In jeder Beziehung. Birgit Schmid
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Je teurer ein Hotel ist, desto erregender, schreibt Dyer. Luxushotels haftet etwas Unmoralisches an, nicht bloß der käuflichen Frauen wegen unten in der Bar. In der Verwöhnung ist die Welt ausgeschlossen. Man bewohnt einen Planeten als die zwei einzigen Wesen, Raum und Zeit sind aufgehoben, ob man sich gerade in Tokio, New York oder Basel befindet. Möbel, Kunst, Aussicht auf Türme – der Luxus gleicht sich überall. Nur die Suite eignet sich nicht für Verliebte, denn die wollen sich nicht aus den Augen verlieren.
Für diejenigen aber, die sich nichts mehr zu sagen haben, ist auch im Luxushotel alles zu klein und zu eng. Sie sind Gefangene, die sich nicht ausweichen können. Eine Liebe, die endet, ist traurig, aber sie ist trostlos, wenn sie vor einer verschwenderischen Kulisse zur Erinnerung wird.
Noch aber ist alles Gegenwart. Man tritt ein, stellt die Tasche hin, schaut sich um. Die Schalldämpfung nimmt den Worten den Klang, die Füße sinken im Teppich ein. Das weiße Bett, das gespannte Tuch, die gestapelten Kissen. Es wird einem vorgetäuscht, man dürfe die ersten Spuren hinterlassen. Als hätten sie auf die erste Nutzung gewartet: die weichen Bademäntel, die Hausschuhe mit Emblem. Nie ist das Frottee von der Wäsche rau oder grau, nie zeigt das Tuch Flecken. Man entfernt im Bad den Deckel vom Glas, die Schleife von der Schüssel, bricht das Siegel der Seife auf. Klack.
Ein Hotelzimmer wird genommen.
DIE REISE
VOR DER ABREISE
Wohin geht die Reise dieses Jahr?
Das Kontingent mit den Ferientagen ist noch voll in diesen ersten Wochen, die Reiselust wächst schon im Februar wieder an. Als Planungsgrundlage schickt man dem andern die Berichte mit den »20 places to be in 2019«, die so zuverlässig kommen wie der Frühling, der Sommer, der Herbst – die Zeit also, wenn man die Koffer packt.
Da es zwei Arbeitsleben aufeinander abzustimmen gilt, setzt man sich an einem Abend hin. Wo war man noch nie, wie weit darf es sein, was lohnt sich erneut? Danach ist man zwar manchmal so erschöpft wie nach einem Bergaufstieg. Aber würde man das Ritual nicht mehr einhalten, zusammen vorauszuschauen auf das Schöne – dann fehlte etwas. Es heißt immer, erst wer es gut habe beim Reisen, passe zusammen. Aber eigentlich ist der Testfall die Planung.
Diese widersetzt sich der Unverbindlichkeit, mit der man heute in den Tag hinein lebt. Wenn ich morgen nicht mehr ins Restaurant will, lasse ich die Reservation halt verfallen. Es gibt eine Unlust, sich festzulegen, ganz schnell ist man nicht mehr »in Stimmung«. Bei der frühen Ferienplanung hingegen rechnet man miteinander. Der Saver-Flug in acht Monaten lässt sich nicht umbuchen. Er ist wie eine gegenseitige Versicherung.
Also bricht man auf. Die Teller vom Nachtessen sind abgeräumt, die Gläser nachgefüllt, ein paar herausgerissene Reiseberichte ausgelegt, die dann doch keiner liest. Sobald ein Land fällt oder eine Stadt, wischen die Finger über das Tablet. Er zoomt die Weltkarte heran, rechnet bei nahen Zielen die Fahrzeit aus. Sie besucht Hotels und verwirft alle Zimmer, in denen man in den Spalt zwischen den Matratzen rutscht.
Noch vorher wählt man aber die freien Wochen in den Kalendern aus. Der eine möchte alle fünf Ferienwochen auf einmal nehmen, der andere sie haushälterisch übers Jahr verteilen. Dann muss auch das Bedürfnis nach Erholung synchronisiert werden. Eispickel oder Hängematte? Weiter berät man über das Budget. Meist fällt irgendwann der Satz: Steh nicht so auf der Bremse, sonst können wir gleich zu Hause bleiben. Und bevor man sich auf die Osterinsel einigt, sollte man vielleicht noch Folgendes entscheiden: Flugzeug, Auto, Velo oder Zug?
Damit zum zweitwichtigsten Punkt. Wenn man jetzt Ferien plant, dann sitzt Greta immer mit auf dem Sofa, das 16-jährige Mädchen mit den Zöpfen aus Schweden, das auf unsere Klimaverbrechen hinweist. Wer weiß, was für ein Sommer uns erwartet. Jetzt mag man sich an der Vorstellung wärmen, aber im Juli lässt sich eine Reise nach Hawaii nicht mehr vertreten. Palmen und Korallenriffe muss man langsam aus dem romantischen Programm streichen. Liebe ist, darüber nicht in Streit zu geraten.
Nur etwas könnte noch entzweiender sein. Nämlich die Frage, ob man an Orte reisen soll, an denen der eine schon einmal mit einem früheren Geliebten war. Entweder man sagt sich als Paar: Wir nehmen die Allerweltsstädte Paris, London, New York neu ein und überschreiben die Spuren dort mit unserer Geschichte.
Oder man hat Angst vor dem Vergleich und fürchtet an jeder Ecke den Geist der Ex-Liebhaber des andern anzutreffen, mit denen es gewiss schöner war. So wie der retrospektiv eifersüchtige Ehemann in Julian Barnes’ Roman »Before She Met Me«, der an keine Orte reisen will, wo seine Frau mit anderen Männern vorbeikam. Kreuz und quer hätten die ihre Fußspuren auf dem Globus hinterlassen, »wie Kamelfährten in einer Wüste, wo niemals der Wind weht«.
Gerade wenn man diese Orte nicht wählt: Die abwesenden Anwesenden wählen mit.
DER KUSS
Viermal am Tag ist das Minimum. Darunter sollten zwei Menschen nicht gehen, die schon lange zusammen sind und deren Zusammensein es einst besiegelt hat: das Küssen. Da wäre der erste Kuss, um sich einen guten Morgen zu wünschen nach der Trennung durch den Schlaf. Der zweite Kuss zum Abschied, wenn beide zur Arbeit gehen oder der eine zu Hause zurückbleibt. Der dritte Kuss abends beim Wiedersehen. Der vierte Kuss vor dem Lichterlöschen.
Alles weitere Küssen dazwischen ist natürlich erwünscht. Umso besser, wenn es nicht mehr in einzelnen Küssen messbar ist, sondern in ein andauerndes Verschmelzen der Münder übergeht. Zumal man weiß, dass nicht die Kusshäufigkeit etwas über die Beziehungsqualität aussagt – ein spröde hingetupfter Kuss aus einem Spitzmund verflüchtigt sich wirkungslos. Sondern erst, wenn man das Küssen leidenschaftlich und mit Hingabe betreibt, wirkt sich das Gute aus, das in dieser Tätigkeit liegt: Küssen erzeugt eine Nähe zwischen zwei Menschen, Vertrauen wird gebildet. Man teilt einen intimen Moment, Bindung entsteht.
Obwohl das alles wissenschaftlich belegt ist, könnte das Küssen und die Beschäftigung damit auch als unerwachsen angesehen werden. Gerade weil es so zweckfrei ist, Teil des erotischen Spiels, wird es unterschätzt. Küssen ist kindlich, wenn man in ihm bloß einen Rückfall in die orale Phase sieht, als man an der Brust der Mutter lag. Dann diese Selbstvergessenheit eines küssenden Paars, das sich so offensichtlich nicht kümmert um die Welt und sich gegenseitig den Mund verschließt für Worte, mit denen man sonst den eigenen Verstand bezeugt.
Dass Küssen alles andere als banal ist, beweist einer, der im Kleinen schon immer das Große gesucht hat, und dies mit achtzig Jahren: In seinem Buch »Sieben Küsse« nennt Peter von Matt das Küssen zwar »ein Allerweltsgeschäft« – und zeigt dann anhand von Kussszenen in der Literatur, wie Küsse über Glück und Unglück bestimmten.
Im wirklichen Leben kann das erste Küssen immerhin darüber entscheiden, ob die Küssenden zum Paar werden. Wenn die Münder sich nicht ineinander einpassen, ist alles hoffnungslos. Es gibt die gekniffenen Lippen oder die schlaffen, die tote Zunge oder die Walze. Auch hier werden manche denken: Augen zu und Luft anhalten, das Küssen ist ja bloß ein Vorspiel und das Bedürfnis danach nimmt später sowieso ab. Wer jedoch wählerischer ist bei der Partnerwahl, auch das haben Untersuchungen gezeigt, legt von Anfang an mehr Wert aufs Küssen. Es ist, als erführe er oder sie dadurch schon einmal Wesentliches über einen Menschen. Gefällt einem die Information, die die Küsse übermitteln, wächst die Anziehung.
Und so verzehrt man sich, um es mit einem altmodischen