Der Televisionär. Группа авторов
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»Keine andere Arbeit hat ihm so viel Spaß gemacht wie diese. Es war fast wieder wie in den Tagen seines Zeitungsjournalismus. Bis wenige Stunden vor der Live-Sendung wurde geändert, aktualisiert, man konnte unmittelbar auf politische Ereignisse reagieren.«30
Anders jedoch als die isolierten Sketche und Nummern eines Kabaretts oder auch journalistische Beiträge bot Menges Serie zum einen über das Genre der Sitcom eine kohärente Narration, zum anderen über das Moment der liveness simulierte Einblicke in den wie immer stilisierten Alltag einer bundesdeutschen Familie:
»Die Sitcom ist eine Versuchsanordnung, bei der der Fernsehapparat in einen Raum hineinschauen lässt, der ein mehr oder weniger genaues Spiegelbild des Raumes ist, in dem wir uns gerade befinden. In einem Wohnzimmer mit dem Fernsehen als vierte Wand sitzend, schauen wir genau in ein solches Wohnzimmer hinein, dessen vordere Wand entfernt wurde und in dem die Kamera den Ort des Fernsehgeräts einnimmt.«31
Damit antizipierte Ein Herz und eine Seele die fotorealistisch-panoptische Beobachtung von Menschen in familiär-intimen Verhältnissen, wie sie in Deutschland erst in den neunziger Jahren und unter den Bedingungen des Privatfernsehens als Doku-Soap, Reality-Show oder Biovision populär werden sollten. Zeitgenössisch erwies sich diese einzigartige Kombination von Zeitbezug, Satire und Charakterzeichnung als ein geradezu explosives Erfolgsrezept.
Die erste Folge, billig und ohne übermäßige Erfolgs-Erwartungen produziert, strahlte der WDR im Januar 1973 aus – in seinem dritten Programm. Schon nach wenigen Wochen wurde die Serie »zu einem Politikum, weil sie als Fernsehunterhaltungsserie im Abendprogramm tagespolitische Themen mit satirischer Schärfe aufgriff.«32 Wichtiger noch: Menges Sitcom war auf Anhieb so beliebt, dass sie wichtigen Sendungen des Ersten und Zweiten Programms ihre Zuschauer abspenstig machte. In der Folge löste Ein Herz und eine Seele »das wohl heftigste und ausdauerndste Presse-Echo in der Fernsehgeschichte der Bundesrepublik« aus.33 Ende 1973 wurde die Sitcom vom Dritten ins Erste Programm befördert und statt in Schwarzweiß nun in Farbe produziert. Kurz darauf schaffte es der Serien-Held Alfred Tetzlaff, apostrophiert als »Ekel Alfred«, gar auf das Cover des damals in der Bundesrepublik ungemein einflussreichen Nachrichtenmagazins Der Spiegel, während Autor Menge im Heft selbst als Alfreds geheimes Alter Ego porträtiert wurde:
»[...] Menge lässt Tetzlaff Sachen sagen, die er selber sich nicht zu sagen getraut, die er eigentlich nicht mal denken dürfte. Bewusst ist ihm das denn auch nicht. Er kann nicht finden, dass er eine Menge Menge in den Tetzlaff hineinprojiziere. Und selbst seine Frau meint, es sei wohl eher umgekehrt: dass nämlich Wolfgang Menge dem Alfred Tetzlaff immer ähnlicher werde.«34
Ebenfalls im Frühjahr 1974 erklärte im an- und vielgesehenen ZDF-Kulturmagazin Aspekte der zuständige WDR-Redakteur Peter Märthesheimer:
»Wir wollten zunächst einmal, was heute sehr oft vergessen wird merkwürdigerweise, eine Unterhaltungssendung machen. Eine billige einfache Unterhaltungssendung, die viele Leute sich ansehen. Und wir haben auch überlegt, dass es vielleicht mal sinnvoll wäre, eine Unterhaltungssendung mit bestimmten aufklärerischen Elementen zu versehen und zu probieren, wie Aufklärung auf diese Weise vielleicht auch funktionieren kann.«35
Zumindest der vereinfachenden autobiographischen Zuordnung widersprach Menge über die Jahre hinweg unermüdlich:
»[Alfred Tetzlaff] war ja nie ein lebender, normaler Mensch: Das war eine Kunstfigur, die aus den Defiziten von mehreren Menschen zusammengesetzt war. [...] Ich muss auch sagen, dass das alles am Anfang insbesondere bei ›Ekel Alfred‹ schon recht wild war: Da habe ich ja sogar Morddrohungen bekommen und wurde ungeheuer beschimpft. Aber nach zehn Jahren bekam das plötzlich einen Glanz, den es früher so nicht gehabt hatte.«36
Die mit nur zwei Staffeln und 25 Folgen vergleichsweise kurzlebige Serie wurde Menges dauerhaftester und auch finanziell lukrativster Fernseherfolg. Über vier Jahrzehnte hinweg lief Ein Herz und eine Seele nahezu ohne Unterbrechung in den verschiedenen Kanälen der ARD – und Menges Verträge sahen, wie in den siebziger Jahren üblich, Wiederholungshonorare vor. Einzelne Folgen wie »Silvesterpunsch« oder »Rosenmontagszug« erreichten zudem besonderen Kultstatus. Sie wurden und werden zu den einschlägigen Terminen rituell wiederholt.
In den folgenden zwei Jahrzehnten – zwischen Ende der siebziger und Ende der neunziger Jahre – sollte Wolfgang Menge zwar noch mehrere Serien konzipieren und für verschiedene Sender schreiben; darunter Zimmer frei – Uno Nähe37, Liebe ist doof38 und Unternehmen Köpenick39. Sie wurden jedoch durchweg konventionell – d.h. als Konserven – produziert und erzielten keinen außergewöhnlichen Erfolg. Beachtlicher waren zwei Versuche, Ein Herz und eine Seele unter gewandelten Verhältnissen fortzuführen. Den ersten Anlauf dazu unternahm Wolfgang Menge 1989, indem er die bewährte Personenkonstellation in eine germanische Vergangenheit projizierte, in der sich die Realitäten der Bonner Republik deutlich erkennen ließen. Der titelgebende Held der Serie hieß Baldur Blauzahn und war
»ein frauen- und fremdenfeindlicher Patriarch von Wotans Gnaden, ein selbsternanntes Genie und ungeschickter Erfinder von Neuerungen, die in der zivilisierteren Welt längst selbstverständlich sind. Darüber hinaus ist er feige und verlogen, geil und korrupt, rüde, vorurteilsbeladen und nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht. Ein germanischer Mann wie du und ich und wahrscheinlich der Urahne von Ekel Alfred, dessen bundesdeutsches Alltags- und Eheleben Menge in den siebziger Jahren gestaltete.«40
Als Baldur Blauzahn41 schließlich im Frühjahr 1990 gesendet wurde, war jedoch die Welt der Bonner Republik, auf die Menges Satire zielte, mit dem Mauerfall bereits und gewissermaßen über Nacht untergegangen. Dafür allerdings stürzte die unverhoffte Wiedervereinigung – wie Menge es 20 Jahre zuvor in der Dubrow-Krise imaginiert hatte – das neue Gesamtdeutschland in eine Identitätskrise. Sie fiel allemal so stark aus wie jene zu ›Ekel Alfreds‹-Zeiten, als sich die Adenauerrepublik sozialliberal auflöste. Mit Motzki42 und vor allem dem Titelhelden, dem Westberliner Ex-Fahrlehrer und Frührentner Friedhelm Motzki, schuf Menge wiederum ein »Sprachrohr für weitgehend tabuisierte Themen«43, einen zugleich wildgewordenen und verängstigten Kleinbürger, der »stellvertretend verborgene bzw. verdrängte Ansichten artikuliert, die manche Zuschauende denken, jedoch nicht selbst formulieren würden.«44 Schon während der Dreharbeiten deutete sich an, was Menges Drehbuch in Gang gesetzt hatte:
»Mit den Clowns kamen die Tränen. Manche der Zuschauer im alten Defa-Studio in Berlin-Johannisthal weinten stumm, andere schluchzten hemmungslos. In der Dekoration, einem urdeutschen Wohnzimmer, sang die Schauspielerin Jutta Hoffmann tapfer weiter: ›An der Saale hellem Strande‹. Die Westdeutschen im Team blieben ungerührt. Verständnislos schauten sie ihre heulenden Kollegen aus dem Osten an. So etwas passierte häufiger […]”45
Publikum wie Presse reagierten auf die ersten Folgen gespaltener noch als in den siebziger Jahren auf Ein Herz und eine Seele. Empörung überwog. Der Spiegel schrieb:
»Motzki ist kein Witz, auch wenn jetzt fast alle, die dafür verantwortlich sind, eifrig so tun. [...] Motzki tut weh, weil er die Mauer im Kopf sichtbar macht. [...] Die Einheit hat, wie es scheint, die Nation erst richtig auseinandergebracht. Und das Ekelpaket Motzki liegt voll im bösen Trend.«46
Barbara Sichtermann, die in der Zeit die Serie »schlecht gemacht«,