seiner ersten Berufung für das Freundschaftsspiel gegen Kasachstan berichtete. Kurz darauf bestätigt auch sein Berater Jorge Mendes die gute Nachricht. „Ich bin froh und stolz, zu den Auserwählten zu gehören“, sagt Ronaldo. „Ich bin dem Trainer sehr dankbar. Das ist ein ganz besonderer Augenblick in meinem Leben. Alles Gute ist auf einen Schlag gekommen – erst Manchester United und jetzt die Nationalmannschaft. Ich will spielen, und ich will gewinnen.“
Am 20. August 2003 streift Cristiano im portugiesischen Chaves zum ersten Mal das rot-grüne Trikot über. Luiz Felipe Scolari bringt ihn in der zweiten Halbzeit für Figo. Mit einem Mal ist er umringt von den Champions, zu denen er stets als Vorbilder aufgeschaut hat. Seine Mentoren in der Mannschaft, Luís Figo und Rui Costa, haben ihm geraten, ruhig zu bleiben und so wie immer zu spielen.