Die Taube auf der Moschee. Marmaduke William Pickthall
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Ein Amtsschreiber wurde hereingeführt. Er schrieb einen Beleg für mich und das von Rashîd benötigte Entlassungspapier. Hasan Agha stempelte beide Dokumente mit einem staatlichen Siegel und überreichte sie mir im Austausch für das Geld.
»Bismillah!«, rief er. »Ich bezeuge hiermit, dass Rashîd, der Sohn Alis, genannt der Schöne, von nun an frei ist und gehen kann, wohin er will.«
Zu mir sagte er: »Rashîd ist ein guter Junge und wird Euch nützlich sein. Sein größter Fehler ist, dass er beim Befolgen von Befehlen gerne nachdenkt und eine eigene Methode ersinnt, die nicht immer gut ist. Auch verfällt er leicht den Reizen der Frauen, ein Makel, der ihn schon oft in seltsame Situationen gebracht hat.«
Die letzte Bemerkung wurde mit lautem Gelächter quittiert und bezog sich offenbar auf einen mir unbekannten altbewährten Scherz. Rashîd wirkte ziemlich verlegen. Hasan Agha wandte sich an ihn und sprach: »Mein Sohn, preise Allah für dein großes Glück, dass ein so edler und gütiger Mensch wie unser geliebter Gast, der von nun an dein Herr ist, Gefallen an dir gefunden hat. Denk daran, dass er anders ist als ich … der einst wie du war und die Tricks kennt. Diene ihm freimütig mit deinem Verstand und deiner Seele und deinem Gewissen, warte nicht auf Befehle wie in der Armee. Möge Gott dich jetzt und immerdar begleiten! Vergiss nicht all die guten Lehren deiner Soldatenzeit. Sei gewiss, dass wir für deinen guten Herrn und für dich beten.«
Der Alte bekam feuchte Augen, ebenso Rashîd und alle ringsum hockenden Soldaten.
Der entlassene Rashîd ging fort, um seine Uniform gegen einen alten Anzug von mir zu tauschen, den ich ihm mitgebracht hatte, während Hasan Agha, der wie ein Vater über ihn sprach, mir seine Charakterzüge und seine kleinen Fehler erläuterte.
Schließlich verabschiedete ich mich. Rashîd wartete in meinen abgetragenen Kleidern, auf dem Kopf ein neuer Fez, wie ihn Zivilisten tragen. Er hielt meinen Steigbügel und sprang dann auf ein klappriges Vieh, das, so erklärte er mir, seine Freunde für ihn »geliehen« hatten. Später meinte er, es könne von Vorteil sein, es für ihn zu kaufen – für nur acht türkische Pfund, ein Spottpreis. Die ganze Garnison begleitete uns zu den letzten Häusern, wo sie lange stehenblieben und uns zum Abschied nachwinkten. Zwei Stunden später, auf dem Bergkamm hinter dem Wadi, drehten wir uns um und warfen einen letzten Blick auf Karameyn. Es stand in den Flammen des Sonnenuntergangs wie ein Schloss in den Wolken.
Dann kehrten wir zurück zur Herberge alafranga. Doch Rashîd, der die Geschichte meiner schlaflosen Nacht gehört hatte, ließ nicht zu, dass ich dort einkehrte. Ich beglich meine Schulden bei dem Besitzer, und dann fand Rashîd für mich ein leeres Haus, in das er eine Matratze und eine Decke brachte, jede Menge Kissen, eine Kohlenpfanne, das nötige Zubehör, um Kaffee zu kochen, dazu ein Tablett mit Abendessen – alles geborgt von den umliegenden Häusern. Vielleicht würde er mich ausplündern, ins Elend stürzen und schließlich ermorden, wie meine Freunde mich gewarnt hatten. Doch würde ich es dabei zumindest bequem haben.
Die Nashornpeitsche
»Wo ist die Peitsche?«, rief Rashîd plötzlich im Tor des Khan, den wir gerade erreicht hatten, und drehte sich zu mir um.
»Barmherziger Allah! Ich hab sie nicht bei mir. Ich muss sie in der Kutsche liegengelassen haben.«
Rashîd ließ die Satteltaschen fallen, die er getragen hatte, unser übliches Gepäck, und rannte um sein Leben. Die Kutsche war die schmale, zum Teil mit Sonnensegeln überdachte Straße zur Hälfte hinuntergefahren. Bei Rashîds wildem Schrei, »Warte, o mein Onkel! Wir haben unsere Peitsche vergessen!«, warf der Kutscher einen Blick zurück, doch anstatt anzuhalten, trieb er seine Pferde zum Galopp an. Rashîd lief noch schneller. Die Kutsche verschwand rasch und war bald nicht mehr zu sehen. Die Dämmerung brach an. Über den niedrigen, flachen Dächern im Westen hing der Sichelmond im Grün des Sonnenuntergangs hinter den Minaretten der großen Moschee. Da hob ich die Satteltaschen auf und bahnte mir vorsichtig meinen Weg zwischen schlafenden Kamelen und angebundenen Mauleseln und Pferden zum Hof des Khan, der eine Art Kloster war. Ich verhandelte mit dem Gastwirt, als Rashîd, der ein Bild der Verzweiflung bot, zurückkehrte. Er streckte seine Hände in die Luft, gestand sein Versagen ein und sank dann stöhnend zu Boden. Der Wirt, ein stämmiger Mann, fragte, was ihm Kummer bereite. Ich sagte es ihm, und er äußerte gerechte Urteile über Kutscher und die Vergänglichkeit weltlicher Güter. Wie ich sehen könne, sei Rashîd zi’lân – ein Opfer jener sonderbaren Mischung aus wahnsinniger Wut, Kummer und Verzweiflung, welche unter den Kindern der Araber eine regelrechte Krankheit darstellt. Ein englischer Diener hätte sich nicht so sehr um einen kleinen Gegenstand aus dem Besitz seines Herrn geschert, der nicht seinetwegen, sondern aufgrund der Nachlässigkeit seines Herrn verloren gegangen ist. Doch mein Besitz war Rashîds ganzes Glück, seine Ehre fußte darauf. Er prahlte damit vor jedermann. Besonders verehrte er mein Gewehr, meinen Dienstrevolver und diese Peitsche – ein harter Riemen aus Nashornleder mit einem ziemlich hübschen Silbergriff –, die mir ein betagter Araber als Dank für irgendeine eingebildete Gunst geschenkt hatte. Sie hatte sich als nützlich erwiesen, um Straßenköter zu vertreiben, wenn sie in Rudeln herbeiliefen, um dem Pferd in die Beine zu beißen, doch bevor Rashîd zu mir stieß, hatte ich sie nie als Ehrenabzeichen betrachtet. Für ihn war sie das Wertvollste unserer Besitztümer, ein Kennzeichen unseres höheren Rangs. Er drückte sie mir sogar in die Hand, wenn ich spazierenging, und als wir am selben Tag zu Mittag von unserem Haus in den Bergen aufgebrochen waren, hatte er sie ehrerbietig auf den Sitz neben mir gelegt, bevor er neben dem Kutscher auf den Bock geklettert war. Und nun war die Peitsche wegen meiner Nachlässigkeit verloren. Rashîds Niedergeschlagenheit beschämte mich fürchterlich.
»Allah! Allah!«, stöhnte er. »Was kann ich tun? Wir haben den Kutscher nur zufällig getroffen. Ich kenne sein Haus nicht, das Gott zerstören soll!«
Der Wirt bemerkte beschwichtigend, Fleisch sei Gras, alle Schätze vergänglich, und es sei die Pflicht eines Mannes, seine Wünsche auf höhere Dinge zu richten. Bei diesen Worten sprang Rashîd auf, als hätte er die Geduld verloren, und rannte fort, flitzte mit fast übernatürlicher Behendigkeit zwischen den Tieren im Hof hindurch. »Lasst ihn seine Wut allein abkühlen!«, riet mir der Wirt mit einem Schulterzucken.
Nachdem ich das Essen für die dritte Stunde des Abends bestellt hatte, ging ich ebenfalls hinaus, um meine Glieder zu strecken, die nach vier Stunden Rüttelei einer ungefederten Kutsche, die immer kurz vor dem Umkippen stand, steif und geschunden waren. Es wäre uns besser ergangen, wären wir wie üblich geritten, doch als Rashîd zufällig auf die Kutsche gestoßen war, eine Seltenheit, hatte er beschlossen, diese Art des Reisens sei vornehmer. Allerdings hatte er nicht bedacht, dass es keine Straße gab.
Der Himmel war voller Sterne. In den wenigen noch geöffneten Läden hingen Laternen, warfen Streifen gelben Lichts auf den unebenen Fußweg und ließen die Augen der Wanderer und streunenden Hunde schimmern. Viele Leute auf der Straße trugen ebenfalls Laternen, deren Schaukeln Dinge in ihrem Umkreis scheinbar hochspringen und fallen ließen. Schließlich erreichte ich einen offenen Platz, wo dichtes Gedränge herrschte – einen rechteckigen Platz, den man als Stadtzentrum bezeichnen könnte.
Verblüfft stellte ich fest, dass die Menschen stehenblieben und alle Gesichter in eine Richtung schauten. Ich hörte die Stimme eines Mannes laut klagen und wild rufen.
»Was ist los?«, fragte ich am Rand der Versammlung.
»Ein