Sklavenjagd. Tomàs de Torres

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Sklavenjagd - Tomàs de Torres

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das Sie möglicherweise etwas verwirrt hat …«

      Hastig senkte Dolores den Kopf und versteckte ihre zitternden Hände unter der Tischplatte.

      »Ich – ich weiß nicht, wovon Sie sprechen«, murmelte sie. In ihren Gedanken tobte das Chaos, ein Wirbelsturm von Empfindungen durchtoste sie.

       Was will er von mir? Mein Gott, was will er nur von mir?

      »Oh.« Verdugos Stimme klang nun ehrlich erstaunt. »So ein kurzes Gedächtnis haben Sie?« Er machte eine kurze, aber offensichtlich wohlberechnete Pause, bevor er fortfuhr: »Aber ja doch, ich verstehe durchaus – es gab ja so viele andere Eindrücke für Sie an diesem Wochenende. Die Premiere von ›Dreisamkeit‹, der Krach mit Ihrem Freund, Ihr nächtlicher Aufbruch … Lassen Sie mich Ihnen etwas zeigen, das Ihnen das Vergessene vielleicht wieder in Erinnerung ruft.«

      Er hatte Dolores, erkannte diese mit plötzlicher Klarheit, dort, wo er sie von Anfang an hatte haben wollen: Sie war degradiert zu einem bebenden Bündel, einem verängstigten Tier gleichend, das alles mit sich geschehen ließ und nur noch darauf hoffte, dass das Ende schnell und schmerzlos kommen möge.

      Sie wagte weniger denn je, den Kopf zu heben und ihm ins Gesicht zu blicken, doch aus den Augenwinkeln erhaschte sie eine Bewegung: Er zog ein Mobiltelefon aus der rechten Außentasche seines Anzugs und wandte es ihr zu. Es war eines dieser modernen Handys, das zum größten Teil aus einem Bildschirm bestand – einem Farbbildschirm, wie Dolores gleich darauf registrierte, denn nun erhellte er sich, und sie sah – sich selbst! Zumindest ihr Gesicht, das vom Schein einer Lampe erhellt wurde, die eine schattenhafte Figur, von der kaum mehr als ein dunkler Rücken zu sehen war, in der Hand hielt. Dolores erkannte die Szene sofort wieder.

      Sie war in jener Nacht auf der Straße bei den Felsen gefilmt worden!

      Dem Bildausschnitt nach musste sich die Kamera im Polizeiwagen befunden haben; entweder es handelte sich um eine automatische Aufnahme, oder es hatte sich ein zweiter Mann im Wagen befunden, den Dolores nicht bemerkt hatte. Wie auch immer – es spielte keine Rolle. Wichtig war nur, dass ihr vor Erregung gerötetes Gesicht trotz der Winzigkeit des Bildschirms klar zu erkennen war.

      »Es gibt auch einen Ton dazu«, klang Verdugos kratzende Stimme wie aus weiter Ferne an ihr Ohr, »aber es dürfte kaum in Ihrem Interesse liegen, wenn ich ihn in dieser Umgebung zuschalte …«

      Dolores hatte ein Schwindelgefühl ergriffen, etwa so, als ob sie zu viel getrunken hätte – oder als ob sie in der Irrealität eines Traums gefangen und sich dessen bewusst wäre, ihm aber dennoch nicht entkommen könnte. Zu keiner Regung fähig, starrte sie auf das Handy, wo ihr verkleinertes Abbild soeben in Tränen ausbrach. Alles Leid, alle Verzweiflung und alles Unrecht der Welt schienen in diesen Tränen zu liegen.

      »Was – was verlangen Sie?«, brachte sie endlich hervor, als der Film zu Ende war und Verdugo das Mobiltelefon wieder in seiner Tasche verschwinden ließ.

      Der Fremde hob abwehrend beide Hände. »Nichts, rein gar nichts!«, versicherte er im gütigen Tonfall eines freundlichen Onkels, zu dem nur sein Gesicht und die Stimme nicht passen wollten. »Sie brauchen keine Angst zu haben; ich bin kein Erpresser oder so etwas Ähnliches. Wie ich schon sagte: Ich will Ihnen lediglich ein Angebot machen.«

      Er lehnte sich wie zufällig zurück und sah sich dabei nach allen Seiten um; der geübte, sichernde Blick eines Mannes, der solche Situationen gewohnt war und der kein Risiko einzugehen pflegte. Das Bistro war nun beinahe leer; die Kellnerin machte sich an der Kasse zu schaffen.

      Verdugo beugte sich wieder vor, stützte beide Ellbogen auf die Tischplatte und sprach weiter, noch leiser als zuvor, in einem ruhigen, beinahe einschläfernden Tonfall.

      »Lassen Sie mich folgendermaßen beginnen: Seit Jahrtausenden ist die Jagd der bevorzugte Sport des Menschen. In früheren Zeiten war sie überlebensnotwendig, später jedoch nicht mehr als eben ein Sport, wenn auch der gefährlichste – vorausgesetzt, die Chancen sind annähernd gleich verteilt – und damit auch der erregendste, für Jäger und Gejagte gleichermaßen. Und welches ist das gefährlichste Wild? Der Tiger, mit seiner Geschmeidigkeit, seinen scharfen Krallen und seinem Appetit auf Menschen? Der Elefant, aufgrund seiner Größe und seines sprichwörtlichen Gedächtnisses? Nein, das gefährlichste Wild war stets – und wird es immer bleiben – der Mensch! Der Mensch mit seiner Intelligenz und dem daraus resultierenden Einfallsreichtum! Auch ein nicht oder nur leicht bewaffneter Mensch kann einen besser ausgerüsteten Gegner besiegen, wenn er es klug anstellt. Ja, die Jagd ist ein Spiel mit hohem Risiko – und ebenso großen Chancen. Für beide Seiten.«

      Dolores starrte ihr Gegenüber an. Wovon spricht er?, dachte sie hilflos. Doch dann blitzte etwas in ihrer Erinnerung auf, ein kurzer Satz nur, doch zweimal wiederholt.

       Es war die dritte Jagd!

      »Nun gibt es gewisse Leute«, fuhr Señor Verdugo fort, nicht ohne sich vorher noch einmal im Restaurant umzusehen, »die über genug Geld verfügen, um sich alles leisten zu können – wirklich alles! Dennoch sind sie nicht wunschlos glücklich, auch wenn die meisten Menschen sie wohl um ihr Problem beneiden würden. Und dieses Problem heißt: Langeweile! Um dieser abzuhelfen, haben sie ein Spiel erfunden, das sie ›Sklavenjagd‹ nennen. Es birgt, wie bereits erwähnt, für beide Seiten ein hohes Risiko, aber auch große Möglichkeiten. Die Regeln sind einfach und garantieren ein Höchstmaß an Chancengleichheit: Der Jäger verfügt als einzige Waffe über einen sogenannten ›TASER‹, ein Elektroschockgerät, das keinerlei bleibende physische Schäden hinterlässt. Dieses Gerät benötigt Körperkontakt; der Jäger muss dem Gejagten also mindestens auf Armlänge nahekommen. Ansonsten darf der Jäger keine Hilfsmittel verwenden, keine Fahrzeuge oder Reittiere, keine Hunde, keine menschlichen Helfer.

      Der Gejagte ist ebenfalls bewaffnet und allein; er trägt zwischen seinen Handgelenken eine Kette, in deren Mitte eine schwere Eisenkugel befestigt ist. Auch er muss also nahe an den Jäger herankommen, wenn er ihn angreifen will. Doch das ist nicht immer nötig: Die Jagd beginnt stets bei Sonnenuntergang und endet bei Sonnenaufgang. Ist der Gejagte dann noch unbesiegt – weil er beispielsweise ein Versteck findet, das der Jäger nicht aufspüren kann, oder weil er seinerseits den Jäger bezwingt –, ist er der Sieger und kann seine Belohnung einstreichen.«

      Wieder verzog Verdugo das Gesicht zu einem misslungenen Lächeln. »Ich sollte vielleicht hinzufügen, dass es dabei um Geld geht – um viel Geld! Ein Gejagter kann diese Rolle maximal drei Mal spielen, drei Mal ›laufen‹: Gewinnt er die erste Jagd, bekommt er 100.000 Euro – bar auf die Hand! Gewinnt er die zweite – dabei spielt es keine Rolle, ob er die erste gewonnen oder verloren hat –, erhält er eine Million Euro. Gewinnt er gar die dritte Jagd, kann er sich über zehn Millionen Euro freuen. Bedenken Sie: Zehn Millionen Euro! Können Sie sich vorstellen, wie viel Geld das ist? Was man damit alles machen kann? Nein, ich glaube, es gibt nur sehr wenige Menschen, die das können.«

      Endlich fand Dolores, die den Worten Verdugos wie gelähmt gelauscht hatte, die Kraft zu einem Einwand.

      »Sie – Sie nennen das ein ›Spiel‹, aber dabei ist ein Mensch gestorben! Umgebracht worden! Ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen!«

      Ihr Gegenüber machte eine entschuldigende Geste. »Jagdunfälle hat es immer gegeben und wird es immer geben. Aber sie sind sehr, sehr selten. Und wenn doch einmal einer geschieht, kümmern wir uns darum, dass es wie ein Unfall aussieht – oder wie eine Entführung, die niemals aufgeklärt wird und bei der das Opfer nie wieder auftaucht. Bei keinem der wenigen Todesfälle, die es bisher gegeben hat, wurde der … hm … Verursacher des Todes belangt. Diese Sicherheit geben wir Jäger und Gejagten gleichermaßen.«

      Ungläubig

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