Die Germanen. Ulrike Peters
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Zurück zu den ersten Quellen über die Germanen. Die Herkunft und die Bedeutung der Bezeichnung »Germanen« ist nicht geklärt. Poseidonios (135–51 v. Chr.) verwendet erstmals die Bezeichnung »Germanen« in seinen sogenannten Historien (um 80 v. Chr.) für die am Rhein lebenden und den Kelten verwandten Stämme. Auch Strabon (63 v. Chr. – 33 n. Chr.) betont die Verwandtschaft zwischen Germanen und Kelten. Aber erst Caesar machte die Bezeichnung populär und unterschied klar zwischen den Germanen als rechtsrheinische und den Kelten als linksrheinische Stämme. Überspitzt kann man sagen, dass Caesar es war, der die Germanen »erfand«. Denn Caesars Unterscheidung zwischen Germanen und Kelten ist so nicht korrekt, weil auf beiden Rheinseiten sowohl Germanen als auch Kelten lebten. Caesar verfolgte mit seiner Einteilung ein bestimmtes Ziel – nämlich die Eroberung Galliens, das links des Rheines lag.
Gaius Julius Caesar (100–44 v. Chr.) machte eine Karriere in römischen Staatsdiensten, wurde Prokonsul in Illyrien und Gallien. Während des Gallischen Krieges 58–51 v. Chr. gelang es ihm, das bis dahin freie Gallien zu erobern und zur römischen Provinz zu machen. Im Römischen Bürgerkrieg 49–45 setzte sich Caesar erfolgreich gegen seinen Konkurrenten Pompeius durch und wurde Diktator auf Lebenszeit. Als Caesar 44 einem Attentat seiner politischen Gegner zum Opfer fiel, führte sein Nachfolger und Neffe Gaius Octavius das Kaisertum in Rom ein und nannte sich Kaiser Augustus. Über den Gallischen Krieg, den Caesar führte, schrieb er einen Bericht: »Der Gallische Krieg« (Commentarii de Bello Gallico). Gerade Caesar gilt als Paradebeispiel für die tendenziöse Geschichtsschreibung, denn er schrieb den »Gallischen Krieg«, um seinen Feldzug nach Gallien politisch zu rechtfertigen und um damit finanzielle und berufliche Erfolge zu erlangen. (Vgl. Kap. Ariovist)
Eine andere Hauptquelle zu den Germanen ist neben Caesars »Der Gallische Krieg« die »Germania« von Tacitus. Publius Cornelius Tacitus (58–120) machte wie Caesar schon früh Karriere im römischen Staatsdienst. Er war Senator, unter anderem auch Militärtribun und Prokonsul in der Provinz Asia (heute Türkei). Aber unsterblichen Ruhm erwarb sich Tacitus als Historiker vor allem mit den Werken »Agricola«, »Historien«, »Germania« und den »Annalen«. »Agricola« ist eine Biografie seines Schwiegervaters, dem Konsul Gnaeus Julius Agricola, die wertvolle Informationen über Britannien zur Römerzeit enthält. In den nur zum Teil erhaltenen »Historien« stellte Tacitus die Geschichte des Römischen Reiches von Galba im Jahr 69 bis Domitian im Jahr 96 dar. In den nur zur Hälfte erhaltenen »Annalen« stellt er die Geschichte des Römischen Reiches von Augustus bis Nero im Jahr 68 dar. Die »Germania« (De origine et situ Germanorum liber) ist eine Beschreibung der Germanen, in der Tacitus auf die Geschichte, Kultur und Lebensweise und die einzelnen Stämme eingeht. Seine Quellen sind neben der eigenen Anschauung unter anderem Schriften aus staatlichen oder privaten Archiven, Augenzeugenberichte und historische Werke, vor allem die nicht mehr erhaltenen »Germanenkriege« von Plinius dem Älteren.
»Ohne Zorn und Eifer« (= sine ira et studio) oder »über niemanden mit Zuneigung und von jedem ohne Hass« (= neque amore quisquam et sine odio) sprechen – diese Sätze stellte Tacitus seinen Annalen bzw. den Historien voran, gemeint ist damit eher die abschließende Beurteilung der Sache als die Darstellung selbst. Es sind die Sätze eines exzellenten Rhetorikers und eines Schreibers von hoher stilistischer Qualität, dem es gelingt, die Personen und Ereignisse scheinbar objektiv darzustellen, aber dem Leser durchaus subtil seine Sicht der Dinge zu vermitteln. Vor allem mit der »Germania« verfolgte Tacitus das Ziel, die Dekadenz, den Sittenverfall der römischen Gesellschaft in der Kaiserzeit zu kritisieren und diese Kritik mit einer Darstellung der Germanen sozusagen als positives Gegenbild zu veranschaulichen: Bei seinem Vergleich zwischen Germanen und Römern schneiden die Germanen besser ab. Tacitus schreibt den Germanen die Tugenden zu, die er bei den Römern vermisst, und fordert sie damit indirekt zu einer Rückkehr zu diesen Tugenden auf. Aber Tacitus versuchte mit der »Germania« auch zu erklären, warum die Römer die Germanen nicht vollständig unterworfen hatten so wie die Gallier oder Britannier. Zudem muss man generell bei den antiken Schriften, auch wenn sie sich als »Historie« ausgeben, immer berücksichtigen, dass es sich nicht um objektiv-wissenschaftliche Beschreibungen handelt. Neben Klischees betonen die antiken Autoren gerne das Ungewöhnliche, Fremde und Exotische.
Hatten die Werke Tacitus’ in der Antike keine große Breitenwirkung und wurden sie im Mittelalter sogar vergessen, feierten die »Germania« und die »Annalen« seit der Wiederentdeckung im Humanismus bis zur Gegenwart eine Renaissance von nicht zu unterschätzendem Ausmaß. Bis heute, vor allem aber im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, übernahm man in selektiver, auswählender Weise die Verherrlichung der starken, reinrassigen, freiheitsliebenden und treuen Germanen von Tacitus, die von ihm erwähnten negativen Eigenschaften der Germanen ignorierte man. Die von Tacitus beschriebenen Germanen und ihre Geschichte wurden dabei als erste Phase der Geschichte der modernen Deutschen gesehen und mit ihnen fälschlicherweise gleichgesetzt. »Rein von fremder Vermischung (…) lebt in den Ländern jenseits des Rheins ein Volk mit trotzigen blauen Augen, hochgelben Haaren, von starkem Körperbau und riesenhaftem Wuchs, abgehärtet gegen Kälte und Hunger, nicht gegen Durst und Hitze, von kriegerischem Geist, bieder, treu, freundlich (…).« Dieses Zitat stammt nicht etwa von Tacitus, sondern aus dem Brockhaus von 1834 und belegt, wie verbreitet das Germanenbild des Tacitus in der deutschen Öffentlichkeit war. Überspitzt kann man sagen, das Germanenbild der Deutschen war das von Tacitus.
Bei Tacitus heißt es: »Die Germanen selbst sind (…) in keiner Weise durch Zuzug oder Gastfreundschaft mit anderen Völkern vermischt worden (…)« (Tacitus, Germania 2) Weiter glaubt Tacitus, dass die Germanen »ein eigenes und reines und nur sich selbst ähnliches Volk darstellen. Daher ist auch die Körpergestalt trotz der großen Zahl von Menschen bei allen dieselbe: grimmige blaue Augen, rotblonde Haare, große Körper, die jedoch nur zum Angriff geeignet sind. Für Mühe und Anstrengung besitzen sie nicht dieselbe Geduld, am wenigsten ertragen sie Durst und Hitze, an Kälte und Hunger dagegen haben sie sich durch das Klima und die Bodenbeschaffenheit gewöhnt.« (Tacitus, Germania 4)
Das Germanenbild des Tacitus diente den Deutschen zunächst politisch – vor allem in Abgrenzung zu den Franzosen – zur Entwicklung einer nationalen Identität. Diese »germanische« Identität wurde später durch rassenkundliche und sozialdarwinistische Theorien in pseudowissenschaftlicher Weise untermauert. Bei den Nationalsozialisten genoss Tacitus so große Verehrung, dass sie ihn zum Arier erklärten. Die »Germania« des Tacitus stand so hoch im Kurs, dass die Nationalsozialisten die älteste Abschrift von diesem Werk, den Codex Aesinas, von Italien nach Berlin holen wollten. Als Mussolini seine Zusage, den Codex an die Deutschen zu übergeben, nicht einhielt, befahl der SS-Führer Heinrich Himmler einer SS-Gruppe, in den Palazzo der Familie Balleani einzudringen und den Codex nach Berlin zu bringen. Allerdings erfolglos, denn die Balleanis konnten den Codex rechtzeitig woanders verstecken.
Außer Caesar und Tacitus sind als weitere antike Autoren, in deren Werken sich Informationen über die Germanen finden, unter anderem Appian (Römische Geschichte), Strabon (Geographie), Plinius der Ältere (Germanische Kriege, verloren gegangen) oder Ammianus Marcellinus (Res Gestae) zu erwähnen.
Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über Geschichte und Kultur der Germanen gegeben, der den Schwerpunkt auf die römische Zeit legt. Zu weiteren Informationen siehe auch die Exkurse, die einigen Kapiteln vorausgehen (Goten, Arianismus, Franken, Sachsen und Sachsenkriege, Wikinger).