Die Suche hat ein Ende. Mario Walz
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Ich bedanke mich für das Honorar und schreite zu meinem Volvo. Sie schaut mir nachdenklich hinterher, wie ich rückwärts aus dem Hof fahre. Ich bin gespannt, wie es ihr nun weiterhin ergehen wird.
Auf dem Weg zurück nach Hause lasse ich mir alles noch einmal durch den Kopf gehen. Dabei bemerke ich, dass ich mal wieder etwas mitgenommen habe. Obwohl ich mich sicher fühle und unangreifbar bin, kleben sich gerne mal irgendwelche Fremdenergien an mich. Ich konzentriere mich und dehne mich wieder über mein Auto hinaus aus. Ich spüre den Gummi auf dem rauen Asphalt, Details meines Wagens und die vorbeiziehende Landschaft. Ich öffne meinen Nackenbereich und der Rest der mitgenommenen Energien fließt in die Natur hinaus: mein Kopf ist wieder frei.
Als wir damals den Versuch starteten, war uns nicht klar, wie sehr die Menschen sich aus dem allumfassenden Feld lösen würden. Ja, es gab auch vorher schon Energieraub und wie auch immer geartete Kriege, aber in der irdischen Dichte sind Gewalt und Krieg mehr als extrem und exzessiv. Durch die Körperlichkeit ist hier alles viel schlimmer als je zuvor. Und ohne die innere Verbindung zum höchsten Licht, taumeln viele Menschen von einer grauenvollen Erfahrung in die nächste. Wenn wir uns nicht im Schleier des Vergessens verirrt hätten, wenn wir den Überblick und die Liebe in unseren Herzen behalten hätten, wäre es dann anders gekommen? Aber das Spiel, Macht über Andere auszuüben, wird es wohl solange geben, bis wir alle wieder da sind, wo wir angefangen haben. Bescheuert.
Ein Geräusch lässt mich auffahren. Es dauert einen Augenblick bis sich die Grenze zwischen Traum und vermeintlicher Realität einstellt und mir klar wird, wo genau ich bin. Was ist los? Ob eines der Kinder wach war und weinte? Nein. Es ist alles ruhig. So ruhig, dass ich das Fließen des Blutes in meinen Ohren wahrnehme. Es stellen sich weitere Geräusche ein: ein Rauschen – wahrscheinlich die alte Pumpe der Heizungsanlage. Ein Summen – klar der Kühlschrank. Und weitere, aber undefinierbare Geräuschfetzen schweben durch die Nacht. Vielleicht die Katzen, aber kein Geräusch aus den Kinderzimmern.
Ein Blick in mein Zimmer zeigt nur die verfremdeten Silhouetten der Möbel, die vom Mondlicht beschienen ihr Eigenleben bekommen. Fremde Gestalten in fremden Welten, starr vor Schreck, weil ich aufgewacht bin und sie nun mit meinem suchenden Blick banne. Wer hat hier wohl mehr Angst? Die rot glühenden Augen der mittlerweile unvermeidlichen, elektronischen Geräte hab ich mit Fotos zugedeckt. Es würde mich doch irritieren, wenn ich schlafe und dabei aus gespenstischen LED–Augen beobachtet werden würde.
Immer noch grübelnd, was mich wohl aus dem Schlaf gerissen hat, versuche ich den gesponnenen Faden des letzten Traums aufzunehmen und mich wieder in die Geschichte einzuweben. Ob es mir gelingt, kann ich nicht sagen, denn ich bin sogleich in der Tiefe des Schlafes verschwunden.
6:33
Das ansonsten fröhlich in den Morgen krähende Vogelgezwitscher meines Handys ertönt nun grell und erschreckend laut. Bevor ich wach bin, hab ich die Stimmen schon abrupt kaltgestellt. Es ist verdammt früh. Heute bin ich dran, die Kinder zu wecken und in die Schule zu bringen. Jetzt, wo es schon einigermaßen hell ist, macht es mir nicht mehr so viel aus, so früh aufzustehen. Auch wenn ich die nächste halbe Stunde noch nicht voll da bin. Aber im Winter bei Dunkelheit aufzustehen fällt mir unglaublich schwer. Es ist mir ein Rätsel, warum Kinder derart früh aufstehen müssen, um zur Schule zu gehen. Hat man nicht vor Kurzem festgestellt, dass es für alle Beteiligten besser wäre, wenn die Schule erst um neun Uhr begänne?
Für mich auf jeden Fall. Wie schön wäre es, an helllichtem Tag gemeinsam mit den Kindern gemütlich am Frühstückstisch den Tag zu beginnen. Aber in einer Gesellschaft, deren Dasein von Arbeit, Karrierewahn und Angst vor dem Ungewissen bestimmt ist, gibt es wohl kein Platz für Müßiggang.
Ich stelle mich in meine Hosen, zieh das Tshirtpulloverkonglomerat über mich und begebe mich in die Kinderzimmer. Das frühe Aufstehen scheint den Kurzen wenigstens nichts auszumachen, aber die gehen ja auch schon um acht ins Bett. Während ich das Obst für das Frühstück zurechtschneide, den Tee koche und die Brote für die Schule schmiere, ziehen sich die Drei an und regeln ihre kleinen Aufgaben: Tisch decken, Wasser holen, Katzenklo säubern.
Nach dem Frühstück sitze ich da, starre mit halbwachem Blick in den sich über den Horizont ergießenden Tag und warte, bis der Zeitpunkt des Aufbruchs naht. Da wir derart weit draußen wohnen, müssen die Kinder morgens zum Bus gebracht werden, der sie dann zur Schule bringt. Der Weg zur Bushaltestelle ist zu weit um diesen zu Fuß zu erreichen, weswegen wir abwechselnd fahren. Irgendwann findet sich vielleicht das passende Haus, das alle Erfordernisse erfüllt und die Kinder zu Fuß zum Bus oder in die Schule gehen können. Im Augenblick jedoch ist noch tägliches Fahren angesagt.
Ich freue mich jedes Mal, wenn der Winter des Nachts hereinbricht und die Straßen unpassierbar sind. Telefonketten informieren uns dann, dass die Schule ausfällt, weil die Busse nicht aus der Garage kommen. Dann lege ich mich wieder ins Bett und der Tag wird recht gemütlich. Ich finde Schule nicht so wichtig. Hauptsache, die Kinder haben den Raum, sich selbst zu entfalten und bekommen genügend Anregung, sich weiterzuentwickeln. Das gängige Schulsystem ist definitiv veraltet und geht an den tatsächlichen Bedürfnissen der Kinder meilenweit vorbei: Mit fünf Jahren in die Schule und Lernenlernenlernen, benotet und beurteilt zu werden und von Anfang an irgendeinem Stress ausgesetzt sein. Nein danke, das Leben soll doch Spaß machen. Gut, dass es alternative Schulmodelle gibt.
Meine Kinder lieben es, in die Schule zu gehen. Wenn ich da an die anderen denke, die schon im ersten Schuljahr die Schnauze voll haben, voller Stress und von Angstattacken gepeinigt, den Ernst des Lebens beginnen. Grauenvoll. Und wie soll das denn weitergehen?
Ich sitze an der Bushaltestelle im Auto, frierend. Das Glas beschlägt von innen, es ist noch zu kalt morgens. Mit dem Handschuh reibe ich das Fenster klar, damit der Blick auf die Kids an der Bushaltestelle frei wird. Ich beobachte, wie ein Kleinwagen heranfährt. Ein Kind steigt aus, ein Blick zurück ins Auto und es mutig stapft in Richtung Haltestelle. Bevor es auch nur einen Meter entfernt ist, verschwindet das Fahrzeug wieder im morgendlichen Verkehrschaos.
Da läuft das siebenjährige Mädchen ganz allein, mit sich selbst Mut machenden Schritten zu einer Haltestelle im Nirgendwo. Warum lässt man ein noch so junges Kind allein an der Haltestelle stehen? Nicht dass ich overprotecting wäre, aber was, wenn der Bus mal nicht kommt – was schon mal passieren kann? Wenn ich mir vorstelle: Als Kind allein an der vielbefahrenen Landstraße, der erwartete Bus kommt nicht, kein Ansprechpartner weit und breit ... ich käme mir sehr verlassen vor.
Und das ist genau eines der Dinge, die wir unseren Kindern nie antun würden: Ihnen das Gefühl zu geben, dass sie verlassen wären, allein. Da sind die paar Jahre gut angelegt und das Urvertrauen nie gebrochen. Welch ein Geschenk für ein Wesen, das sich in einer dichten Welt voller Hektik und Reglements zurechtfinden muss.
Ein weiteres Auto hält. Die Mutter, genauso groß wie ihr Auto hoch, klettert vom Sitz herunter und schiebt den sich ebenfalls herausschälenden Sohn an die Kreuzung. Zwei Blicke, ein Schubs und der kleine Junge hüpftspringtrennt über die Straße. Die Mutter hektikt sich wieder in das Auto und lässt das verunsicherte Wesen allein zurück. Auch sie reiht sich in das Heer computergesteuerter Fahrzeuge ein. Ein Auto pro Person. Alle in die gleiche Richtung, um die gleiche Uhrzeit, zu den gleichen Orten, an den gleichen Tagen, in gleichen Leben. Bis sie krank werden und vor Auszahlung der Rente sterben. Der Bus kommt. Die Kinder steigen ein.
Ich starte meinen Wagen, drücke den Knopf für die Musik und fahre nach Hause. Mein Tag beginnt.
Ist