Nirgends scheint der Mond so hell wie über Berlin. Группа авторов

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kurz, ein allgemeines Gefühl von Unsicherheit und Umbruch, die Suche nach Sündenböcken hervor. Die Juden waren für diese Rolle besonders geeignet, weil sie als privilegierte Minderheit galten. Ostjuden wiederum dienten dem Antisemitismus als ideale Zielscheibe, weil sie in ihrer Fremdartigkeit dem negativen Klischeebild vom Juden viel mehr entsprachen als die assimilierten deutschen Juden. Das Konkurrenzmotiv blieb in den ersten Jahren der Republik meist verdeckt, aber wir werden noch Sachverhalte zu erörtern haben, die dafürsprechen, dass es vor wie nach 1918 eine wichtige Antriebskraft der Judenfeindschaft bildete.

       Wie verbreitet war der Antisemitismus in der damaligen deutschen Gesellschaft?

      Von der antijüdischen Agitation unbeeindruckt blieb im Großen und Ganzen auch nach 1918 die sozialistische Arbeiterschaft. Dass für die Proletarier nicht der jüdische Kapitalist, sondern der Kapitalist schlechthin der Gegner war, das war nicht nur ein immer wiederholter marxistischer Lehrsatz, es entsprach auch ganz der alltäglichen Erfahrung der meisten Arbeiter. Die Linksparteien griffen den Antisemitismus als eine Ideologie an, die die Massen vom Kampf für den Sozialismus ablenken sollte. Die Sozialdemokraten suchten beharrlich die Glaubwürdigkeit der Nationalsozialisten zu erschüttern, indem sie ihren antijüdischen Behauptungen Punkt für Punkt entgegentraten. In der Endphase der Weimarer Republik arbeitete die SPD eng mit jüdischen Organisationen – darunter auch der größten und repräsentativsten, dem Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens – zusammen, die auf die antisemitische Hetze mit einem Aufklärungsfeldzug antworteten.

      Die KPD knüpfte mitunter – etwa 1923 – bewusst an die antisemitischen Vorurteile der von ihr umworbenen Anhänger Hitlers an und forderte sie auf, zwar auch, aber nicht nur gegen das jüdische Kapital zu kämpfen. Am Antisemitismus interessierte die Arbeiterparteien ebenso wie die Intellektuellen der deutschen Linken primär die Funktion, die er für den Kapitalismus hatte. Von der Funktion, die der Antisemitismus für die Antisemiten hatten, war seltener die Rede. Da der Nationalsozialismus als eine Spielart des Faschismus begriffen wurde (was er sicherlich auch war), maß man ihn am italienischen Vorbild. Von daher lag es nahe, den Stellenwert des Antisemitismus zu unterschätzen. Das Schicksal, das die deutschen und europäischen Juden nach 1933 treffen sollte, lag jenseits der Vorstellungskraft der deutschen Linken.

      Wenden wir uns nun kurz einer Gruppe zu, die vor 1933 ebenfalls nicht oder nur in engen Grenzen von den Nationalsozialisten erobert werden konnte: den Katholiken. Ihre Parteien, das Zentrum und die Bayerische Volkspartei, nahmen den Juden und den Judenfeinden gegenüber eine zwiespältige Haltung ein. Einerseits machten sie Front gegen antisemitische Ausschreitungen und Rassenhetze, andererseits pflegten sie eine Art kulturellen Antisemitismus. Diese doppelte Gegnerschaft entsprach ganz der damaligen kirchlichen Sicht. Statt vieler Belege aus dem katholischen Lager zitiere ich nur einen. Im Großen Herder heißt es 1926 – also in einer vergleichsweise ruhigen Phase der Weimarer Republik – unter dem einschlägigen Stichwort, der Antisemitismus sei »in seinem Wesen eine Abneigung der Mehrheit gegen die als artfremd empfundene, z. T. sich selbst abschließende, aber ungewöhnlich einflussreiche Minderheit, welche hohe, namentlich geistige Werte, aber auch übersteigertes Selbstbewusstsein aufweist«. Die abschließende Wertung lautet: »Der Antisemitismus ist vom christlichen Standpunkt aus abzulehnen, wenn (sic!) er die Juden um ihrer Blutsfremdheit willen bekämpft oder sich im Kampf unchristlicher Mittel bedient. Die katholische Kirche hat darum von jeher den Antisemitismus als solchen verworfen. Es gibt übrigens auch Juden, die in edler Weise zur Selbstkritik aufrufen und den Antisemitismus am wirksamsten dadurch zu überwinden suchen, dass sie keinen Anlass zu judenfeindlicher Haltung geben.«13

      Die Ambivalenz, mit der das katholische Deutschland dem Judentum begegnete, wird auch durch einen Vorgang auf höchster politischer Ebene illustriert. Der Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens versuchte 1931 wiederholt, den Reichskanzler Brüning zu einer Verurteilung der wachsenden antisemitischen Hetze zu bewegen. Brüning ist diesem dringenden Wunsch niemals nachgekommen – vermutlich auch deswegen nicht, weil er die Nationalsozialisten für eine Unterstützung seiner Politik, ja nach Möglichkeit als Koalitionspartner des Zentrums gewinnen und daher nicht vor den Kopf stoßen wollte. Brüning hat damit in der ›Judenfrage‹ sehr viel mehr taktiert als Reichspräsident Hindenburg, der sich im November 1932 beim Reichsbund jüdischer Frontsoldaten schriftlich bedankte, als dieser ihm, um nationalsozialistischen Verleumdungen entgegenzutreten, ein Gedenkbuch mit den Namen jüdischer Kriegsgefallener überreichen ließ.

      Die evangelischen Kirchenleitungen schwiegen zum Antisemitismus auch noch, als die Nationalsozialisten bereits die stärkste Partei waren. Diese Haltung konnte offiziell mit der parteipolitischen Neutralität der Kirche begründet werden. Der tiefere Grund war ein anderer: Viele, zumal lutherische Kirchenführer hatten gegen einen gemäßigten Antisemitismus gar nichts einzuwenden. Politisch konservativ, sympathisierten sie meist mit der Deutschnationalen Volkspartei, der Erbin der konservativen Parteien des Kaiserreiches, die sich in ihrem Programm und ihrer Wahlpropaganda ganz offen zum Antisemitismus bekannte.

      Die Judenfeindschaft der DNVP war ähnlich instrumentell wie jene, die der von großagrarischen Interessen dominierte Bund der Landwirte im Kaiserreich gepflegt hatte: Mithilfe antisemitischer Parolen sollten städtische und ländliche Mittelschichten vor den Wagen der konservativen Machtelite gespannt werden. Antisemitismus war, so gesehen, ein Stück dessen, was Hans Rosenberg die »Pseudodemokratisierung der Rittergutsbesitzerklasse« genannt hat.14 Mit den Großagrariern an einem Strang zog der äußerste rechte Flügel der Schwerindustrie, der in der DNVP ebenfalls stark vertreten war. Die Förderung, die der führende deutschnationale Politiker Alfred Hugenberg, bis 1925 Vorsitzender des Bergbaulichen Vereins und des Zechenverbandes, dem radikal antisemitischen Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund angedeihen ließ, entsprang einem ähnlichen taktischen Kalkül wie Thyssens und Kirdorfs frühe Unterstützung für die NSDAP: Um die Massen nach rechts zu ziehen, war Antisemitismus ein willkommenes Mittel.

      Typisch für die Großindustrie war diese taktische Linie jedoch nicht. Das Gros hielt, bis 1932 jedenfalls, das Spiel mit dem Antisemitismus für zu riskant, weil es Kräfte freizusetzen drohte, die sich eines Tages auch gegen die bürgerliche Ordnung wenden konnten. Die klassische Unternehmerpartei der Weimarer Republik, Stresemanns Deutsche Volkspartei, hielt sich von offen antisemitischen Parolen in der Regel fern. Auf der anderen Seite wandte sie sich auch nicht gegen die grassierende Judenfeindschaft. Die DVP wollte es sich weder mit den deutschen Juden noch mit den Judenhassern verderben und ignorierte daher den Antisemitismus tunlichst – eine Haltung, die auch die ihr nahestehende Presse, darunter die Freiburger Zeitung, die Vorläuferin der heutigen Badischen Zeitung, an den Tag legte. Die linksliberale DDP, von einem kleineren Teil des Unternehmerlagers und vom jüdischen Bürgertum unterstützt, verteidigte als einzige bürgerliche Partei konsequent die staatsbürgerlichen Rechte der deutschen Juden. Freilich wurde sie seit 1930 immer mehr zur ›quantité négligeable‹. Bei den beiden Reichstagswahlen von 1932 erhielt sie jeweils nur noch ein Prozent der Stimmen. Jüngere Juden, die bislang die DDP (oder die Deutsche Staatspartei, wie sie sich seit 1930 nannte) gewählt hatten, gaben nun vorzugsweise der SPD die Stimme; ältere, vor allem gläubige Juden unterstützten eher das Zentrum.

      Aus welchen Schichten kam nun der harte Kern der Antisemiten? Unter den Mitgliedern des 1919 von den Alldeutschen gegründeten Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes – der größten antisemitischen Vereinigung, die bei ihrem Verbot 1922 180.000 Mitglieder zählte – finden wir Angestellte und Beamte, besonders Lehrer, gefolgt von Angehörigen des selbstständigen Mittelstandes wie Kaufleuten, Kleinunternehmern und Handwerkern. Im Bundesvorstand und in den Führerschaften der Ortsgruppen sind dieselben Gruppen vertreten, außerdem bemerkenswert viele freiberufliche Akademiker, darunter namentlich Ärzte und Rechtsanwälte.

      Angestellte und Angehörige des gewerblichen Mittelstandes in den Reihen einer antisemitischen Organisation zu finden, überrascht nicht. Kleine Gewerbetreibende und Kaufmannsgehilfen hatten neben den Bauern schon im späten 19. Jahrhundert die Massenbasis der judenfeindlichen Bewegung gebildet. Antisemitismus und Nationalismus halfen ihnen

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