In jeder Beziehung. Birgit Schmid

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In jeder Beziehung - Birgit Schmid

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      DER UMARMER WILL

       JA NUR LIEB SEIN

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      Dauernd wird man umarmt, ob man will oder nicht. Die Umarmung drängt sich als Begrüßungsritual auf, sogar unter Fremden kommt sie vor. Sie wird heute auch sonst bei jeder Gelegenheit durchgeführt, um nicht vorhandene Nähe zu erzeugen. Zwischen Jugendlichen und zwischen Vater und Sohn, zwischen Geschäftspartnern, Therapeut und Patient, Coiffeur und Kundin. Mal liegt Brustkorb hart an Brustkorb, mal berühren sich nur die Schultern, während man sich auf den Rücken klopft, gelegentlich kommt es schon zum Ganzkörperkontakt, als sei der Eingangsflur eine Tanzfläche.

      Die Umarmung als Grußformel: Sie hatte einst den Zweck, den andern nach Waffen abzutasten. Heute macht die Geste wehrlos. Weit öffnen sich die Arme, der andere tritt zu nahe, greift um den Körper. Widerstand zu leisten oder die Geste zurückzuweisen wäre eine Demütigung und darum gesellschaftlich undenkbar. Doch ein Satz wie »Lass dich umarmen!« klingt schnell drohend, vergleichbar mit den Worten des Hundehalters, dessen Tier an einem hochspringt: »Er will ja nur spielen.« Der Umarmer will ja nur lieb sein.

      Es mag sein, dass wir Überempfindlichen vieles übergriffig finden. Jemand tritt einem zu nahe, und das nicht einmal körperlich: Schon fühlt man sich belästigt. Bei der ungewollten Umarmung handelt es sich aber tatsächlich um einen Übergriff. Für Schüchterne wird diese aufgedrängte Zuneigung zur Qual. »Bear hug« nennen das die Amerikaner, bärenhafte Umarmung, tapsig, unsensibel, erdrückend.

      Woher nun aber diese plötzliche Körperlichkeit, die so tut, als hätte man sie bei den Italienern und Franzosen abgeschaut? Der aber gerade das Leichte der lateinischen Kultur fehlt? Vor vierzig Jahren hat der Soziologe Richard Sennett den Begriff der »Tyrannei der Intimität« geprägt. Inzwischen hat sich diese Intimität zu einer Demokratie verbreitet, sie meint jetzt das Gegenteil von steif und förmlich. Man will sich ungezwungen geben, locker, gefühlvoll, möglichst aufrichtig und echt – gerade auch im öffentlichen Leben. Mit der Folge, dass sich durch diese »extended communication« auch die beruflichen Kontakte erwärmen, bei denen in E-Mails zum Abschied nicht nur »alles Liebe« gewünscht, sondern auch geküsst und geherzt wird, egal, wie gut man sich kennt: »xoxoxo«, »kisses & hugs«. Das Beste an dieser virtuellen Umarmerei ist, dass man sich die Leute vom Leib halten kann.

      Dabei ist es eigentlich schön, umarmt zu werden. Im richtigen Moment mit den richtigen Armen von den richtigen Menschen. Dann umfängt die Umarmung wie ein Mantel. Einsame Menschen vermissen diese zärtliche Geste am meisten, noch vor dem Kuss. Denn wenn sie einvernehmlich ist, vermittelt eine Umarmung Geborgenheit, gibt Trost, nimmt den andern freundlich auf. Auch dann bleiben zwei Menschen einzigartig, sie gehen nicht ineinander auf: Um zu wissen, wie ich mich fühle, müsstest du mich sein. Aber wie David Grossman in seiner Parabel »Die Umarmung« schreibt: Eine Umarmung kann den Abstand zum andern verkleinern. Man spürt zumindest für den Moment, dass man nicht alleine ist.

      Was übrigens noch schlimmer ist als die unfreiwillige körperliche Umarmung ist die geistige. Auch hier gehen die Amerikaner wieder voran und reden von »embrace«. Embrace change! Embrace your flaws! Embrace yourself! Umarme den Wandel, deine Fehler, umarme dich selbst – und dränge alle Widersprüche und Zweifel weg, die es in deinem Leben gibt. Die Umarmung als metaphorische Selbstvergewisserung, im Befehlston verordnet: Was soll daran gut sein?

      Keine Umarmung ohne Nähe.

      Lass mich bitte los.

      DAS KOMMANDIERTE

       VERGNÜGEN

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      Es war ein leicht gefühltes Vorhaben, ein Wochenende in den Bergen. Die Sonne schien, die Bienen summten, die Felsen ragten in den blauen Himmel. Wir wollten da hinauf und dann wieder hinunter, zwischendurch gut zu Abend essen, anderntags beizeiten wieder heim. Im Hotel angekommen, in dem es nach Aromaölen roch, wurden wir mit den Worten empfangen, sie lagen auf dem Kopfkissen auf: »Genießen Sie die Tage bei uns. Sie haben es sich verdient.« Im Bad kommandierte es zwischen Heublumenseife und Massagestein: »Lassen Sie die Seele baumeln.«

      Etwas renkte aus.

      Ich weiß nicht, wo meine Seele sitzt und ob sie baumeln kann. Genießen tue ich nicht auf Geheiß, überhaupt, zu fordernd kommt mir inzwischen das Wort Genuss daher, im Widerspruch zu seinem Versprechen. Woher wissen die, was ich verdient habe? Vielleicht lag ich schon die ganze Woche faul herum. Der Satz wird dahingesagt, um jemanden bestätigend zu belohnen, aber der Befehlston verrät ihn. Denn oft verdienen ja die, die ihn sagen, am meisten daran. Sie profitieren davon, dass man intensiv geleistet hat und dann wieder verwöhnt und aufgebaut werden muss. Dabei meinen sie es nur gut. So gut wie Eltern es mit ihrem Kind meinen, ohne dass sich das Kind dagegen wehren kann. Genauso empfindet man es als Erwachsene und hat nun ein Wort dafür, wenn auch ein ebenfalls zu häufig gebrauchtes: Die Gutmeinenden sind übergriffig.

      Und so gibt man sich der Verwöhnung hin, entspannt sich hinein in den Zustand, in dem man nichts mehr will als das totale Erschlaffen und sogar zu denken aufhört. In einem letzten hellen Moment vernimmt man vielleicht noch den Gedanken, dass die Ausweitung der Komfortzone mit dem Bekämpfen von Stress und Leistung einhergeht. Stress wird zum Feind erklärt, der das wachsende Angebot an Mitteln und Techniken, ihn zu vermeiden oder die Gestressten zu belohnen, rechtfertigt. Wer es nicht merkt, dem wird es sanft einmassiert.

      Jetzt im Frühling drängt sich einem die gute Laune wieder überall auf. Theodor W. Adorno meinte die Unterhaltungsmusik, als er den Begriff vom »kommandierten Vergnügen« prägte. Man nimmt das Kommando am Morgen aus dem Radio entgegen, vorgespielt von zu fröhlichen Moderatoren. Es rieselt abends aus den Liftlautsprechern herab. Wattierte Befehle zum Glücklichsein, ohne dass ich mich entscheiden kann, ob ich das will. Normierte gute Laune für die Masse, ununterscheidbar.

      Man erkläre jemandem, dass man an einem sonnigen Tag lieber bei geschlossenen Läden vor dem Computer sitzt oder hinter einem Buch. Das tun doch nur Einsame oder sonst Unglückliche. Aber sie tun es mit einem Grund: weil die wabernde Euphorie, wenn die Temperaturen steigen, sie hinunterzieht. Sie spüren den Druck, glücklich zu sein, und werden nur noch trauriger.

      Aber auch an sich heitere Menschen sehen nicht ein, weshalb sie mit befohlenem Wohlgefühl den Herausforderungen der Zeit begegnen sollen. Weshalb sie auf Befehl loslassen sollen, obwohl sie gerne festhalten an Ansprüchen, die sie sich selber stellen. Ich gehe nicht ins Hotel, um glücklich zu werden. Sondern ich reise glücklich und übernachte in einem Hotel. Vielleicht verträgt es sogar einen Streit. Störfall in der diktierten Harmonie.

      Denn was wäre die Alternative? Das Denken schlägt nicht mehr aus. Es bohrt sich nicht ein, hinterlässt keine Wunden. Es baumelt jetzt.

      LIEBE IST AUCH NUR

       EIN WORT

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      Sie schlagen einen heute fast in die Flucht, die berühmten drei Worte, mit denen Schlagersänger ihre Lippen formen und die auf Valentinskarten stehen: Ich liebe dich. Der Liebesschwur ist inzwischen so abgegriffen und formelhaft, dass man sich nicht mehr gemeint fühlt. Umgekehrt möchte man die Sprache neu erfinden, wenn es einen in einem ebensolchen Moment der Überwältigung zu einer Gefühlsäußerung drängt.

      Nur weil man um die richtigen Worte ringt, soll man aber nicht einfach schweigen. »Die Liebe liegt in der Sprache, oder sie

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