Der Gestrandete. Volker Kaminski
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Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wie sein Leben verlaufen war. Wir waren zusammen in Frankfurt aufs Gymnasium gegangen und nach dem Abitur noch etwa zwei Jahre locker befreundet gewesen, so glaubte ich mich zu erinnern.
„Wolltest du in Amerika nicht Schauspieler werden?“
„Ja genau, ich träumte von der großen Karriere. Ich hatte schon ein paar kleine Videofilme gedreht und das Schauspielstudium langweilte mich. Dann kann dieser Donald und versprach mir das Blaue vom Himmel.“
„Ein Schauspielagent?“
Frank schien einen Moment in seiner Erinnerung zu suchen, dann schüttelte er den Kopf.
„Er war ein Immobilienmakler, ich habe ihn bei Ponten kennengelernt, eine Firma, bei der ich damals gejobbt habe. Donald irgendwas. Ich habe vergessen, wie er mit vollem Namen hieß. Er sagte, er könnte mich mit einem Produzenten in Hollywood zusammenbringen, er hätte hervorragende Kontakte in die Filmbranche. Er versprach mir jede Art von Unterstützung und kannte auch wirklich jemanden aus dem Business, aber der war schon ziemlich alt und längst aus dem Geschäft.“
„Und du hast geglaubt, du könntest so einfach Hollywoodschauspieler werden? War das nicht ziemlich naiv?“
Plötzlich änderte sich sein Blick. Die Augen wurden schmaler und dunkler, etwas Aggressives ging von ihnen aus.
„Ich war ein Idiot. Ich hätte bei Ponten bleiben und weiter Schauspiel studieren sollen. In Amerika hab ich dann den Faden verloren. Ich blieb dort über ein Jahr und habe nur noch für Donald geschuftet. Er hat mich überall herumgezeigt und mit dem attraktiven jungen Mann an seiner Seite angegeben. Ich war so dumm! Ein Jahr lang habe ich gebraucht, bis ich den Mann durchschaut habe und einsah, dass es leere Worte waren.“
„Aber danach warst du doch wieder hier?“
„Ja, aber zu spät. Ich bekam keinen Boden mehr unter den Füßen, wie man so sagt. Wenn ich weiterstudiert hätte und nicht diesen Blödsinn mit Donald gemacht hätte, dann wäre bestimmt alles anders gekommen, verstehst du? Es wäre einiges nicht passiert, was passiert ist.“
„Was denn zum Beispiel?“
Er kniff die Augen zusammen und sah aus dem Fenster. Wir schwiegen eine Weile. Im Hintergrund lief halblaute Jazzmusik, die das eher trostlose Bistro mit ein wenig Atmosphäre aufpeppen sollte.
„Ach, es ist so vieles falsch gelaufen“, sagte er. „Hast du dich schon mal gefragt, welche Rolle der eigene Wille im Leben spielt, der freie Wille? – Ich vermute, gar keine, er ist nur dazu da, um dir das Gefühl von Souveränität zu geben. Der Rest ist ein Sturm, der dich irgendwo hintreibt.“
Ich musste unwillkürlich an meinen Tsunami-Text denken, der angefangen im Büro lag.
„Und bei dir?“, fragte er. „Wie ist es bei dir gelaufen, bist du zufrieden mit dem Erreichten? Kannst du vom Schreiben leben?“
Ich fand seine Fragen unangebracht und zu direkt, aber er hatte eine Art sie zu stellen – mit dieser angenehm ruhigen Stimme –, dass sie beinahe harmlos klangen. Ich sagte, dass ich mich nicht beklagen könne, dass ich viel zu tun hätte und mit Eveline und Johanna glücklich sei.
„Du bist Journalist geworden, genau wie du es dir damals gewünscht hast. Beneidenswert. Dein Traum ging in Erfüllung.“
„Na ja, zum Träumen bleibt immer noch genug Raum. Der Journalismus hat viel an Reiz verloren, ist längst kein Traumberuf mehr. Weißt du, welchen Witz man sich heute erzählt? ‚Ach, Sie sind Journalist? Schönes Hobby!‘ Da siehst du, wohin es damit gekommen ist. – Aber sag mal, du hast doch erzählt, du wärst verheiratet und hättest den Namen deiner Frau angenommen? Wo ist sie? Auch in Karlsruhe?“
„Nein“, sagte er abwinkend, „das ist auch schon wieder vorbei ... Nicki und ich haben uns scheiden lassen. Wir blieben nur ein knappes Jahr zusammen. Es hat nicht funktioniert.“
„Warum hast du dann ihren Namen behalten?“
„Ich wollte wohl, dass irgendetwas von ihr bleibt. Ich habe mir so gewünscht, noch mal von vorne anzufangen. Nicki war eine Chance. Ich redete mir ein, das Glück sei endlich zu mir gekommen und ich hätte die Frau meines Lebens gefunden.“
Als wir wenig später aufstanden, um zu gehen, legte er plötzlich beide Arme um meine Schultern und drückte mich fest an sich. Ich wusste nicht, was das bedeutete und wie ich reagieren sollte.
„Danke, Sascha“, hauchte er mir ins Ohr, „das war sehr wichtig.“
Er wirkte gerührt; ich sah, wie es in seinen Augen glänzte. Dann öffnete er mir die Tür.
„Bis bald“, hörte ich ihn hinter mir herrufen.
3
In der Theatergruppe freuten sich alle über Franks engagierte Teilnahme. Eveline sagte, es gehe ein neuer Wind durch die Gruppe, die Arbeit intensiviere sich, durch Franks Beitritt habe sich alles verändert.
Er hatte ihnen ein ungewöhnliches Werk als neues Projekt vorgeschlagen: „Die Elixiere des Teufels“ von E.T.A. Hoffmann, ein düsterer, schwer lesbarer Roman aus der Weltliteratur, den er eigenhändig fürs Theater adaptiert hatte und über den sie nun diskutierten.
Ich blieb weiterhin auf Distanz zu ihm und wollte mich nicht mit ihm befassen. Nach seiner Umarmung im Bistro erschien mir seine Person noch zwielichtiger als zuvor. Immer wenn es um Frank ging, wenn Eveline irgendwas von ihm erzählte, schaltete ich ab und hörte weg. Durch die Theatergruppe war er dennoch im Hintergrund präsent. Außerdem war er hartnäckig, was das ‚freundschaftliche Verhältnis‘ zu Eveline und mir betraf, und so war es nicht verwunderlich, dass er bald wieder bei uns auftauchte.
Das erste Mal saß ich gerade im Garten und bekam nicht mit, dass Eveline ihm die Tür geöffnet hatte. Er kam auf die Terrasse heraus, hielt eine Geschenkpackung in der Hand und winkte mir zu. Ich hatte es mir unter unserem Apfelbaum bequem gemacht und schreckte von der Liege auf, als ich ihn sah. Eveline kam ebenfalls auf die Terrasse und er überreichte ihr sein Geschenk – eine Schachtel Mon cherie. Hätte ich wegen dieser Schachtel Pralinen einen Aufstand machen sollen?
Eveline sagte mir später, sie habe ihn nicht eingeladen. Wenn sie gewusst hätte, dass er uns besuchen wolle, hätte sie mich natürlich gefragt und eine Kleinigkeit zum Essen vorbereitet. Aber Kalina war nicht gekommen, um bei uns zu essen. Er wollte nur hallo sagen und fragen, ob wir Lust hätten, am nächsten Sonntag mit ins Kino zu kommen.
Ich stand erst nach einigen Minuten auf und ging zur Terrasse. Inzwischen hatte sich Frank auf einen Stuhl gesetzt und betrachtete das Grundstück voller Bewunderung.
„Ein so schöner Fleck“, sagte er, „es wirkt so natürlich eingewachsen, wie in einem Märchengarten, als wäre alles schon hundert Jahre alt. Wirklich traumhaft schön.“
„Meine Eltern haben den Garten angelegt“, sagte Eveline, die gerade mit Bier und Gläsern herauskam. „Aber natürlich gibt es einen Gärtner, der das Grundstück in Schuss hält. Wir sind beide keine großen Hobby-Gärtner.“
Er schaute immer noch mit großen Augen auf die Birken und den dicken Stamm der Pappel, der von Efeu umrankt war. Sein Blick folgte dem Efeulaub, das sich an der rückwärtigen