Im wilden Balkan. David Urquhart
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GEGENSÄTZE
Europäer erhalten durch das Legen des Grundsteins die Erinnerung, Türken feiern die Errichtung des Daches.
Bei den Türken ist der Bart ein Zeichen der Würde, bei uns der Vernachlässigung.
Den Kopf zu rasieren ist bei ihnen allgemein üblich, bei uns hingegen Zeichen der Strafe.
Wir ziehen vor unserem Souverän die Handschuhe aus, sie bedecken ihre Hände mit den Ärmeln.
Wir treten in ein Zimmer mit entblößtem Haupt, sie mit entblößten Füßen.
Bei ihnen tragen die Männer den Nacken und die Arme entblößt, bei uns die Frauen.
Bei uns kleiden sich die Frauen in helle Farben, die Männer in dunkle; bei ihnen ist es in beiden Fällen umgekehrt.
Bei uns liebäugeln die Männer mit den Frauen, in der Türkei die Frauen mit den Männern.
Bei uns blickt die Dame schüchtern und verschämt, in der Türkei tut es der gebildete Mann.
In Europa kann eine Dame einen Herrn nicht besuchen, wohl aber in der Türkei. Dort kann der Herr eine Dame nicht besuchen, wohl aber in Europa.
Dort tragen die Damen immer Beinkleider und die Herren zuweilen Unterröcke.
Bei uns ist die rote Mütze das Zeichen der Frechheit, bei ihnen der Hut.
In unseren Zimmern ist die Decke weiß, und die Wände sind bemalt; bei ihnen sind die Wände weiß, und die Decke ist bemalt.
In der Türkei gibt es Abstufungen des gesellschaftlichen Ranges ohne Vorrechte, in England gibt es Vorrechte ohne entsprechende gesellschaftliche Unterscheidungen.
Bei uns überwiegen gesellschaftliche Formen und Etikette die häuslichen Bande, bei ihnen überwiegt die Etikette der Verwandtschaft die der Gesellschaft.
Bei uns wendet sich der Schullehrer an das Ansehen des Vaters; bei ihnen muss der Vater sich an die höhere Autorität und Verantwortlichkeit des Schullehrers wenden.
Bei uns wird ein Schüler dadurch bestraft, dass man ihn in die Kapelle schickt; bei ihnen wird ein Schüler durch Ausschließung von der Moschee bestraft.
Ihre Kinder betragen sich wie Männer, unsere Männer hingegen wie Kinder.
Bei uns fragen die Herrschaften den Dienstboten nach; in der Türkei die Dienstboten den Herrschaften.1
Wir halten das Tanzen für ein artiges Vergnügen, sie für eine unanständige Beschäftigung.
In der Türkei beschränkt die Religion die Auferlegung bürgerlicher Abgaben, in England legt die Regierung gerade wegen der Religion Steuern auf.
In England fordert die Staatsreligion Abgaben von den Sektierern, in der Türkei schützt die Staatsreligion das Eigentum der Sektierer vor staatlichen Abgaben.
Einen Engländer wird erstaunen, dass es der Türkei an dem fehlt, was er öffentliche Kredite nennt; der Türke erschrickt vor unserer Nationalschuld.
Der Engländer wird den Türken verachten, weil er keine Einrichtung hat, den Geldwechsel zu erleichtern; der Türke wird mit Bestürzung bemerken, dass es in England Gesetze gibt, welche den freien Handel verhindern.
Der Türke wird sich wundern, wie eine Regierung trotz unterschiedlicher Meinungen geführt werden kann; der Engländer wird nicht glauben, dass ohne Opposition Unabhängigkeit bestehen könne.
In der Türkei kann Unruhe entstehen ohne Unzufriedenheit, in England besteht Unzufriedenheit ohne Unruhe.
Ein Europäer wird die Justiz in der Türkei für mangelhaft halten; ein Türke wird in Europa die Grundsätze des Gesetzes für ungerecht halten.
Ein Europäer wird in der Türkei das Eigentum für nicht sicher vor dem gewaltsamen Zugriff halten, ein Türke das Eigentum in England für nicht sicher gegenüber dem Gesetz.
Der Erstere wird sich wundern, wie das Gesetz ohne Juristen gehandhabt werden könne; der Letztere wird sich wundern, wie man mit Juristen überhaupt Gerechtigkeit erhalten könne.
Der Erstere wird erschreckt werden über den Mangel einer Kontrollinstanz gegenüber der Zentralregierung; den Letzteren wird das Fehlen einer Kontrollinstanz gegenüber der lokalen Verwaltung bestürzen.
Wir können nicht begreifen, dass eine Unabänderlichkeit allgemeiner Staatsgrundsätze dem Wohlbefinden zuträglich wäre; die Türken können nicht begreifen, dass das Gute und Rechte der Abänderung fähig sei.
Der Engländer wird den Türken für unglücklich halten, weil er keine öffentlichen Vergnügungen hat; der Türke wird den für einen unglücklichen Menschen halten, der Vergnügungen außerhalb des Hauses bedarf.
Der Engländer wird den Türken für geschmacklos erachten, weil er keine Gemälde hat; der Türke wird den Engländer für gefühllos halten, weil er die Natur nicht achtet.
Dem Türken graut vor Liederlichkeit und unehelichen Kindern, dem Engländer vor Vielweiberei.
Den Ersteren wird unsere hochmütige Behandlung Untergebener anwidern, den Letzteren wird der Sklavenhandel empören.
Sie werden sich gegenseitig religiös-fanatisch schelten – moralisch-ausschweifend – unsauber in Kleidern – unglücklich in der Entwicklung ihrer Sympathien und ihren Geschmacks – politische Freiheit verschiedentlich entbehren – jeder wird den anderen für unpassend in guter Gesellschaft halten.
Der Europäer wird den Türken für prunkhaft und heimtückisch erklären, der Türke den Europäer für albern und gemein.
Man kann sich daher denken, wie interessant, freundschaftlich und übereinstimmend der Verkehr zwischen beiden sein muss. Der Beobachter, der in neutraler Stellung diese gegenseitigen Beschuldigungen hört, wird vielleicht daraus schließen, dass, wenn Menschen herb über ihre Mitmenschen aburteilen, sie von zehn Malen neun Mal Unrecht haben.
Es liegt viel Komisches, auch wirklich nicht weniger Ernsthaftes in den erhaltenen Eindrücken und den gezogenen Schlüssen, wenn Bewohner dieser verschiedenartigen Kreise des Daseins einander besuchen. Europäische Reisende sind in Europa nur mit der Gesellschaft in Berührung gekommen, die von ihren Zinsen lebt, und nun, im Orient, werden sie von dieser Gesellschaft ausgeschlossen und als Untergeordnete von oben herab angesehen; man lässt sie sich behelfen, so gut sie können, und Vergleiche anstellen. Asiaten der niederen Stände, die Europa besuchen, sind der Regel nach betroffen und empört von der Rohheit und Unanständigkeit, dem Schmutz und dem Hang zum Trinken und Spielen, die sie unter Leuten ihres Standes finden, und werden schmerzlich