Sklavenjagd. Tomàs de Torres

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Sklavenjagd - Tomàs de Torres

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Zivilisations- und Geistesgeschichte.

      »Im alten Rom haben sich die Leute gegenseitig abgeschlachtet, zum Vergnügen der Zuschauer«, warf sie fassungslos ein. »Aber doch nicht heute!«

      Abermals grinste Verdugo. »Als das Verbrennen von Christen verboten wurde, musste die Unterhaltungsindustrie notgedrungen auf andere Formate ausweichen. Denken Sie an Boxkämpfe, Autorennen, den Pferdesport oder den Stierkampf! Unfälle gibt es überall, und nichts begeistert die Massen mehr als eine malerische Rennkarambolage mit einer zünftigen Explosion und einem oder gar mehreren Toten! Tage- oder wochenlang sind die Schlagzeilen voll davon! Natürlich empört man sich darüber, weil das eben politisch korrekt ist, aber jeder will die Wiederholung sehen! In Zeitlupe und aus unterschiedlichen Kamerapositionen!«

      Sein schrankenloser Zynismus schockierte Dolores, wenn sie auch das Körnchen Wahrheit in seinen Worten – ein sehr großes Körnchen – nicht wegleugnen konnte.

      »Und die Opfer – die Gejagten – machen das wirklich freiwillig?«

      Verdugo nickte bestimmt. »Natürlich. Hoher Einsatz – hoher Gewinn, jedenfalls mit etwas Geschick. Wie bei einer Geldanlage: Geringes oder kein Risiko bedeutet geringen oder keinen Gewinn; sogar Verlust, teilweise beträchtlichen, wenn Sie die Inflation und die Steuern hinzurechnen. Wer seinen Einsatz vervielfachen will, muss daher ein hohes Risiko eingehen. Er kann alles gewinnen – oder alles verlieren.«

      »Und was«, fiel Dolores ein, »ist der Gewinn für den Jäger? Bislang sprachen Sie ja nur von seinem Risiko. Macht er es nur des Nervenkitzels wegen, oder springt auch für ihn etwas heraus, wenn er das … das ›Wild‹ erlegt?«

      »Wenn der Jäger den Gejagten bei dessen erstem Lauf bezwingt – und ›bezwingen‹ bedeutet in der Regel, ihn mit dem TASER mehr oder weniger bewusstlos zu machen, woraufhin er ihm Fesseln anlegen kann –, dann kann er mit ihm 24 Stunden lang tun, was ihm beliebt. Er darf ihn natürlich nicht töten oder ihm bleibenden körperlichen Schaden zufügen. Gewinnt er die zweite Jagd, erhöht sich dieser Zeitraum auf eine Woche.«

      »Und bei der dritten?«, hakte Dolores nach, als Verdugo nicht weitersprach.

      »Wird das Opfer bei der dritten Jagd bezwungen, wobei es wiederum egal ist, ob es die ersten beiden gewonnen oder verloren hat, so wird es für den Rest seines Lebens zum Sklaven des Siegers.«

      »Sie sind völlig verrückt!« Dolores hatte laut gesprochen, beinahe geschrien, so dass sich die Blicke der Kellnerin und der wenigen verbliebenen Gäste auf das ungleiche Paar hefteten. Dolores war nahe dran aufzuspringen, beherrschte sich jedoch im letzten Moment.

      »Gehe ich recht in der Annahme«, presste sie schließlich wieder leiser hervor, »dass es sich bei den Jägern stets um Männer und bei den Gejagten stets um Frauen handelt?«

      Verdugo wiegte den Kopf. »Meist trifft das zu, aber es gibt keine diesbezügliche Regel. Es gab einmal eine sehr erfolgreiche weibliche Jägerin, und manche der männlichen Jäger bevorzugen männliches ›Wild‹ … Ich sollte vielleicht hinzufügen, dass es für die Jäger kein Limit gibt; sie können so oft jagen, wie es ihnen Spaß macht, schließlich sind sie es ja, die ihr Leben riskieren und im Falle einer Niederlage bezahlen müssen. Aber eine Gejagte – oder ein Gejagter – kann nur dreimal laufen. Die Belohnung – für Jäger und Gejagte – bemisst sich ausschließlich daran, die wievielte Jagd es für das Opfer ist. Und niemand zwingt ein Opfer, zum zweiten oder dritten Mal zu laufen; es kann jederzeit aussteigen.« Er stieß ein kurzes Lachen aus. »Natürlich nicht während einer Jagd …«

      Einige Zeit herrschte Schweigen. Dolores leerte ihr Wasserglas in einem Zug zur Hälfte; die Tomatensuppe stand unangetastet vor ihr. Wahrscheinlich war sie mittlerweile kalt.

      »Was ich nicht verstehe, ist Folgendes«, sagte sie dann langsam. »Was hat das Ganze mit mir zu tun? Weshalb erzählen Sie mir das? Womit ich nicht sagen will, dass ich Ihnen überhaupt glaube«, fügte sie in einem Anflug von Trotz hinzu.

      »Das verstehen Sie nicht?«, fragte Verdugo zweifelnd. »Dabei ist es doch so einfach: Ich mache Ihnen hiermit das Angebot, selbst einmal zu laufen! Mit etwas Glück sind Sie danach um 100.000 Euro reicher – bedenken Sie das! Und wenn Sie Pech haben … Nun, 24 Stunden gehen vorbei. Was riskieren Sie also?«

      Einige Zeit saß Dolores nur reglos da und starrte den Fremden mit offenem Mund an. Obwohl es einem Teil ihres Bewusstseins klar gewesen war, worauf seine Rede letztlich abzielte, hatte sie sich geweigert, diese Erkenntnis zu akzeptieren.

      Schließlich war es Verdugo, der die Stille durchbrach. Er tippte mit dem Zeigefinger auf die Anzugstasche, in der das Mobiltelefon ruhte.

      »Sie wissen, wir wären in einer Position, Sie zu einer Teilnahme – sagen wir: zu drängen. Aber das ist nicht unsere Art. Alle Teilnehmer, Gejagte ebenso wie Jäger, tun dies freiwillig. Wir möchten Sie hiermit einladen, Ihr Glück zu versuchen – und möglicherweise 100.000 Euro zu gewinnen! Nun, was sagen Sie?«

      »Sie sind ja wirklich verrückt!«, antwortete Dolores tonlos. »Wie kommen Sie auf die Idee, dass ausgerechnet ich …« Sie verstummte mitten im Satz, denn ihrer Verblüffung fehlte eine passende Ausdrucksmöglichkeit.

      Verdugo zuckte mit den Schultern. Er schien von ihrer Weigerung nicht überrascht zu sein.

      »Wenige sagen sofort zu«, erklärte er. »Aber die meisten tun es dann doch – irgendwann. Wenn sie lange genug darüber nachgedacht haben. Lassen Sie sich so viel Zeit, wie Sie wollen. Das Angebot steht jedenfalls und wird auch nicht zurückgezogen. Ich gebe Ihnen meine Karte; rufen Sie mich einfach an, wenn Sie es sich anders überlegen sollten. Oder auch, wenn Sie noch Fragen haben. Ich stehe jederzeit zu Diensten!«

      Im Aufstehen öffnete er zwei Knöpfe seiner schwarzen Anzugsjacke und zog eine Visitenkarte aus einer Innentasche. Dabei rutschte etwas anderes ebenfalls heraus, und obwohl Verdugo hastig danach griff, entglitt es seiner Hand und fiel zu Boden. Dolores erhaschte einen sekundenkurzen Blick darauf – und erstarrte.

      Es handelte sich um eine Fotografie, die sie selbst zeigte, und zwar vor dem Hintergrund einer Kirchenfassade. Das Bild war nicht sehr gut, denn es war aus der Bewegung heraus aufgenommen worden und daher etwas verwackelt. Doch ihr Gesicht, das eine Mischung aus Überraschung und Unwillen offenbarte, war deutlich genug zu erkennen.

      Es war das Bild, das der ausländische Tourist am Samstagmittag in Antequera von ihr gemacht hatte, auf der Plaza von Santa María la Mayor.

      Während Verdugo das Bild wieder einschob und sich mit einer kurzen, aber formvollendeten Verbeugung verabschiedete, blieb Dolores bewegungsunfähig sitzen.

      Am Samstagmittag!, schoss es ihr durch den Kopf. Kaum mehr als zwölf Stunden nach dem Unfall!

      Wer auch immer hinter dieser unglaublichen Sache steckte, er schien exzellent organisiert zu sein.

      Nein, überlegte sie, ein Verrückter war das gewiss nicht. Aber kann es so etwas wirklich geben? In der heutigen Zeit? In Europa?

      Sie trank den Rest des Mineralwassers; die kalte Suppe ließ sie stehen. Sie war nicht mehr hungrig.

      Als sie schließlich zahlte und aufstand, ließ sie Verdugos Visitenkarte unbeachtet auf dem Tisch liegen.

      V

      Die Woche verlief beinahe gespenstisch ereignislos für Dolores, die sich dadurch jedoch keineswegs beruhigt fühlte – nicht nach der Begegnung mit dem schrecklichen

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