Sklavenjagd. Tomàs de Torres
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Sklavenjagd - Tomàs de Torres страница 8
Alles, so ihre Überzeugung, war besser, als diese Szene erleben zu müssen.
Eine Polizeisirene, entfernt, aber sich rasch nähernd, unterbrach ihre Überlegungen. Das Bild der blutigen Masse, die einstmals der Kopf eines fühlenden und denkenden Menschen gewesen war, stand mit einem Mal wieder vor ihrem inneren Auge. Unwillkürlich verkrampfte sie sich, Atem und Herzschlag schienen auszusetzen, bis sich das so unheilverkündende, an- und abschwellende Geräusch wieder in der Ferne verlor.
Irgendwann, sehr viel später, ging sie zurück ins Schlafzimmer, legte sich neben dem regelmäßig und tief atmenden Jorge ins Bett und schlief allen Widernissen zum Trotz bereits nach wenigen Minuten ein.
III
Als Dolores erwachte, war es beinahe halb zehn, und der Duft von Kaffee und frischen Hörnchen schwebte in der Luft. Jorge hatte bereits eingekauft und erwartete sie in der Küche. Er winkte ihr fröhlich entgegen, als sie, noch im Nachthemd und mit verschlafenen Augen, aus dem Schlafzimmer stolperte.
Es wurde das harmonischste Frühstück seit Monaten. Jorge schien wie ausgewechselt, schien ein völlig anderer Mensch zu sein als der, der sie am vorangegangenen Abend so barsch empfangen hatte. Dolores bemühte sich, alles zu tun, um ihn in dieser selten gelösten Stimmung zu halten, denn so liebte sie ihn – solche Momente ließen sie allen Unwillen, alle seine Fehler vergessen. Ein Gefühl freudiger Erwartung durchströmte sie; sie fühlte sich beschwingt, beinahe glücklich. Vielleicht würde dieser Tag in einem romantischen Abend zu zweit ausklingen, nach einer erfolgreichen Premiere, in einem der gemütlichen kleinen Restaurants, von denen es so viele gab in diesem Städtchen. Bei diesem Gedanken fiel ihr ein, dass sie sich in der Nacht gar nicht nach dem Verlauf der Generalprobe erkundigt hatte, und sie holte dies nun nach, um ihm zu zeigen, dass seine Arbeit ihr nicht gleichgültig war.
Doch kaum hatte sie die Frage ausgesprochen, wünschte sie sich, sie hätte es nicht getan. Jorges Mundwinkel fielen herab, und sein Gesicht wurde düster.
»Geht so«, knurrte er.
Krampfhaft, beinahe verzweifelt suchte Dolores nach einem anderen Thema. »Bleibst du noch lange hier in Antequera?«, fragte sie schließlich.
Er zuckte mit den Schultern, ohne sie dabei anzusehen. »Zwei oder drei Wochen, wenn das Stück nicht vorher abgesetzt wird.« Endlich blickte er auf. »Wann fährst du nach Málaga zurück? Montag früh?«
Dolores überlegte fieberhaft. Darüber hatte sie sich noch keine Gedanken gemacht. Sie erinnerte sich an die verbeulte Front des Saxo; sie hatte immer noch keine Gelegenheit gehabt, sich den Schaden bei Tageslicht anzusehen. Nein, Montag früh herrschte für ihren Geschmack zu viel Verkehr. Am Sonntagmorgen hingegen war so gut wie nichts los, nicht einmal auf der Autobahn.
»Ich dachte an morgen früh«, antwortete sie schließlich zögernd, wohl wissend, dass Jorge darüber wahrscheinlich alles andere als glücklich sein würde.
Doch seine Reaktion übertraf ihre schlimmsten Befürchtungen: Unvermittelt schlug er mit der flachen Hand auf den Tisch, dass die leeren Teller und Tassen klirrten. Seine braunen Augen blitzten vor Wut, seine Lippen pressten sich zusammen, und Dolores erkannte plötzlich, dass dies sein wahres Gesicht war, dass all seine gute Laune an diesem Morgen, seine Aufmerksamkeiten und seine Liebenswürdigkeit, wieder einmal nichts weiter als eine Rolle gewesen waren, die der Schauspieler Jorge Clavo Delgado gegeben hatte. Sein Erfolg auf der Bühne mochte mäßig sein – sie hingegen fiel ständig auf ihn herein.
»Du denkst doch nur daran, so schnell wie möglich in die Sicherheit deiner vier Wände, in deine winzige kleine Welt zurückzukehren!«, fuhr er sie an.
Dolores war bleich geworden, noch bleicher als gewöhnlich, und in ihrem Stuhl zusammengesunken. Sein Ausbruch erschreckte sie, doch seine Worte schmerzten, weil sie selbst nur zu gut wusste, wie recht er hatte. Denn auch wenn der Wagen in Ordnung gewesen wäre, wenn dieser unfassbare Unfall, den sie ihrem Freund niemals erzählen konnte, nicht geschehen wäre, sehnte sie sich in ihr Zuhause zurück, in ihre »winzige kleine Welt«, die ihr Schutz und Sicherheit vor der »großen Welt« draußen bot.
Und Jorge setzte noch eins drauf: »Du bist eine absolute Niete! Du gehst nicht einmal auf Partys! Und alles nur wegen deiner eingebildeten Agoraphobie!«
Dolores kämpfte gegen die Tränen an. »Die ist nicht eingebildet, meine Agoraphobie!«, brachte sie schließlich hervor. »Sie ist genauso real wie … wie dieser Tisch hier!« Sie schlug auf die Glasplatte; Wut und Hilflosigkeit über sein völliges Unverständnis lagen in dieser Geste. »Auch wenn damals meine Therapie erfolgreich verlaufen ist, bedeutet das nicht, dass die Phobie verschwunden ist! Sie kann jederzeit wieder durchbrechen, in einer … bedrohlichen Situation …«
Oh ja, fügte sie in Gedanken hinzu, wenn du nur wüsstest, wie wahr das ist!
Abrupt sprang Jorge auf und wandte ihr den Rücken zu, sah durch das Küchenfenster hinunter auf die Straße. Aber sein Ausbruch war noch nicht beendet.
»Du pflegst deine Ängste, behütest und hätschelst sie! Du gibst ihnen nach, ergibst dich ihnen, anstatt dich ihnen zu stellen! Und wenn du das schon nicht kannst, wenn du nicht die Kraft und den Mut dazu aufbringst, dann versuche wenigstens, sie zu überspielen! So zu tun, als gebe es sie nicht – als seist du eine Frau wie jede andere!«
Dolores schüttelte den Kopf, unfähig zu antworten. Sie wusste, dass er recht hatte, zumindest von seiner Warte aus gesehen, doch wenn er ihre Probleme schon so klar erkannte, warum, zum Teufel, verstand er dann nicht, dass sie nicht anders konnte, dass sie diesen Teufelskreis von Angst und der Angst vor dieser Angst nicht durchbrechen konnte?
Sie wischte sich die Augen mit der Papierserviette ab, solange er noch zum Fenster hinausstarrte. Ihre Lippen zitterten, doch wenigstens konnte sie wieder sprechen, wenn auch stockend und abgehackt.
»Ich – ich bin keine Schauspielerin, die ihre wahren Gefühle verbergen kann.« So wie du. »Ich bin nun einmal so, wie ich bin; ich kenne meine Probleme und stehe zu ihnen«, ergänzte sie in einem Anflug von Trotz.
Er wirbelte herum und sein rechter Zeigefinger schoss auf sie zu, als sei sie eine Bühnenschauspielerin, die ihm soeben das Stichwort gegeben habe. »Das ist ja eben nicht der Fall! Du versuchst, jedes noch so kleine Problem zu vermeiden, flüchtest und verkriechst dich vor ihm, anstelle auch nur den Versuch zu unternehmen, dich ihm zu stellen und es zu lösen! Willst du endlos so weiterleben? Pah, du weißt ja gar nicht, was Leben heißt! Aber ich bin nicht so, ich will etwas von meinem Leben haben, es ist ja schließlich kurz genug!«
Wütend stapfte er davon und ließ eine zutiefst verunsicherte Dolores zurück.
Du weißt ja gar nicht, was Leben heißt!
Du bist eine absolute Niete! Du gehst nicht einmal auf Partys!
Das Geräusch der sich öffnenden Wohnungstür unterbrach den Teufelskreis ihrer Gedanken. Verwirrt schrak sie auf. Jorge hatte seine schwarze Jacke – er trug überhaupt meist Schwarz, was ihn in der Menge noch unauffälliger