Nirgends scheint der Mond so hell wie über Berlin. Группа авторов

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Ressentiments dieser Gruppen einfließen. Der Jude, so hieß es in der antisemitischen Propaganda, stehe nicht nur hinter dem internationalen Marxismus, sondern auch hinter dem internationalen Börsenkapital; er ziehe die Fäden der ›roten‹ und der ›goldenen Internationale‹.

      Der Niedergang der Antisemitenparteien, eine Folge innerer Zwistigkeiten, mangelnder Effektivität und, nicht zuletzt, des konjunkturellen Aufschwungs seit Mitte der 1890er-Jahre, hatte das politische Gewicht der Judenfeindschaft gemindert, ihr aber nicht den Boden entzogen. Organisationen wie der Bund der Landwirte, der Alldeutsche Verband und die Deutsch-Konservative Partei hielten antijüdische Ressentiments bewusst am Leben. Als während des Krieges Deutschlands Siegesaussichten schwanden, setzte eine verstärkte antisemitische Agitation von rechts ein. Die soziale Zusammensetzung der Mitgliedschaft des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes deutet darauf hin, dass die traditionellen Trägerschichten des Antisemitismus auch nach 1918 den Hauptteil der Massenbasis stellten.

      Aber kann man von der Soziologie der organisierten Antisemiten auf die Mentalität ganzer sozialer Schichten schließen? Auf der einen Seite besteht kein Zweifel, dass gerade in den ersten fünf Jahren der Weimarer Republik Aversionen gegen das vermeintlich ›jüdische Berlin‹ in der deutschen Provinz weit verbreitet waren. Bauern und Handwerker, Kleinhändler, Angestellte und Beamte hatten antisemitische Vorurteile, wenn sie sie vor 1918 hatten, in der unmittelbaren Nachkriegszeit gewiss nicht verloren.

      Auf der anderen Seite hatte das Scheitern der Antisemitenparteien Spuren hinterlassen. Radikale Judenfeindschaft konnte nicht mehr als Bürgschaft einer wirksamen mittelstandsfreundlichen Politik gelten. Nach dem Krisenjahr 1923 schwand dann allmählich auch jene Angst vor sozialen Umwälzungen, an welche die Antisemiten bis dahin so erfolgreich appelliert hatten. Die Währungsverhältnisse stabilisierten sich; die Sozialdemokratie saß im Reich vom November 1923 bis zum Mai 1928 auf den Bänken der Opposition; Deutschland wurde rein bürgerlich, zeitweilig unter Beteiligung der Deutschnationalen, regiert. Im Frühjahr 1924 schrieb die Nordwestdeutsche Handwerks-Zeitung, ein weit rechts stehendes Blatt, über die Deutschvölkische Freiheitspartei, die sich 1922 von den Deutschnationalen getrennt und mit den Nationalsozialisten verbündet hatte, die »Belastung der Partei mit einem fanatischen Antisemitismus« sei »jedenfalls nicht geeignet, die Hoffnung auf sachliche Arbeit zu begründen.« Solche Kritik berühre aber nicht die völkische Bewegung. »Man kann nämlich gut völkisch sein und doch einer der bisherigen bürgerlichen Parteien angehören.«15

      Der Deutschnationale Handlungsgehilfen-Verband, 1893 als betont antisemitische Organisation kaufmännischer Angestellter gegründet, legte in der Weimarer Republik ebenfalls Wert auf Distanz zum ›Radau-Antisemitismus‹. An seine Stelle setzte er eine sublimere Form von Antisemitismus: die Abwehr des angeblich übertriebenen jüdischen Einflusses auf das kulturelle Leben in Deutschland. Eine vielgelesene, dem Verband nahestehende Zeitschrift, das von Wilhelm Stapel redigierte Deutsche Volkstum, gehörte zu den wichtigsten Sprachrohren dieser Spielart von Judengegnerschaft. Bei Handwerkern und Angestellten gab es also fortdauernde Animositäten gegenüber den Juden, aber von einem quantitativ wachsenden und qualitativ sich radikalisierenden Judenhass kann man nicht sprechen. Seit 1924 lässt sich vielmehr allgemein ein allmähliches Abebben des radikalen Antisemitismus beobachten. Darauf deutet auch die Tatsache, dass die miteinander verbündeten Nationalsozialisten und Deutschvölkischen, die bei den Reichstagswahlen vom Mai 1924 noch 6,5 Prozent der Stimmen erhalten hatten, im Dezember desselben Jahres nur noch auf drei Prozent kamen. Bei den Reichstagswahlen vom Mai 1928 entfielen auf die NSDAP 2,6, auf den Völkisch-Nationalen Block 0,9 Prozent.

      In zwei Gruppen der deutschen Gesellschaft hat es eine wesentliche Abschwächung antisemitischer Tendenzen jedoch höchstwahrscheinlich nicht gegeben. Im Kleinhandel, der sich von den meist in jüdischem Besitz befindlichen Warenhäusern sowie den als ›marxistisch‹ und damit ebenfalls als ›verjudet‹ geltenden Konsumvereinen hart bedrängt fühlte, bewirkte die Angst vor überlegener Konkurrenz eine besonders intensive Judenfeindschaft. Ähnlich sah es bei vielen Akademikern aus. Ihr hoher Anteil in den Führungsgremien des Schutz- und Trutzbundes war durchaus symptomatisch. Der Antisemitismus, der schon im späten 19. Jahrhundert vor allem dank Heinrich von Treitschke salonfähig geworden war, fand nach 1918 im Bildungsbürgertum glühendere Verfechter als in irgendeiner anderen Schicht. Der vielfach bezeugte extreme Antisemitismus von Freikorpsführern illustrierte die Feindbildbedürfnisse von Angehörigen der Bildungsschicht, die durch den Krieg aus dem zivilen Leben herauskatapultiert worden waren und danach das Kriegserlebnis künstlich zu verlängern strebten. Die Juden verkörperten für sie alles, was sie am neuen Deutschland hassten: zersetzende Intellektualität und weichlichen Pazifismus, Parlamentarismus und Klassenkampf, westliche Zivilisation und östlichen Bolschewismus. Beim erwähnten antisemitischen Engagement von Ärzten und Rechtsanwählten liegt eine materielle Erklärung nahe: Sie hatten es mit besonders vielen jüdischen Berufskollegen zu tun und rechneten sich aus, dass es ihnen ohne diese Konkurrenten besser gehen würde. Die allgemeine Antipathie gegenüber den Juden erlaubte es ihnen, den eigentlichen, den egoistischen Beweggrund ihrer Judenfeindschaft zu verdrängen.

      Dasselbe Motiv spielte eine ausschlaggebende Rolle bei den Studenten. Auch bei ihnen hatte die ›Große Depression‹ der Jahre 1873 bis 1896 einen sozial begründeten Antisemitismus hervorgerufen. Der Verein Deutscher Studenten und der Akademische Turnerbund, beides Gründungen der 1880er-Jahre, waren dezidiert antisemitische Organisationen, und bis zum Ersten Weltkrieg hatten die meisten Korporationen wirksame Aufnahmesperren gegen Juden erlassen. Zwischen 1919 und 1921 nahmen sämtliche schlagende Verbindungen ›Arierparagrafen‹ in ihre Satzungen auf: Studenten jüdischer Herkunft durften diesen Vereinigungen nicht angehören. Auf antisemitischem Boden stand auch der Hochschulring Deutscher Art, der Dachverband der rechtsgerichteten Studentengruppen. Angesichts solcher Vorarbeiten fiel es dem Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund nach Ausbruch der Weltwirtschaftskrise nicht schwer, die Mehrheit der deutschen (und österreichischen) Studenten für sich zu gewinnen. Schon 1929 schlossen sich die Studentenschaften in Würzburg, Berlin und Erlangen seiner Forderung an, einen Numerus clausus für Juden einzuführen. Im Juli 1931 übernahm die Studentenorganisation der NSDAP die Herrschaft im Vorstand der Deutschen Studentenschaft.

      An den deutschen Universitäten war der Antisemitismus ein Vehikel des nationalsozialistischen Vormarsches. »Der Antisemitismus der Studenten: Das Ergebnis sozialökonomischer Verunsicherung« – so betitelt Michael Kater ein Kapitel seines Buches über die politische Entwicklung der deutschen Studenten in der Weimarer Republik.16 Die Inflation hatte die Ersparnisse vernichtet, aus denen das Bildungsbürgertum das akademische Studium seiner Kinder zu finanzieren pflegte. Öffentliche Mittel für Stipendien standen kaum zur Verfügung. Dass Juden nur ein Prozent der Bevölkerung, aber zwischen vier und fünf Prozent der Studenten, in Berlin und Frankfurt am Main sogar über zehn Prozent stellten, dass sie in manchen akademischen Berufen besonders stark vertreten waren, das hatte schon vor dem ›großen Krach‹ von 1929 starke Neidgefühle unter den nicht-jüdischen Studenten genährt. Antisemitismus wurde immer mehr zum Reflex der Angst vor sozialem Abstieg. Die Weltwirtschaftskrise trieb das Ressentiment zum Exzess – auch im wörtlichen Sinn von antijüdischen Ausschreitungen innerhalb und außerhalb der Hörsäle. Der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund konnte sich des Beifalls sicher sein, als er 1932 die Parole ausgab: »Auch du, nichtjüdischer Student, weißt nicht, ob du zu den 100.000 stellungslosen Akademikern gehören wirst … wir nichtjüdischen Studenten wollen später wirtschaftlich unabhängig sein von der Vorherrschaft des Judentums in den akademischen Berufen.«17

      Die Professoren traten dem sozial motivierten rassistischen Antisemitismus der Studentenschaft nur selten entgegen. In Freiburg scheint der katholische Dogmatiker Engelbert Krebs der Einzige gewesen zu sein, der dies – im Juni 1932 – mit deutlichen Worten tat. Bezeichnenderweise kritisierte er zugleich aber die negative Rolle, die die Juden aus seiner Sicht in liberalen und sozialistischen Bewegungen spielten. Vermutlich dachten die meisten seiner Kollegen in dieser Hinsicht nicht viel anders. Offen antisemitische Äußerungen vom Katheder waren vor 1933 zwar nicht häufig, aber die Mentalität des sozialen Boykotts war unter Universitätslehrern

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