Games | Game Design | Game Studies. Gundolf S. Freyermuth
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Das Entstehen neuer Disziplinen ist nun per se nichts Außerordentliches. Seit die Wissenschaften im Zuge der Industrialisierung arbeitsteilig wurden, seit sie sich sozusagen taylorisierten, führten konstante Prozesse der Ausdifferenzierung zu Hunderten neuer Arbeitsfelder und Disziplinen. Vergleichsweise selten allerdings konnten Disziplinen begründet werden, die zu ihrem Gegenstand ein kulturelles Leitmedium hatten, ein Medium also, welches das Bewusstsein der Mehrheit der Menschen prägt, beeinflusst, verändert – ihre Sicht auf die Welt, ihr Verständnis vom Leben, ihre Identität.
Den Anfang in diesem modernen Prozess der Etablierung neuer Disziplinen, die sich mit Leitmedien auseinandersetzen, machte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die akademische Analyse und Reflexion von Sprache und Literatur. Vor allem im deutschen Sprachraum sollte Literarisches seit der Aufklärung stiften, was anders sich nicht herstellen wollte: kulturelle Identität und politische Einigung. Folgerichtig zerfiel die Literatur, die während des 19. und frühen 20. Jahrhunderts mehr als jedes andere Medium das Bewusstsein der Zeitgenossen in den fortgeschrittenen Regionen prägte, bei allem kulturellen Austausch deutlich in nationale Einheiten, die Nationalliteraturen. Nicht anders entstanden die Literaturwissenschaften – nicht nur die Germanistik, sie aber in besonderem Maße – als nationale Wissenschaften, operierend im Kontext nationaler Selbstvergewisserungen und auch der Nationalismen.45
Im zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts – rund 60 Jahre, nachdem der Siegeszug des (Spiel-) Films begonnen hatte – organisierte und institutionalisierte sich dann die akademische Beschäftigung mit dem neuen audiovisuellen Leitmedium, das wie keine andere Kunst die industrielle Mentalität künstlerisch ausdrückte und beförderte.46 Nicht nur die Filmproduktion musste dabei – schon aus ökonomischen Gründen – über nationale Grenzen hinaus denken und handeln.47 Auch die Filmwissenschaft entfaltete sich, der übernationalen Prägung, Distribution und Rezeption ihres Gegenstands entsprechend, überwiegend jenseits allzu enger nationaler Separierungen und Spezialisierungen.
Seit der Jahrhundertwende und wiederum mehrere Dekaden nach dem sozialen und künstlerischen Aufstieg des neuen Mediums digitaler Spiele formieren sich nun auch die Game Studies.48 Als audiovisuelle Darstellungs- und Erzählform werden digitale Spiele nicht mehr national und auch nicht mehr nur international, das heißt innerhalb größerer Kulturräume, sondern global produziert, distribuiert und genutzt. In der digitalen Kultur prägen sie über alle Grenzen hinaus – also transnational – die Welt- und Selbstwahrnehmung. Als jüngste der Disziplinen, die sich mit einzelnen Medien und Künsten beschäftigen, stehen die Game Studies freilich erst an ihren bescheidenen, auch geographisch isolierten Anfängen und haben diese Globalisierung in ihrer inhaltlichen Ausrichtung wie in ihrer institutionellen Organisation erst noch nachzuvollziehen.49
Ihren Status quo kennzeichnet allerdings nicht nur das geringe Maß der institutionellen Etablierung, sondern gleichermaßen eine extreme inhaltliche Diversität. Praxisorientierte Game-Design-Theorien, formuliert seit den frühen achtziger Jahren, stehen gegen sozial- oder geisteswissenschaftlich orientierte Ansätze, deren Ursprünge auf die neunziger Jahre datieren: eine bunte Mischung von Theorien älterer Disziplinen, u.a. der Bildungsforschung, Medienpädagogik, Psychologie, Designtheorie, Sport-, Sozial-, Literatur-, Kunst und Medienwissenschaften. Positiv kann diese Vielfalt als scheinbar naturwüchsige Interdisziplinarität wahrgenommen werden, negativ als ein Mangel an theoretischer Kohärenz und damit an einer Disziplinarität, wie sie als gemeinsame Plattform allererst die Voraussetzung für interdisziplinäres Forschen herzustellen hätte.
Was etwa Mark Butler vor einigen Jahren konstatierte: »Die bisherigen Arbeiten über Computerspiele leiden größtenteils an zu engen Fachhorizonten«, stimmt weitgehend noch: »Die Computerspiele fallen in die Zuständigkeitsbereiche einer Vielzahl von Disziplinen, die entweder gar nichts mit ihnen zu tun haben wollen oder sie für sich zu vereinnahmen suchen.«50 Butlers institutionelle Perspektive – in welchen Disziplinen sind die Wissenschaftler verortet, die sich mit digitalen Spielen beschäftigen –, korreliert Frans Mäyräs inhaltlich orientierter Blick: dass »scholars [...] bring with them the methodologies typical for their original disciplines«.51 Ebenso stellen Simon Egenfeldt-Nielsen, Jonas Heide Smith und Susana Pajares Tosca fest:
»[G]ame researchers are an eclectic bunch with a multidisciplinary background. Humanist scholars with film or literature backgrounds constitute the largest single group, but game research conferences are also attended by social scientists (mostly sociologists) and, very importantly, game designers. [...] Most researchers, at least at present, choose to adopt methods and approaches from their primary fields. Ethnographers tend to observe players. Those trained in film studies tend to analyze the games themselves and communication scholars tend to analyze interactions between players.«52
Daraus ergibt sich einerseits die Notwendigkeit, einen common ground der Game Studies zu definieren: den Gegenstand und die Grenzen der Disziplin, ihre spezifischen Ansätze und Methoden. Andererseits stellt sich aber auch die Frage, inwieweit in einer Zeit transmedialer Medientechnologie und auch transmedialer Medienproduktion reine Einzelwissenschaften von den Medien – insbesondere von den audiovisuellen Medien Film, Fernsehen, Webvideo, Games – die transmediale Entwicklung und Einbettung ihrer jeweiligen Medien noch angemessen begreifen können oder ob es dafür nicht auch, parallel zu den Einzelwissenschaften, einer allgemeinen und vergleichenden Medienwissenschaft bedarf.
Teil III Game Studies stellt die Entwicklung und die zentralen Positionen der verschiedenen Ansätze in der theoretischen und – mehr oder weniger – akademischen Beschäftigung mit digitalen Spielen dar. Den Ausgangspunkt bilden philosophische und einzelwissenschaftliche Untersuchungen zu analogen Spielen, von Gottfried Wilhelm Leibniz über Johan Huizinga bis zu Marshall McLuhan (III-1 Von den Theorien analoger zu den Theorien digitaler Spiele). Dieser Vorgeschichte der Game Studies schließt sich eine Skizze der drei großen Forschungsrichtungen an: Game-Design-Theorie, sozial- und geisteswissenschaftliche Ansätze (III-2 Die Schismen der Game Studies). Die Beobachtung und Beschreibung von deren Mit- und häufiger noch Nebeneinander führt zu der Einsicht in die Notwendigkeit, die existierenden Schismen der Game Studies in eine Auseinandersetzung zu überführen, die nicht länger mit importierten Ansätzen operiert, sondern in der direkten Analyse digitaler Spiele eigene Methoden und Erkenntnis entwickelt (III-3 Desiderat: Die Überwindung der Schismen). Ausblickend werden Forschungsperspektiven entworfen, die einer solchen Entwicklung der Game Studies dienlich sein könnten (III-4 Forschungsperspektiven 1: Digitale Spiele; III-5 Forschungsperspektiven 2: Serious Games).
Wesentlich für eine solche erfolgreiche Adaptation der Game Studies an ihren Gegenstand wäre nicht zuletzt die Anstrengung, jene Kluft gar nicht erst entstehen zu lassen, die in den älteren Medien die künstlerische Praxis von der wissenschaftlichen Analyse trennt. Der Epilog reflektiert daher, wie Game Design und Game Studies in der künstlerisch-wissenschaftlichen Ausbildung und Forschung in jedem Sinne zu vermitteln