In jeder Beziehung. Birgit Schmid
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In der Bar.
In der Bar.
In der Bar.
Doch auch wenn dem so wäre – kein Algorithmus nimmt einem das Kennenlernen ab. Es geschah bei einem Spaziergang, an einer Party, beim Schwimmen im See, kann man auf die beliebte Frage von Kindern immer noch sagen, ohne zu lügen. Wobei man sich für die Partnersuche mit klar berechnetem Profil ja längst nicht mehr schämt. Das Gegenteil scheint bald fahrlässig. »Sie haben etwas so Wichtiges dem Zufall überlassen?«, hat ein Bekannter, ein Soziologe, gesagt, als ich ihm vom ersten Blick an der Tramhaltestelle erzählte, der zwanzig Jahre nach sich zog.
Die Geschichten, die heute über Tinder und andere Datingportale beginnen, mögen sich gleichen – doch wir hängen weiter an den Anfängen und wollen sie erzählt bekommen. Den Anfang einer Liebesbeziehung umgibt etwas Gutes, da werden selbst Zyniker still. Wir romantisieren sogar die Erzählungen unserer Großeltern, denen die Ehefrau empfohlen wurde oder der Gatte zugeteilt; die nicht frei wählen konnten. Und doch entstand nicht selten eine Liebe daraus.
Am erstaunlichsten bleiben dennoch die Erzählungen, bei denen der Zufall spielte. Deshalb sammeln auch Medien und soziale Netzwerke die Geschichten vom Anfang so gern, als müssten sie der eintönigen Internetliebe etwas entgegensetzen. Auf Instagram ist der Account »The Way We Met« äußerst beliebt. Und als die »New York Times« zehn Paare die »unerwartete« Geschichte ihres Kennenlernens erzählen ließ, machten es ihnen Hunderte auf Facebook nach. Sie fanden einander im Kindergarten, bei »World of Warcraft«, während eines Mordprozesses, dank Airbnb.
Doch auch diese Geschichten tönen oftmals ähnlich, weil sie alle in einem Ton erzählt werden, der staunend und überwältigt ist: Man war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Ist das nicht unglaublich? Wie leicht hätte man sich verpassen können! Ein Zug, der sich verspätet. Ein früherer Abendkurs. Kleine Entscheide stellen die Weichen, die dem Leben eine Richtung geben.
Nicht die Geschichten sind also das Besondere, sondern die Art, wie Paare sie erzählen. Sie streichen das Ereignishafte hervor. Sie betonen das Unerhörte. Erst dadurch werden die Geschichten bedeutsam. Eine positive Erinnerung an den gemeinsamen Anfang ist ein Merkmal guter Beziehungen, so sagen Psychologen. Man konstruiert einen Liebesmythos. Diesen erzählt man sich immer wieder, erzählt ihn seinen Kindern und Enkelkindern. Das verbindet.
Die romantische Variante tönt dann so:
Wir blickten uns in der Menge fünf Minuten wortlos an.
Ich folgte ihr durch die ganze Stadt.
Die unromantische tönt so:
Er war das sechste Blind Date in vier Tagen.
Bevor ich meinen Account löschte, gab ich noch einer letzten Person eine Chance – und das war sie.
Es kommt nicht darauf an, wie und wo man jemanden getroffen hat. Sondern, daraus eine gute Story zu machen, egal, ob sie die Wahrheit trifft oder diese verklärt.
ALLE MEINE
STOFFE
Jetzt, da die Sonne bereits beim Aufstehen ins Zimmer fällt, droht bald schon die Wärme. Also muss ich meine Kleider umgruppieren, ruft der Kleiderschrank nach einer neuen Ordnung. Ich stehe vor den offenen Flügeltüren und fange an: Wollsachen auf die oberen Regale, das Feinstoffliche nach vorn.
Den Winter hindurch wurde mein Schrank zum Bau. Ich würde mich nicht wundern, wenn sich ein Tier hineinverkrochen hätte. Manchmal leuchten tatsächlich Augen im Dunkeln heraus: die Katze, die die Höhle liebt. Neue Kleider kamen nicht viele hinzu. Sondern das Durcheinander wuchs mit dem nachlässigen Verstauen an.
Wenn ich mich nun an mein Kasting mache, das Lichten der vollen Regale, wird mir klar: Beim Aufräumen begegnen mir Menschen, die mit diesen Kleidern verwoben sind, und damit Erinnerungen an mich selber. Dafür muss ich nicht von Marie Kondo an die Hand genommen werden, der ordnungsversessenen Japanerin, nach deren Philosophie nun alle leben. Diese findet: Nach dem Aufräumen sei man auch innerlich aufgeräumt. Ich glaube ihr kein Wort.
Was stimmt: Beim Umschichten wechselt man seine Identität ein wenig. Als wären einem nicht nur die Kleider verleidet, sondern man sich selber. Also streife ich mit dem Rollkragenpullover auch mein Winter-Ich ab. Wobei ich nicht unbedingt zu jenen gehöre, die euphorisch werden, sobald die Temperaturen steigen. Den Körper einzuhüllen, bot auch einen Schutz. Etwa vor der Nötigung zu guter Laune.
Während man den Schrank aufräumt, fällt einem zu jedem Kleidungsstück ein Erlebnis ein. Der Kaschmirpullover wärmte wie die Umarmung an jenem Abend. Die übergroße Hose trug ich auf dem Schneespaziergang, der in einen Streit ausartete. Die Mütze: ein Geschenk. Übersommert gut, ihr alle!
Auf einem Zwischenregal lagert Stoff für die Zeit dazwischen. Dazu gehört das Shirt von der letzten Städtereise. Die Verkäuferin fragte mit dem Tablet in der Hand nach meiner E-Mail-Adresse – »to establish a relationship«. Doch eine Beziehung will ich nur zu meinen Kleidern haben. Während ich den Isländer streichle, denke ich: Man könnte Kleider ja nach den Ländern ordnen, aus denen man sie »mit nach Hause« brachte. Aber dann müsste man auch Bangladesh und China Platz einräumen. Und zwar viel.
Wenn ich in meinen Kleiderschrank blicke, zeigt sich weiter meine Treue, die keinesfalls ein Horten ist. Gerade weil Kleider an Biografien mitweben, kann ich mich schwer von ihnen trennen. Karl Lagerfeld, um den wir trauern, war da anders. Er sagte: »Mein Stil ist eher: ein neuer Frühling, eine neue Liebe.« Aber auch wenn die Liebe wechselt: Die textile Erinnerung hat einen Wert. Ich hänge an diesen alten Stücken, auch wenn sich ihre Geschichte selbst mit mehrmals Waschen nicht auslöschen lässt – und ich sie also nie mehr tragen werde. Der Kleiderschrank, mein Museum.
Bald stoße ich zu Gegenständen vor, die den Schrank auch als Versteck ausweisen. Es lässt sich allerhand unter die Stapel schieben, um Unbefugten die Suche zu erschweren. Deshalb bin ich für getrennte Kleiderschränke. Während ich mein Höhlensystem bevorzuge, gefällt mir die frei schwebende Männergarderobe an Kleiderständern.
Dann halte ich das blaue Kleid in den Händen, das ich das letzte Mal vor fünfzehn Jahren trug. Wie jedes Mal muss ich innehalten. Behalten oder entsorgen? Ich behalte.
Am Schluss liegt alles schön gefaltet. Die Kleider hängen an den Bügeln, die Schuhe stehen aufgereiht. Nur ich bin durcheinander.
ER NANNTE SIE
»MEIN HERZTIER«
Sie sind komisch und lächerlich, deshalb sollte man sie nie im Beisein von Dritten aussprechen: die Kosenamen. Sie gehören in den geschützten Raum einer Beziehung und passen ausschließlich auf zwei Menschen. Sie drücken deren Einzigartigkeit füreinander aus. Als Maria gehört sie allen, als Käfer nur mir. Für die Patienten ist er Herr Doktor, für mich heißt er Muffin. Kosenamen führen eine Privatsprache an, die ein Paar im Lauf der Zeit zu einem Code entwickelt, unentzifferbar für andere. Der Linguist Ernst Leisi nannte sie ein Initiationsritual, das den Beginn einer Beziehung markiere.
Allerdings ist der richtige Zeitpunkt wichtig für ihre Vergabe. Ich erinnere mich an die Schleimspur des