Games | Game Design | Game Studies. Gundolf S. Freyermuth
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Nicht minder ungeklärt ist der Gebrauch des Terminus Game Design. Eine wesentliche Ursache dafür ist der Umstand, dass es zu einer gänzlichen Kodifizierung der arbeitsteiligen Rollen, wie sie in Theater, Film und Fernsehen existieren, in der Herstellung von Games noch nicht gekommen ist. Game Design wird daher doppeldeutig verwendet: als Bezeichnung für den gesamten Produktionsprozess im Sinne von Spieleentwicklung, oft aber auch als Bezeichnung für das spezifische Arbeitsfeld der Spielekonzeption neben anderen Gebieten, etwa der Game Arts oder der Informatik.2
Der Titel dieser Einführung verwendet den Begriff deutlich im ersten, dem synekdochischen Sinne: Es geht um digitale Spiele, ihre Produktion und ihre Analyse. Ein zentraler Aspekt dieser Herstellung ist freilich Game Design im engeren zweiten Sinne. Von ihm wird auch wesentlich im Kapitel II Game Design die Rede sein.
SPIELE(N) – GAMES
In seinem »Manifesto for a Ludic Century« stellt der Game Designer und Game-Design-Theoretiker Eric Zimmerman die These auf, zwischen den fundamentalen Eigenschaften digitaler Technologie und den fundamentalen Eigenschaften analoger wie digitaler Spiele bestehe eine strukturelle Affinität: »Games like Chess, Go, and Parcheesi are much like digital computers, machines for creating and storing numerical states. In this sense, computers didn't create games; games created computers.«3 Darüber hinaus befördere digitale Vernetzung die Etablierung immer komplexerer Informationssysteme. Für eine solchermaßen von Systemen geprägte digitale Kultur seien Spiele daher das ideale, weil ebenfalls systemische Medium:
»[G]ames are dynamic systems […] While every poem or every song is certainly a system, games are dynamic systems in a much more literal sense. From Poker to Pac-Man to Warcraft, games are machines of inputs and outputs that are inhabited, manipulated, and explored.«4
Film und Fernsehen, die Leitmedien des 20. Jahrhunderts, schreibt Zimmerman, entsprachen in der Linearität ihrer passiv zu rezipierenden Audiovisionen den Informations- und Unterhaltungsbedürfnissen industrieller Arbeit und Kultur. Mit der Digitalisierung sei es jedoch zu einer kategorialen Wandlung gekommen: »In the last few decades, information has taken a playful turn. […] When information is put at play, game-like experiences replace linear media.«5 Games würden daher zum wichtigsten Medium des 21., des ludischen Jahrhunderts: »Increasingly, the ways that people spend their leisure time and consume art, design, and entertainment will be games – or experiences very much like games.«6
Verstehen lässt sich Zimmermans »ludisches Manifest« als konzise Darstellung von Perspektiven und Ansichten, die in der Gegenwartskultur kursieren. Denn in der Tat vollzieht sich vor unseren Augen ein nachhaltiger medialer Umbruch, der insbesondere die audiovisuellen Ausdrucks- und Darstellungsformen betrifft. Deren Wandel resultiert – und wie schon zweimal zuvor in der Neuzeit – aus technologischem Fortschritt:
Die Mechanisierung brachte zwischen Renaissance und Aufklärung das Illusionstheater und am Ende die moderne Guckkastenbühne hervor, auf- und ausgerüstet mit den jeweils modernsten technischen Mitteln. Beispielsweise kamen Apparaturen und Verfahren, die im Schiffsbau entwickelt wurden, um schwerere Gegenstände schnell zu bewegen, binnen kurzem im Theater zum Transport von Kulissen wie Schauspielern zum Einsatz. Dank seiner mechanischen Mittel, Raum und Zeit zu manipulieren, wurden das Illusionstheater – die Bretter, die die Welt bedeuteten7 – und seine vorrangige Form, das Drama, zur genuinen audiovisuellen Erzählform der vorindustriellen Epoche.
Mit dem nächsten technologischen Schub, dem industriellen, entstanden zwischen Aufklärung und Postmoderne erst die Fotografie, dann das auf ihr technisch basierende Kino und schließlich das Fernsehen. Mittels gespeicherter, montierter und zum Laufen gebrachter Bilder und Töne ließen sich Raum und Zeit wie nie zuvor manipulieren und damit audiovisuell gänzlich andere Geschichten erzählen. Diese kategoriale Leistungssteigerung gegenüber dem Theater – das Potential zu einer sukzessiven Episierung audiovisueller Darstellung – verdankten Kino und Fernsehen fortgeschrittenen industriellen Aufzeichnungs-, Speicherungs-, Bearbeitungs-, Distributions- und Übertragungstechniken. Im Medium linearer Audiovisualität formten sich denn auch mit dem Spielfilm und der Fernsehserie die genuinen und dominierenden Erzählformen industrieller Kultur. Seit dem frühen 20. Jahrhunderts prägten so erst der stumme, dann der tönende Film und schließlich das Fernsehen die audiovisuelle Konstruktion von Realität und deren Wahrnehmung.
Vor diesem medienhistorischen Hintergrund kann es nicht überraschen, dass sich auch mit dem aktuellen technologischen Schub, der Digitalisierung, unmittelbare mediale und ästhetische Konsequenzen verbinden. Digitale Software erlaubt, Texte wie Töne, stehende wie laufende Bilder zu generieren und aufzuzeichnen, zu speichern und zu bearbeiten, zu distribuieren und interaktiv zu nutzen. Dabei unterscheidet sich Software als Produktionsmittel und Speichermedium durch zwei einzigartige Eigenschaften von allen analogen Medien. Zum einen ist Software transmedial. In ihr unifiziert sich die analoge Vielfalt spezifischer Medien und Werkzeuge – Papier und Schreibmaschine, Zelluloid, Kamera und Schneideraum, Vinyl, Magnetband, Mikrofon und Mischpult etc. – im Universalmedium gespeicherter Bits und der Softwareprogramme, mit denen sie sich bearbeiten lassen. Zum zweiten verfügt das digitale Transmedium über eine ›Flüssigkeit‹, die in Verbindung mit Feedback-Systemen weitgehend den Zeitpfeil aufhebt, der analoge Medialität charakterisiert.8 In dieser Qualität liegt die prinzipielle Interaktivität des Transmediums Software beschlossen.
Ästhetisch realisiert wird dieses Potential zu Transmedialität und Fluidität vor allem in digitalen Spielen. Einst gestaltete der Film die Erfahrungen industrieller Kultur und übte zugleich in sie ein – nicht zuletzt in die industrielle Arbeitswelt hierarchischer und linearer Prozesse. Kaum anders drücken sich heute in Games die Erfahrungen digitaler Kultur aus und kaum anders üben sie nun in eine postindustrielle Arbeitswelt ein, die von Wissensarbeit, d.h. vernetzter Manipulation digitaler Symbole geprägt wird. An die Stelle der Maschine als dominierender Metapher industrieller Kultur tritt das Spiel als Metapher digitaler Kultur.9 Die Gesellschaft, meinte Niklas Luhmann, schaffe sich Medien zur Selbstbeobachtung.10 Games sind das jüngste Mittel – Medium – solcher Realitätskonstruktion und damit Weltwahrnehmung und Selbsterkenntnis. Besser als lineare Audiovisionen erlauben sie, wie Noah Wardrop-Fruin schreibt, »to understand our evolving society, in which (often hidden) software models structure much of how we live now.«11
Im interaktiven Spiegel digitaler Spiele erfahren wir uns und suchen zu verstehen, was lebensweltlich im Begriff ist zu entstehen – eine digitale Gesellschaft und Kultur, die von den Gesellschaften und der industriellen Kultur des 19. und 20. Jahrhunderts so verschieden sein dürfte, wie es diese einst von denen der vorindustriellen Epoche waren.
Der erste Teil dieser Einführung (I Games) beschreibt, wie digitale Spiele aus ihren audiovisuell wie narrativ beschränkten Anfängen um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts zu dem gleichermaßen narrativen wie hyperrealistischen Medium wurden, das heute mit Film und Fernsehen zu konkurrieren vermag. Den Ausgangspunkt bildet eine Analyse der vielfältigen Versuche, analoge wie digitale