Sklavenjagd. Tomàs de Torres
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Wie lange, fragte sich Dolores erschrocken, werden sie wohl eine Frau einsperren, die einen Fußgänger auf einer Bergstraße angefahren, schwer – möglicherweise tödlich – verletzt und dann Fahrerflucht begangen hat?
Doch sie fand keine noch so kleine Schlagzeile, die sich auf einen Unfall mit Personenschaden in der Nacht zum Samstag auf der Straße zwischen Almogía und Antequera hätte beziehen können.
War dieser »Unfall« also tatsächlich vertuscht worden, wie es die Drohung, die der Polizist ihr gegenüber ausgestoßen hatte, nahelegte?
Ihr blieb nichts als diese Hoffnung.
Das Gebäude, in dem unter anderem das Büro der Exportfirma untergebracht war, in der Dolores als Buchhalterin arbeitete, lag im alten, noch nicht umgebauten Teil von »El Palo«, Málagas Hafenviertel. Auch diese Gegend war gekennzeichnet von mehrstöckigen, teils über hundert Jahre alten Häusern und engen Gassen, deren Grund die Sonne nur am Mittag und nur für kurze Zeit erhellte. Die Räumlichkeiten in den Häusern waren ebenso beengt. Als Dolores die Büros der Firma vor mehr als fünf Jahren, beinahe auf dem Höhepunkt ihrer Agoraphobie, zum ersten Mal betreten hatte, hatte sie sofort gewusst: Das ist es, hier will ich arbeiten! Und da sie als Berufsanfängerin mit zusätzlichem Handicap keine großen Gehaltsansprüche gestellt hatte, war sie mit Señor Juan Buitre Negro schnell einig geworden. Und zumindest Letzterer hatte niemals Grund gehabt, diese Entscheidung zu bedauern.
Doch mittlerweile hatte sich Dolores’ Einstellung gewandelt. Zum einen war ihre Agoraphobie weitgehend überwunden – nun ja, dachte sie, während sie das Bürogebäude betrat, von gewissen Extremsituationen einmal abgesehen –, und zum anderen ödete sie ihre Arbeit mittlerweile an. Ganz abgesehen davon, dass Señor Buitre sich seit Jahren schlichtweg weigerte, ihr Gehalt zu erhöhen, und sie ausnutzte, wo immer es ging. Die Überstunden am Freitag waren ja kein Einzelfall gewesen.
Überhaupt, stellte sie plötzlich fest, und die Erkenntnis ging einher mit einer Schockwelle hilfloser Wut, wäre das alles nicht passiert, wenn er mich am Nachmittag nach Hause hätte gehen lassen!
Nein, es führte kein Weg mehr an dem Eingeständnis vorbei, dass sie ihre Arbeit hasste und sie lieber heute als morgen gegen eine interessantere und besser bezahlte eintauschen würde. Was jedoch in der derzeitigen wirtschaftlichen Situation alles andere als einfach war. Es gab Augenblicke, in denen sich Dolores nach einem besseren Leben sehnte, einem anderen Leben, das in großen, lichten Räumen stattfand, mit einer interessanten Arbeit und ebenso interessanten und aufrichtigen Freunden.
Wirklichen Freunden.
Doch solchen Augenblicken folgte stets, mit der gnadenlosen Verlässlichkeit eines Uhrwerks, das Erschrecken über sich selbst, über die eigenen ungezügelten Gedanken, sowie die Einsicht, dass sie wohl niemals die Kraft und den Mut zu einem Bruch und einem völligen Neuanfang aufbringen würde.
Der Vormittag verlief eintönig wie stets; zum Glück war wenigstens Señor Buitre geschäftlich außer Haus. Während der dank der Abwesenheit des Chefs deutlich verlängerten Kaffeepause sprachen ihre Kolleginnen über ihre Wochenendaktivitäten und – natürlich – über Männer. Dolores, die an diesem Montag viel zu erzählen gehabt hätte, saß währenddessen wie stets schweigend im Hintergrund und nippte an ihrem Tee.
Die Mittagspause verbrachte sie, ebenfalls wie stets, in einem Bistro zwei Ecken weiter, das schnellen Service und niedrige Preise bot. Da sie später dran war als sonst, hatte es sich bereits zum größten Teil geleert, und so fiel ihr, während sie auf ihre bestellte Tomatensuppe mit Bauernbrot wartete, ein hagerer Mann mit einem eingefallenen Gesicht auf, das einem Totengräber alle Ehre gemacht hätte. Verstärkt wurde diese Assoziation durch einen tadellos sitzenden schwarzen Anzug, der nicht so recht in dieses Restaurant passen wollte, das fast ausschließlich von Angestellten und Arbeitern der umliegenden Firmen frequentiert wurde.
Eine Kellnerin brachte das Essen und ein Glas Mineralwasser, und kaum hatte Dolores zum ersten Mal den Löffel in den Suppenteller gesenkt, fiel ein Schatten über sie. Verwirrt sah sie auf. Der Mann mit dem schwarzen Anzug und der Trauermiene stand vor ihr.
»Sie gestatten? Ich nehme an, hier ist noch frei?«
Hastig senkte sie ihren Kopf wieder und machte mit der Linken eine Bewegung, die das halbe Restaurant einschloss.
»Alles – alles ist frei«, stotterte sie.
Was will der Typ von mir?
»Vielen Dank.« Der Fremde schien die Bedeutung ihrer Geste verkannt zu haben – oder er ignorierte sie absichtlich. »Mein Name ist übrigens Verdugo, Álvaro Verdugo.«
Seine Freundlichkeit zwang sie, ihm wieder ins Gesicht zu blicken, das zu einer Grimasse verzogen war, die wohl ein Lächeln darstellen sollte – das Lächeln eines Mannes, der nicht zu lächeln gewohnt war.
Erzählt er mir jetzt seine Lebensgeschichte?, erschrak sie unwillkürlich. Das hier ist doch keine Bar!
Die Kellnerin erschien, um die neue Bestellung aufzunehmen, doch eine herrische Handbewegung Verdugos verscheuchte sie augenblicklich.
»Señorita Muñoz«, sagte der Mann mit einer tiefen und kratzenden Stimme, die klang, als hätte er jahrzehntelang zwei oder drei Schachteln Zigaretten pro Tag geraucht.
Das Wort »Erschrecken« konnte das Gefühl, das Dolores bei der Nennung ihres Namens überfiel, nicht einmal annähernd beschreiben. Ein nie gekanntes Entsetzen erfasste sie, und für einen Moment fühlte sie sich wie jemand, um den herum ein Dutzend Polizeischeinwerfer aufflammte, während er gerade dabei war, eine Leiche zu vergraben. Das Blut wich ihr aus dem Gesicht, ihre Kehle fühlte sich plötzlich an, als habe sie einen 50-Kilometer-Marsch durch die Wüste hinter sich, und ihre Lippen und Hände zitterten. Rasch ließ sie den Löffel zurück in die Suppe sinken, bevor sie etwas verschüttete.
»Señorita Muñoz«, wiederholte der Fremde, und in seinen grauen Augen blitzte dabei etwas auf, das Dolores sagte, dass er das, was er gerade tat, genoss. »Ich habe die Ehre und auch das Vergnügen, Ihnen ein Angebot zu machen.« Dabei glitt sein Blick taxierend über ihren Körper, als sei sie ein Pferd, das er zu kaufen beabsichtigte – wenn die Musterung zu seiner Zufriedenheit ausfiel und jedes Haar, jeder Muskel und jede Rundung seinen Beifall fand.
Dolores fröstelte unwillkürlich. Sosehr sie sich auch bemühte, sie konnte keinen ironischen Unterton in seiner rauen Stimme ausmachen. Einen Sinn in seinen Worten allerdings ebenso wenig.
Sie schluckte. »Ich – ich kaufe nichts, vielen Dank«, war alles, was sie hervorbrachte.
»Ich will Ihnen auch nichts verkaufen, ganz im Gegenteil«, beteuerte Señor Verdugo. »Ich will Ihnen einen Weg aufzeigen, wie Sie in nur zwölf Stunden – vielleicht sogar weniger, mit ein wenig Geschick und Glück – 100.000 Euro verdienen können. Bar auf die Hand und natürlich steuerfrei!«
Sie starrte ihn an und vergaß dabei sogar zu blinzeln. Gerade war sie noch überzeugt gewesen, dass das Auftauchen dieses seltsamen, Furcht einflößenden Mannes mit dem Unfall bei El Torcal und dem, was danach geschehen war, zusammenhing, aber nun wusste sie überhaupt nicht mehr, was sie denken sollte.
Verdugos nächste Worte jedoch ließen Dolores erkennen, dass ihre ursprünglichen, schlimmsten Befürchtungen