Der Ausweg. Gundolf S. Freyermuth

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Der Ausweg - Gundolf S. Freyermuth

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      Gal sah Harry Mann an, aber ihr Blick ging durch ihn hindurch. Als sie weiter sprach, lächelte sie:

      „Kelling wird sich alles sehr genau überlegen: Wie er sich scheiden lassen wird, ohne dass er seiner Frau, dieser verbrecherischen Hure, einen Pfennig zahlen muss; wie er dafür sorgen wird, dass Mann, dieser Versager, auf den er seine Hoffnungen gesetzt hatte, in der gesamten Exportbranche nie wieder eine Anstellung finden wird; wie ... Doch je detaillierter er seine Pläne schmiedet, desto deutlicher wird er die Gefahr ahnen. Weder Mann noch seine Frau sind so dumm, dieses Risiko einzugehen. Schließlich weiß Kelling, dass er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr lange zu leben hat. Er kann plötzlich den Tod so deutlich riechen wie den scharfen, klinischen Geruch, den das halbe Dutzend Plastikflaschen mit Haushaltsreinigern verströmt. Er wird versuchen sich abzulenken: Mann ist ein Idiot, mit seiner Hilfe hätte der Junge ein Vermögen machen können. Gut, minus dreißig Prozent für Kelling, der damit seine alten Tage finanziert hätte, aber immer noch ein Vermögen für diese verkrachte Existenz, diesen Verlierer namens Mann. Und was tut er stattdessen? Geht dieser Schlampe auf den Leim. Oder auf den Schleim.“

      Gals Gesicht war jetzt ausdruckslos. Nicht sie sprach. Gespenstisch klang ihre Stimme nach Kellings Kasinoton.

      „Löcher!“ sagte sie verächtlich. „Nur aus Löchern besteht sie, heiß und hohl. Keine Ahnung, warum sie das tut, nach all den Jahren. Aber sie und ihr Ficker werden nicht davonkommen damit. So kurz vor dem Ziel, mit dem Haus fast bezahlt, die Pensionierung zum Greifen nahe, die Abmachung zwischen Hexter und Mann so gut wie perfekt ... Allmählich, erst ganz allmählich werden Kellings Gedanken versiegen. Zu seinem Tod fällt ihm wenig ein. Eigentlich nur, dass die Außenwände des Bungalows kaum dreißig Zentimeter messen, was er immer viel zu dünn fand, und dass hinter diesen dreißig Zentimetern die Welt ein stinknormales Wochenende verlebt, während er, der große Rudolf Kelling, sterben muss.“

      „Nein“, sagte Mann, „ich bin nicht verrückt, niemals!“

      Nicht Gals weiße Brüste und nicht ihre festen Schenkel und erst recht nicht seine Liebe, von der er noch kaum etwas wusste, konnten ihn überreden. Auch seine Angst vor Kellings Rache hielt sich in Grenzen. Im Zweifel würde seine Aussage gegen die Anschuldigungen eines betrogenen Ehemannes stehen. Nicht einmal für eine lausige Kündigung reichte das.

      Außerdem hatte er schon einiges mitbekommen, was die Beteiligten nicht allzu gerne einem Arbeitsrichter erklären würden: Kellings ungewöhnlicher Wohlstand hatte mit Irene Hexter zu tun. Worum es auch immer ging, es war illegal. Daher das eigentümliche Interesse seines Chefs an ihm. Gerade sein zweifelhaftes Arbeits-Vorleben und sein augenfälliger Mangel an Eifer hatten ihm erst den Job und, weil auf seine Unzufriedenheit Verlass schien, dann Hexters Antrag eingetragen. Wenn er auch noch nichts richtig begriff, die Schlacht war zu gewinnen.

      „Verrückt ist anders ...“, sagte Gal in seine Gedanken hinein. Ihre Stimme hatte immer noch keinen Ausdruck. Sie leierte die Worte weiter wie die einer fremden, unverständlichen Sprache: „Verrückt wäre es, die Gelegenheit vorbeigehen zu lassen.“

      „Was ist das überhaupt für eine Abmachung zwischen Kelling und Hexter?“ fragte er.

      Zu seiner Überraschung antwortete sie ihm, ohne zu zögern: „Du übernimmst in anderthalb Jahren seinen Job für zwei Drittel seines Anteils, er bekommt, gewissermaßen als Patent- und Vermittlungsgebühr, weiter das restliche Drittel.“

      „Drei Drittel von was? Für was?“

      „Keine Ahnung. Er“ – sie zuckte mit dem Kopf in die Richtung der Wand, vor der Kelling lag – „macht es, solange wir uns kennen. Kapital-Reimport nennt er es. Über’n Osten eben.“

      „Wessen Geld?“

      „Soll ich sein Nachfolger werden oder du?“ Allmählich kam sie in die Wirklichkeit ihrer Großschnauze zurück. „Ich habe ihn nie gefragt, wozu auch? Ich hätte es eh nicht verstanden.“

      „Wie viel bekommt er dafür?“

      „Zuletzt zehn pro Monat. Das war doppelt soviel wie ihm die Steuer von seinem Gehalt ließ.“ Sie lachte kurz, als erinnere sie sich an die Witze einer fernen Vergangenheit. „,Brutto gleich netto‘, sagte er immer.“

      „Er lebt noch ...“, sagte Mann.

      „Nicht mehr lange!“ sagte sie.

      7

      Am Nachmittag fuhr Harry Mann wieder raus nach Konradshöhe, diesmal mit seinem verrosteten Fahrrad, das er aus der hintersten Ecke des Kellers hervorgezerrt hatte. Der Tag war so heiß geworden, wie der Morgen versprochen hatte; ein Spätsommer wider die deutsche Natur. Die Geschäfte waren schon eine Weile geschlossen, und der Ausflugsverkehr verstopfte die Straßen. In Richtung Tiergarten mussten selbst die Radfahrer in Pulks fahren und hatten Mühe, einander zu überholen.

      Vor Sonntagfrüh würde er mit niemandem sprechen können und bis dahin auch nichts mehr zu essen bekommen, also hatte er zwei Tafeln Nuss-Schokolade eingesteckt und seinen Walkman, aus dem ihm die Beatles „A Hard Day’s Night“ entgegen schrien.

      Kurz hinter der blassbeigen Philharmonie nahm er die breite Schneise der Bellevueallee, deren gute Aussicht auf das Schloss natürlich schon lange verbaut worden war, umrundete die Siegessäule und entschloss sich, nachdem er den Blattgold-Engel in seinen Rücken gebracht hatte, zu einem kleinen Umweg durch die rasend veraltete Moderne des Hansaviertels. Unendlich viel Zeit hatte er noch totzuschlagen. Seine Wochenendfahrt ins neue Leben musste gemächlich weitergehen, ohne jeden Gedanken daran, was vor ihm lag.

      Harry Mann strampelte an den roten Backsteinbögen der S-Bahn entlang, über die Spree und am ehemaligen Sudhaus vorbei, das zu einer Art Gewerbehof umfunktioniert worden war. Die langgezogene Steigung dahinter, hinauf zur Putlitzbrücke, brachte ihn ziemlich ins Schwitzen. Er stieg ab und schob das Rad, was ihm mehr als gewünscht Gelegenheit gab, das vertraute und doch sehr befremdliche Architektur-Patchwork aus stucklosen Altbauten und schmucklosen, früh verfallenden Neubauten zu bewundern.

      Hier, am Rande der City, fügten sich die letzten Reste der Prolo-Schultheiß-Eck-Kultur zu einer unheiligen Allianz von „Glühwürmchen 1“ und „Selevacik-Grill“, freudlos, grau und schmuddelig wie alles in Berlin; zu einem leicht slumartigen Wie-soll-man-leben-Vakuum, in das bald holzgetäfelte Bistros und hell gestylte Cafés stoßen würden. Tempel des Schneller Wohnen, Schneller Leben. Ambiente statt Milieu, begeistert begrüßt vom aufstrebenden Publikum. Zum Teufel mit den real existierenden Versatzstücken der stillstehenden Immer-noch-Nachkriegs-Zeit! Und her mit der Fernsehweh-Gegenwart, in der endlich kein Spiel nicht mehr ging!

      „Mann“, dachte Mann und schüttelte sich, „du denkst dir einen Scheiß zusammen.“

      Genaugenommen war es Peters Scheiß.

      „Was wir erleben, ist die Abschaffung des Erlebens“, pflegte der immer zu klagen, damals, als sie alle noch zusammenwohnten und dagegen ankämpften, so zu werden, wie sie nun mal sollten.

      „Gestern war’s noch schlimm“, hatte Anne eines Abends auf das Verlustgerede geantwortet, mit einem lauten Lachen, im „Slumberland“, kurz bevor sie plötzlich verschwunden war, „aber heute lacht man schon drüber.“

      Harry Mann war oben auf der Brücke angekommen. In ihrer Mitte, dort, wo vor einem halben Jahrhundert eine längst abgerissene Treppe hinabführte auf die viel spurigen Gleisanlagen, hinab in die Waggons, in die Lager, in die Öfen, in der prallen Sonne, an Tagen wie diesem, lagen unter dem Denkmal mit dem Davidstern,

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