Frankfurter Wegsehenswürdigkeiten. Группа авторов
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Aber gegenüber! Gegenüber, das neue Wohnen! Für den gehobenen Bedarf!
Das noch immer neue Wohnen sieht nach wenigen Jahren schon ziemlich alt aus. Die verwendeten Farben, die ich schon beim Erstanstrich als Elefantengrau in mehreren Stadien von Leukämie empfunden hatte, sind nicht heiterer geworden. Falsche Palmen und zerrüttete Binsenmatten erwecken nicht den Eindruck hochklassigen Wohnens, der hier erwünscht war – von Beginn an gab es in diesem Konstrukt urbanen Lebens (Höfe! Verdichtung! Passiv!) einen sichtbaren Zug zur Verkommenheit. Die stammheimhaften Betonabgrenzungsmauern und die Tiefgaragenschluchten tun das ihre. Es sieht nicht beschützt aus, sondern bedrohlich.
Nur die Bäume, die Bäume und die Grünstreifen, sie trösten und wollen eine Allee werden. Die Hansaallee. Irgendwann wird die Architektur hinter ihnen verschwinden.
Wenn sie die Bäume dann nicht abhacken.
Aber vielleicht werden ja dann auch schon wieder die Häuser abgerissen, das geht in unserer Stadt ganz schnell.
Meine alte Schule ist auch ganz neu, jedenfalls von außen.
Ein Schloß für Barbie
Von Dieter Bartetzko
Schauplatz Frankfurt-City. Ein totenstiller Innenhof, den blind starrende Fensterreihen umgeben. Von draußen sind das blecherne Krachen und nervtötende Rollen des Leerens von Müllcontainern zu hören. Dazu das Tuckern von Transportern, das Scheppern und Ächzen von Hebebühnen, die durchdringenden Rufe von Müllmännern und Möbelpackern, die ärgerlichen Kommentare von Autofahrern, die sich aufgehalten fühlen.
Ein Morgen in der Großen Eschenheimer Straße zwischen Hauptwache und Eschenheimer Turm. In besagtem Innenhof macht die Geräuschkulisse des Großstadterwachens die Einsamkeit noch lastender. Hier könnte ein ehrgeiziger junger Filmregisseur die depressive Hauptfigur seines ersten Spielfilms über Selbstmord oder Amok grübeln lassen.
Wie aufs Stichwort erscheint ein Kellner und wischt nachlässig über ein Dutzend leerer Caféhaustische. Sie spiegeln sich im metallisch grauschimmernden Sicherheitsglas von Rundbogentüren, die an beiden Längsseiten des Hofs in umlaufende Arkaden aus Rotsandstein eingelassen sind. Wo die Scheiben nicht reflektieren, schaut man in kahle Räume. Nur auf Höhe der Tische annonciert die Espressobar gute Laune, Lifestyle, Events und dergleichen.
Ihre Leuchtreklamen stechen ordinär von der barocken stummen Eleganz ab, die sich an der Stirn- und Rückseite des Hofs darbietet. Zur Straße hin sind monumentale korinthische Säulen gereiht, darüber eine Balusterbalustrade, die zu beiden Seiten auf zweigeschossige Pavillons mit hohen Sprossenfenstern und pompösen Mansarddächern trifft. Auf der gegenübergelegenen Schmalseite zieht ein leicht vortretender Mittelpavillon mit säulenverziertem Eingangstor den Blick auf sich. Über dem Portal erhebt sich ein stattliches Rundbogenfenster, gerahmt von korinthischen Pilastern und überfangen von einem mächtigen Dreiecksgiebel.
Zwei aufgerichtete steinerne Löwen präsentieren dort mit gefletschten Zähnen ein Wappen. Es ist das der Fürstenfamilie Thurn und Taxis. Nach ihr heißt das beschriebene Palais, in dessen verwaistem Hof eine Espressobar seit Monaten das einzige ist, was von den hochfliegenden Hotel- und Luxusboutiquenvisionen eines Investors übrigblieb.
Deshalb – oder auch nur, weil die beiden Tropaia beiderseits des Giebels nicht wie Sandstein anmuten, sondern wie aus Styropor geschnitzt, und man den Mansardenfenstern so deutlich ansieht, daß sie dem technoid-nachhaltigen Bauen unserer Tage angehören – müßte korrekterweise vom einstigen Thurn-und-Taxis-Palais gesprochen werden. Und das hat eine imponierende Geschichte: 1739 als höfische Dreiflügelanlage entstanden, nach seinen fürstlichen Erbauern benannt, war es Frankfurts Bürgern zunächst als Adelssitz, dann als reaktionäres, vom preußischen Gesandten Bismarcks dominiertes „Bundespalais“ ein Dorn im Auge, ehe es 1895 zum Postamt verschandelt, ab 1908 als Museum für Völkerkunde glänzend restauriert und 1951 wegen angeblich unheilbarer Bombenschäden gesprengt wurde.
Was heute an der Großen Eschenheimer Straße im Schatten des Kaufhof-Kolosses und zweier kapriziös geknickter neuer Hochhäuser steht, ist also eine Kopie – und zwar eine schlechte. Wer den Innenhof genau betrachtet, merkt, daß seine Proportionen sonderbar gestaucht und unharmonisch sind. Der Grund: Um genügend Baufläche für die beiden Türme und die Supermall MyZeil zu gewinnen, wurden die Achsen des Ensembles verkürzt – kaum merklich bei den einzelnen Abschnitten, verheerend für den Gesamteindruck.
Letzterer wird an der Rückseite des Bauwerks tragikomisch und obszön zugleich. Wie die Primaballerina eines klassischen Balletts, die sich einem hingerissenen Publikum zu präsentieren meint, realiter aber fast mit der Nasenspitze auf den geschlossenen Eisernen Vorhang trifft, wölbt sich die kopierte halbrunde Gartenfront des Palais dem Hinterausgang von MyZeil entgegen, die ihre in Rauten zerteilte dunkle Glaswand wie ein Bulldozer mit verspiegelter Frontscheibe auf das Fake-Palais zuschiebt.
Kaum ein Shopping-Enthusiast gönnt dieser auferstandenen Gartenfront ohne Garten, die zudem aus Platzgründen um fünf Fensterachsen verschmälert wurde, einen Blick – warum auch, wird sie doch, wie das gesamte Palais, von der baulichen Umgebung zur Schaufensterdekoration und Event-Attrappe degradiert. Wer dennoch die drei geschwungenen Rotsandsteinstufen zum Rundbau hinaufsteigt, schaut durch die Sprossenfenster in einen kaltweißen, leeren Rundsaal. Das Original stammte, wie das gesamte Palais, von Robert de Cotte, dem Hofbaumeister des französischen Königs Ludwig XV. Es wies ursprünglich herrliche weiße und jadegrüne Stuckaturen auf. Noch prächtiger war der darüber gelegene Festsaal mit Säulen, Statuen des Bildhauers Paul Egell, einer umlaufenden Empore und einer vom berühmten Maler Luca Antonio Colomba ausgemalten Kuppel.
Der Festsaal würde, so versprach 2005 der Investor des gesamten Quartiers, vollständig rekonstruiert – als eine Attraktion des seinerzeit im Palais geplanten Luxushotels und als ein Geschenk an Frankfurts Bevölkerung. Damit machten der Magistrat und die Bauherren das Projekt den Bürgern schmackhaft; notgedrungen – denn es hatte merklichen Unwillen gegeben, als bekannt wurde, daß für das neue Palais-Quartier (MyZeil, die beiden Hochhäuser, das nachgebaute Palais sowie einen weiteren Büro- und Geschäftskomplex) der Fernmeldeturm von 1952 plus dem Paketamt, das im selben Jahr auf den Fundamenten des gesprengten Thurn-und-Taxis-Palais unter Einbezug der geretteten Torpavillons gebaut worden war, sowie das bis zur Zeil reichende Hauptpostamt von 1956 und das Verlagshaus der Frankfurter Rundschau abgerissen werden sollten.
Das Verlagshaus schätzten selbst Laien als hinreißendes Denkmal der Nierentischära, das mit seiner gläsernen Treppenhausspindel das berühmte Berliner Mossehaus zitierte. Der bei seiner Einweihung umstrittene Fernmeldeturm – zu seinen Gunsten hatte man, obwohl der Wiederaufbau beschlossene Sache war, die standfeste Ruine des Palais abgerissen – war längst zum Wahrzeichen geworden. Und das Paketpostamt, dessen Empfangshalle die Frankfurter Allgemeine Zeitung 1952 als „repräsentativste in der gesamten Bundesrepublik“ gelobt und mit den Räumen von Mies van der Rohes Barcelona-Pavillon verglichen hatte, ästimierten Architekturliebhaber zunehmend als einzigartiges Schloß der Wiederaufbaumoderne; einige Jahre noch, und das Ensemble wäre von der Allgemeinheit als das Juwel erkannt worden, das es war.
Vorbei. Im Jahr 2009 wurden MyZeil und das nachgebaute Palais eröffnet. Palais? Dank seiner verstümmelten Proportionen