Insel der Ponygirls. Tomàs de Torres
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Mit einem Ruck zog er sich an der Reling empor und blinzelte nach achtern, wo das Kielwasser einen gerippten Keil in den Horizont trieb. Keine Spur von einem Verfolger.
Luke entspannte sich wieder.
Wie sollten sie mich auch finden?
Das Boot war eines der schnellsten konventionellen Motorboote, die Luke je gefahren hatte. Außerdem hatte er nach dem Verlassen des Hafens den GPS-Tracker deaktiviert, der seine Position an den Bootseigner weitermeldete. Nur an die Notschaltung, die beim Kontakt mit Salzwasser ein Signal senden würde, kam er ohne Spezialwerkzeug nicht heran. Doch solange das Boot nicht sank …
Immer noch auf die Reling gestützt, stemmte Luke sich hoch. Die Vibrationen des Bootes pflanzten sich durch seinen ganzen Körper fort. Er vermied es, nach oben zu sehen. Der lodernde Feuerball der Nachmittagssonne ließ Lukes Schädeldecke glühen, und seine Zunge, beinahe ebenso trocken wie seine Kehle, schien auf das Doppelte ihrer normalen Größe angewachsen zu sein.
Er richtete den Blick nach vorn. Der Fahrtwind ließ seine Augen tränen.
»Unmöglich!«
Er schloss die Augen, dann riss er sie wieder auf. Die Insel war immer noch da und schwebte über dem Bug wie eine Fata Morgana. Doch im Unterschied zu einer Luftspiegelung besaß sie scharfe Konturen und flimmerte nicht. Eine dunkle Steilwand, die aus dem Meer emporragte. Da Luke keine Ahnung hatte, wie hoch die Wand war, konnte er die Entfernung kaum abschätzen, die ihn von der Insel trennte.
Barbados?
Er schüttelte den Kopf. Undenkbar, dass er so weit nach Südost abgedriftet war. Ein Blick auf den Kompass zeigte ihm, dass er immer noch Ostkurs hielt, mit einer minimalen Abweichung nach Norden.
Luke versuchte sich zu erinnern. Was befand sich östlich der kleinen Antillen-Insel Saint Lucia, von der er im Morgengrauen geflüchtet war?
Nichts! Nichts als offenes Meer, über 4000 Kilometer. Dann die Kapverdischen Inseln und dahinter, auf dem westafrikanischen Festland, Senegal.
Die Seekarte konnte er nicht zu Rate ziehen, denn die hatte er kurz nach seinem Aufbruch ins Meer geworfen, zusammen mit seinem Mobiltelefon. Dort, wohin er fuhr, benötigte er weder Telefon noch Karte.
Dort benötigte er gar nichts mehr.
Aber die Insel erweckte seine Neugierde. Da sie rasch anwuchs, konnte sie nicht allzu groß sein. Sie musste vulkanischen Ursprungs sein, vielleicht nicht mehr als ein im Lauf der Jahrtausende erodierter Krater. Die untere Hälfte der Wand war von einem erdigen Braun, oben überzog dunkelgrüner Bewuchs den Steilhang.
Luke Martin bückte sich nach dem Taschentuch, befeuchtete es erneut mit Spritzwasser und breitete es über sein sandfarbenes Haar. Sofort ließen die Kopfschmerzen nach, verschwanden jedoch nicht vollständig. Seine Kehle brannte, und das Schlucken schmerzte.
Er ließ sich auf den Pilotensitz fallen, drosselte die Geschwindigkeit und änderte den Kurs leicht nach Backbord, um links an der Insel vorbeizufahren. Sie war jetzt so nahe, dass Luke anhand der Pflanzen ihre Höhe schätzen konnte: drei- bis vierhundert Meter, vielleicht sogar mehr. Ein Vulkankrater, kein Zweifel. Wahrscheinlich war die Insel annähernd kreisförmig. Er beschloss, sie zu umrunden.
Er hatte nichts anderes vor, weder heute noch irgendwann.
In einer Entfernung von 150 Metern fuhr er an der Kraterwand vorbei und hielt dabei vergeblich Ausschau nach einer Bucht oder einer anderen Landemöglichkeit. Der Kegelstumpf stieg überall mit einem Winkel von 70 bis 80 Grad aus dem Atlantik. Weiter nördlich erstreckte sich jenseits des Kraters eine bewaldete Landzunge, vergleichsweise flach auf ihrer Oberseite, aber zum Meer etwa 100 Meter steil abfallend. Durch sie erhielt die Insel einen ovalen Grundriss.
Luke umrundete ein spitzes Kap, steuerte wieder nach Ost und dann nach Südost. Überall bot sich das gleiche Bild: kahle Lavahänge bis auf eine Höhe von 100 oder 200 Metern, darüber Bewuchs. Keine Spur von Bewohnern, nicht einmal auf der flachen Nordseite. Keine Häuser, keine Sendemasten auf dem Kraterrand – und keine Strände, Buchten oder Anlegestellen.
Keine Landemöglichkeit.
Die Antilleninseln waren fast alle vulkanischen Ursprungs, dennoch hatte Luke noch niemals eine so unzugängliche Insel gesehen. Er schätzte ihre Ausdehnung auf zweieinhalb mal dreieinhalb Kilometer, wobei die lange Achse von Nordnordwest nach Südsüdost verlief.
Kein Zeichen von Menschen …
Auch eine Insel, die so weit abseits aller Schifffahrtsrouten lag, musste vom Menschen erobert worden sein, selbst eine so unwirtliche wie diese. Der Mensch setzte sich überall fest, und hatte er dies erst einmal getan, war er nur sehr schwer wieder zu vertreiben.
Wahrscheinlich ist das Kraterinnere eine sonnendurchglühte Geröllwüste, dachte Luke.
Er lenkte das Boot noch näher an die Wand heran und fuhr auf einen Vorsprung zu, ein kleines Kap. Plötzlich überkam ihn die Vision von Palmen und Strohhütten am Ufer einer weit geschwungenen Bucht. Rote, blaue und grüne Fischerboote, die man an den Strand gezogen hatte …
Dann hatte er das Kap passiert, aber da war nichts, nichts als der Steilhang; kein Strand. Luke sah nicht einmal Vögel.
Halt! Was ist das?
Halb verborgen im harten Schatten eines Felsvorsprungs war etwas, das nicht hierher passte. Eine Struktur, die zu regelmäßig war, um auf natürliche Weise entstanden zu sein.
Er fuhr näher heran und kniff die Augen zusammen.
Ein Gitter!
Ein dickes Eisengitter, dessen Farbe aufgrund des Rostes beinahe identisch war mit jener des Vulkangesteins. Etwas zurückgesetzt, mindestens fünf Meter breit und ebenso hoch verschloss es auf Meeresniveau einen Zugang – oder besser gesagt: eine Zufahrt. Es sah aus, als ob ein Kanal in den Berg hineinführte.
Luke zwang das Boot in eine enge Kurve und steuerte es mit Unterstützung der Brandung bis zum Gitter. Mit einem dumpfen Ton, der etwas Endgültiges an sich hatte, stieß die Backbordseite gegen das Metall. Er stand auf, nahm eines der Taue in die linke Hand, streckte die rechte aus und lehnte sich über die Bordkante. An einem der Gitterstäbe verknotete er das Tau.
Die Augen mit den Händen gegen die Sonne abgeschirmt, spähte er ins Innere, konnte aber nur wenige Meter weit sehen. Der Kanal schien so breit und hoch zu sein wie das Gitter, mit annähernd rundem Querschnitt. Kein Licht am Ende; wahrscheinlich reichte er nur ein Stück weit in den Berg.
Aber welchen Sinn hatte er dann?
Luke musterte seine Hände, mit denen er sich am Gitter festgeklammert hatte. Sie waren rotbraun gefärbt von feuchtem, salzgetränktem Rost. Das Tor, das die Zufahrt versperrte, musste uralt sein.
Er rüttelte an dem Gitter. Es gab nach, aber nur wenige Zentimeter. Dabei entdeckte er, dass es in der Mitte geteilt war. Eine Eisenkette verband in Kopfhöhe zwei Gitterstäbe und wurde durch ein schweres Schloss gesichert. Weder Kette noch Schloss wiesen Spuren von Rost auf, nur etwas Salz hatte sich daran festgesetzt. Der Schluss lag auf der Hand.
Das