Nirgends scheint der Mond so hell wie über Berlin. Группа авторов

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an einen jüdischen Leserkreis wandten. Zwar gelingt es ihr damit, die subjektive Befindlichkeit dieser (nicht aller!) Juden herauszuarbeiten. Aber die Klärung einer Einzelfrage wirft weitere Fragen auf: Wie verhielt sich die konservative, wie die liberale Presse? Welchen Einfluss übte die Presse überhaupt auf die Gesamtstimmung aus?

      Dirk Walters Werk Antisemitische Kriminalität und Gewalt. Judenfeindschaft in der Weimarer Republik aus dem Jahr 1999 konzentriert sich auf die Darstellung von Gewalt.4 Selbst die Arbeiten von Wolfgang Benz5 machen Winklers Darstellung nicht überflüssig.

      Winklers Ansatz erinnert an die Lasswell-Formel: WER sagt WAS in welchem KANAL (Medium) zu WEM (mit welcher ABSICHT und) mit welcher WIRKUNG?6 Mancher publizistisch-politische Text und manches Forschungsvorhaben gerieten besser, wenn sie die erweiterte Lasswell-Formel benutzten. Ferner beantwortet Winkler die Frage, welchen Einfluss das Auf und Ab der Konjunktur auf den latenten und den offenen Judenhass ausübte. Schließlich geht der Professor für Neueste Geschichte der Frage nach, welche Rolle der Antisemitismus beim Aufstieg der Nationalsozialisten spielte.

      Winkler ist seit 2007 emeritiert; aber seiner Produktivität tut das keinen Abbruch. So ist sein vierbändiges Werk Geschichte des Westens7 erst nach seiner Emeritierung erschienen – quasi als Fortsetzung seines Bestsellers Der lange Weg nach Westen.8 Daher war es konsequent, dass der Deutsche Bundestag ihn am 8. Mai 2015 einlud, zum Gedenken aus Anlass des Endes des Zweiten Weltkriegs vor (damals) 70 Jahren die Festrede zu halten.

      Bei aller wissenschaftlichen Gründlichkeit bleibt Winkler auch für den interessierten Laien verständlich. Das gilt auch für sein jüngstes Buch Wie wir wurden, was wir sind. Eine kurze Geschichte der Deutschen, erschienen im August 2020 bei C.H. Beck in München.

      Zum besseren Verständnis der Weimarer Zeit empfiehlt Winkler die Lektüre der Tagebücher Victor Klemperers aus den Jahren 1918 bis 1932 Leben sammeln, nicht fragen, wozu und warum?9 Ähnlich erhellend ist Gabriele Tergits Familiengeschichte Effingers.10 Siehe dazu die Literaturübersicht am Ende unseres Buches.

       Kurt Reumann

      Die sozialhistorische Forschung des Antisemitismus in der Weimarer Republik steckt noch in den Anfängen. Die einschlägigen Studien informieren uns zwar zuverlässig über antisemitische Organisationen und Aktionen, auch über die Reaktionen ihrer Gegner. Aber einige wichtige Probleme sind bisher nicht ausreichend geklärt worden. Dieser Beitrag wendet sich einigen dieser Fragen zu:

      1. Was waren die auslösenden Momente der antisemitischen Agitation?

      2. Wie verbreitet war der Antisemitismus in der damaligen deutschen Gesellschaft?

      3. Welche Rolle spielte der Antisemitismus beim Aufstieg des Nationalsozialismus?

      Es versteht sich von selbst, dass die Antworten auf diese Fragen beim gegenwärtigen Forschungsstand nur vorläufig sind und bruchstückhaft sein können.

       Was waren die auslösenden Momente der antisemitischen Agitation?

      Zunächst also die Frage nach den auslösenden Momenten der antisemitischen Agitation. Für das deutsche Kaiserreich lässt sich die These erhärten, dass die parteilich organisierten Judenfeinde Hochkonjunktur hatten, wenn die wirtschaftliche Konjunktur sich in einer Abschwungphase befand – und umgekehrt. Prüfen wir, ob diese Faustregel auch für die Weimarer Republik gilt. Die Jahre 1918 bis 1923, in denen wir ein starkes Anschwellen antisemitischer Aktivitäten beobachten, stellten keine Depressionsphase dar. Vielmehr erlebte Deutschland, anders als die übrigen Industrieländer, von 1920 bis zum Sommer 1922 sogar einen inflationsbedingten Boom, und nur im Jahr 1923 könnte man einen Zusammenhang von Rezession und Antisemitismus konstruieren. Aber diese Aussagen müssen sogleich wieder eingeschränkt werden. Eine typische Hochkonjunkturphase bildeten die Jahre 1920 bis 1922 gewiss nicht; dazu waren die wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen von 1919, an denen der Produktionszuwachs gemessen wird, zu niedrig, und überdies fehlte dieser von politischen und sozialen Krisen erschütterten Zeit auch psychologisch alles, was ansonsten zu einem Boom gehört. Auf der anderen Seite hatte der Produktionsrückgang von 1923 nicht bloß ›normale‹ wirtschaftliche, sondern vorrangig politische Ursachen, obenan den ›passiven Widerstand‹, mit dem Deutschland auf die französisch-belgische Ruhrbesetzung antwortete. Der Frage, ob nach 1918 weltweit eine langfristige Abschwungphase (mit dem Tiefpunkt nach 1929 und dem Ende erst um 1950) einsetzte, können wir an dieser Stelle nicht nachgehen. Die gewohnten Begriffe und Periodisierungen der Konjunkturtheoretiker werden der deutschen Nachkriegszeit von 1918 bis 1923 jedenfalls kaum gerecht.

      In den Jahren relativer Stabilität von 1924 bis 1928 traten die engagierten Antisemiten sehr viel weniger hervor als im turbulenten ersten Jahrfünft der Republik. Es liegt also nahe, die rückläufige Erfolgskurve der Judenfeinde der wirtschaftlichen Beruhigung zuzuschreiben. Erst recht scheint auf den ersten Blick die These von der Konjunkturabhängigkeit des Antisemitismus wieder in Kraft gesetzt, wenn wir die Jahre 1929 bis 1932 betrachten. Der Vormarsch der radikal antisemitischen NSDAP folgte der schweren wirtschaftlichen Depression auf dem Fuße, und auf die ersten Anzeichen einer gewissen konjunkturellen Erholung reagierten über zwei Millionen Wähler im November 1932 damit, dass sie der Partei Hitlers wieder den Rücken kehrten.

      Lassen wir vorerst dahingestellt, inwieweit die Entwicklung des Antisemitismus seit 1924 wirklich nur aus dem Auf und Ab der Konjunktur abzuleiten ist. Für die Frühzeit der Republik müssen wir die Aussagekraft der rein konjunkturellen Erklärung gering veranschlagen. Die auslösenden Momente der antisemitischen Kampagne in jenen Jahren waren ganz überwiegend politischer Natur. Was ein völkisches Blatt aus Bromberg, die Ostdeutsche Rundschau, am 25. Juni 1919 schrieb, war durchaus typisch für das antisemitische Argumentationsmuster: »Die Juden haben unseren Siegeslauf gehemmt und uns um die Früchte unseres Sieges betrogen. Die Juden haben die Axt an die Throne gelegt und die monarchische Verfassung in Stücke geschlagen. Die Juden haben die innere Front und dadurch auch die äußere zermürbt. Die Juden haben unseren Mittelstand vernichtet, den Wucher wie eine Pest verbreitet, die Städte gegen das Land, den Arbeiter gegen den Staat und (das) Vaterland aufgehetzt. Die Juden haben uns die Revolution gebracht, und wenn wir jetzt nach dem verlorenen Kriege auch noch den Frieden verlieren, so hat auch Juda sein gerüttelt Maß von Schuld. Darum, deutsches Volk, vor allem das Eine – befreie Dich von der Judenherrschaft.«11

      In der ›Gründerkrise‹ nach 1873, der ersten Welle des ›modernen‹ gegen die emanzipierten Juden gerichteten Antisemitismus (in dem freilich, was man nicht übersehen sollte, der uralte Hass auf die jüdischen ›Gottesmörder‹ untergründig wirksam blieb), war den Juden die Schuld an einer schweren wirtschaftlichen Erschütterung aufgebürdet worden. Nach dem November 1918 waren die Juden die geborenen Sündenböcke für die militärische Niederlage Deutschlands und ihre Folgen. Im alldeutschen Lager war diese Funktion der Juden noch während des Krieges vorgeplant worden. Im Oktober 1918 forderte der Vorsitzende des Alldeutschen Verbandes, Heinrich Claß, getreu seinen schon 1914 verkündeten Maximen, die Aktivisten der Organisation auf, »die Lage zu Fanfaren gegen das Judentum und die Juden als Blitzableiter für alles Unrecht zu benutzen.«12

      Die manipulative Absicht, die die Alldeutschen mit ihren Parolen verfolgten, hätte gar nicht deutlicher gemacht werden können. Aber schienen nicht einige Tatsachen die Agitatoren der extremen Rechten zu bestätigen? Sie behaupteten, die Kriegs- und Inflationsgewinnler seien hauptsächlich Juden; Juden hätten die Revolution herbeigeführt und den größten Nutzen von ihr gehabt; die Ostjuden, die unaufhörlich nach Deutschland einströmten, seien Sendboten des jüdischen Bolschewismus und überdies dabei, das deutsche Volkstum zu überfremden. In der Tat war es nicht schwer, Juden zu nennen, die im Krieg oder in der unmittelbaren Nachkriegszeit zu Geld und Einfluss gelangt waren; unter den Führern des Spartakusbundes und

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